Freitag, 14. April 2017

Der Deal



Kevin war in der Tat gestern aufgebracht, ob Gunnars Gespräch mit ihm bezüglich unseres Reisetermins am Montag. Es ging nicht etwa darum, dass er dachte, das Zentrum mit Mike allein nicht leiten zu können. Nein. Darum ging es nicht. Es ging um mich.
Es scheint ihm, womöglich auch nur in diesen Tagen, in denen der Termin seiner Heirat mit Janina, der Schwester seiner verunfallten Frau, näher rückt, über die Maßen unangenehm zu sein, mich nicht bei sich zu haben, oder zumindest zu sehen.
„Wie kannst du mir das antun?“, begann er sein Plädoyer. „Ich dachte, du überlegst es dir noch vielleicht bis dahin. Und wenn nicht, würde es mich trotz alledem riesig freuen, wenn du an diesem Tag bei mir wärst. Wer weiß, wie lange ihr reist. Ihr bleibt doch sicherlich nicht nur eine Woche dort und kommt noch umgehend zurück. Denn Marie und Henriks Hochzeitstag ist schließlich ebenfalls zu Beltane. Und dann werdet ihr aller Wahrscheinlichkeit nach, noch zu Alexas Eltern nach Kalifornien fliegen. Empfindest du das etwa als angenehm?!?“
„Nein. Tut ich nicht. Und ich denke über andere Optionen nach, seitdem ich es weiß. Das kannst du  mir glauben.“
„Warum bleibst du nicht einfach hier. Das wäre das Beste. Meinst du nicht auch?“, schlug Kevin vor.
„Ja. Der Gedanke kam mir ebenfalls. Was hätte ich schon davon, mit jemand anderen sonst wohin zu reisen, wenn ich hier meine Bequemlichkeiten genießen kann?“
Mich hast du hier!“, intervenierte Kevin. „Und mit wem wolltest du noch mal wohin verreisen, wenn nicht mit Gunnar?“
„Ich dachte an Derek…….vielleicht.“, sagte ich Gedanken versunken. Sasha Fliess oder Jason erwähnte ich selbstverständlich nicht in diesem Zusammenhang. Das musste Kevin nicht wissen. „Aber jetzt, wo er verheiratet ist, scheint es immer schwieriger mit ihm zu werden.“
„Tja. Was dachtest du denn? Diese Laurianne wollte Derek doch von Anfang an. Jetzt hat sie ihn endlich. Ziel erreicht, würde ich sagen. Wie auch immer.“
„Sie nutzte ihre Situation fabelhaft, um zu bekommen, was sie wollte. Warum kann ich das nicht? Warum bin ich nicht so?“
Kevin lachte. „Weil du ehrlich bist.“
„Ja.“, sagte ich leise, um dann doch die Situation etwas lauter und munterer wieder aufzuhellen. „Und warum verreisen nicht wir beide?“ Genau genommen war diese Frage von meiner Seite nicht wirklich ernst gemeint. Denn ich wusste, dass er nicht so leicht mit mir verreisen konnte. Schließlich war da noch seine Janina.
Und erneut ein Lachen von ihm. Was überhaupt ein Wunder ist, nachdem doch sein Vater Rudolf-Heinz im Dezember letzten Jahres verstorben war. „Wir könnten alles miteinander tun, würdest du dich nur für mich entscheiden. Noch ist Zeit. Aber dazu fehlen dir die Eier in der Hose.“ Kevin grinste mich verwegen an.
Ich wehrte ab. „Nein.“
„Was dann? Ist es meine fehlende Mobilität.“
„Nein!“, wurde ich vehementer. Denn ich wollte nicht, dass Kevin an mir zweifelt und denkt, es läge an dem, an dem es tatsächlich liegt. Gleichwohl dies musste er nicht wissen! Sollte er ruhig denken, ich wäre trotz seiner Behinderung noch bereit, mit ihm zusammen zu sein. Selbstverständlich wäre ich das auch und ich würde mich sicherlich an das gewöhnen, was mir im Augenblick noch Probleme macht, wenn ich daran denke, mit ihm zusammen zu sein. Es schmerzt mich so immens zu sehen, wie er sich quält, ohne die Funktion seiner Beine, die nur noch dünne Stelzen sind. Und dann sind da noch die Beutel mit Urin und Code, weil auch diese Körperteile ihre Tätigkeit verloren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dergleichen leben kann. Janina hat sich offenbar daran gewöhnt. Zudem wäre er nicht in der Lage, mich vor was auch immer zu beschützen. Ich brauche einen Mann der das kann. Deshalb offenbar der Hang zu Großen, Muskulösen, sowie meinen Ehemann, Jason, Derek oder auch Sasha Fliess.
Aber egal. Wir diskutierten, redeten noch eine Weile lang weiter und am Ende ließ ich alles offen, alldieweil ich in der Tat noch nicht wusste, wie meine Entscheidung nun ausfallen wird. Fliege ich nun am Montag mit Gunnar, Alexa und dem Baby, oder nicht? Ich konnte es zu diesem Zeitpunkt nicht sagen und auch jetzt bin ich mir noch längst nicht sicher damit, auf Grund dessen was dann geschah und mich zu etwas zwingt, was ich nicht wirklich will. Jedoch andererseits wäre es wohl tatsächlich besser, Gunnar nicht mit Alexa allein zu überlassen.

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Es gab reichlich zu tun, gestern noch. Gunnar besprach mich die ganze Zeit, meine Einstellung zu ändern, dann wäre es leichtere für mich mit ihnen zu reisen. Meinte er.
In der Zwischenzeit rief Derek an, um zu fragen, ob unser gemeinsamer Donnerstagabend steht. „Ja. Selbstverständlich.“
„Wo bist du denn? Im Haus ist kein Licht.“, sagte er.
„Warum kommst du mich nicht abholen. Wir sind noch im Restaurant.“
„Okay.“
„War das Derek?“, fragte mich Gunnar und ich nickte mit dem Kopf.
„Ja. Er wird gleich kommen, um mich abzuholen. Denn du wolltest doch ohnehin gleich nach dem Dinner zu Alexa gehen.“
„Ich hätte dich selbstverständlich noch nach Hause gebracht. Was denkst du denn nur von mir?“ Gunnar lächelte milde  und zwinkerte mir zu, während ich so leise am Jammern war.
„Wieso tust du das? Ich möchte nicht, dass du zu ihr gehst. Ich will dich bei mir haben.“, flehte ich.
Gunnar pustete laut und hörbar die Luft durch seine angespitzten Lippen. Zog die linke Augenbraue hoch. „Machen wir einen Deal.“, schlug er vor und sein Gesicht zeigten ein wenig verschlagene Züge. Aber auch Hoffnung lag darin.
Ich horchte auf. Kniff die Augen zusammen. „Was meinst du damit?“, fragte ich ihn.
„Ich bleibe bei dir, wenn du mir versprichst, am Montag mit uns zu fliegen. Aber nicht nur einfach so. Ändere deine Einstellung. Sei kein Miesepeter. Du brauchst dringend Aufheiterung. Bist stets so traurig und ohne Freude.“
„Wie soll ich denn glücklich sein?“, wurde ich böse.
„Was stört dich denn so? Alexa?“
„Ja. Natürlich….sie!“
„Sie ist aber die Mutter meines Sohnes.“
„Und das wird sie auch immer bleiben. Und was denkst du dir eigentlich? Soll ich als fünftes Rad am Wagen mit euch ziehen? Wie sieht das denn aus? Wie soll ich mich dabei fühlen?“ Fragen über Fragen prasselten über Gunnar herein. Doch er blieb ruhig. Ließ sich auf keine weiterführende Diskussion ein. Verwies stattdessen auf seinen Deal. „Also was nun? Steht unser Deal?“
„Und du bleibst die ganze Zeit über bis Montag bei mir?“, fragte ich zweifelnd.
„Ja. Bis auf ein paar kurze Besuche bei meinem Sohn. Und ich hoffe, das ist okay für dich?“
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Ich weiß nicht.“ Und im selben Moment stand Alexa mit dem Baby am Tisch.
„Setzt dich doch.“, forderte Gunnar seine Geliebte auf.
„Aber DAS gehört nicht zu unserem Deal!“, monierte ich sogleich.
„Also nimmst du an?“ Gunnar strahlte.
Und ich war zögerlich.
Alexa schaute von einem zum anderen. „Was für ein Deal?“, fragte sie dann und Gunnar erklärte es ihr und sie schien sich sogar darüber zu freuen. Insbesondere über den Part, in welchem ich freundlich zu ihr zu sein hatte. Was erhoffte sie sich denn? Sollte ich sie das vielleicht fragen? Warum eigentlich nicht?
Ich bot alles an Contenance auf, was ich zur Verfügung hatte und lächelte sie an. „Nun, Gunnar gelingt es womöglich doch noch, dass wir Freundinnen werden. Sich sein Traum von der großen, glücklichen Familie erfüllt. Denn bisher bin ich ihm in diesem Fall immer noch ein Dorn im Auge. Tue nicht das, was ich soll.“
Alexa wusste offenbar nicht wirklich, was sie erwidern sollte. Wiegte ihr Kind und schaute zu Gunnar hinüber.
„Ich dachte du freust dich, wenn Rea endlich und tatsächlich gewillt ist, auf dich zu zu gehen.“
„J-a schon.“, antwortete sie überaus zaghaft und ich sah in ihren Augen den Argwohn, ob Gunnars Zuversicht. „Es ist nur ein Deal, in welchen sie sich an die Regeln halten müsste. Nichts weiter. Ist sie dann wirklich freundlich zu mir, wäre es nur gespielt.“
„Und ich kann das nicht!“, wandte ich ein. „Schließlich bin ich keine Lügnerin.“
„Siehst du Gunnar, es wird nichts werden.“, sagte sie schon fast weinerlich. Gerade so, als ob ihr in der Tat noch immer daran läge, meine Freundin sein.
„Ja.“, stimmte ich in diesem Fall Alexa sogar zu. „Ich weiß nicht, wie das gehen soll?“, wand ich ein und blieb dabei ernst.
Gunnar sah uns beide an und begann zu grinsen. Richtete dann das Wort an mich. „Würdest du ehrlich deine Einstellung ändern, wäre es nicht gelogen. Es liegt an dir Rea. An die ganz allein.“
Am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. WAS dachte er sich nur, alle Verantwortung und Entscheidung auf mich abzuwälzen?! Zudem schien er es erneut erzwingen zu wollen, dass es eine freundliche Annäherung meinerseits an Alexa gab.
Sollte ich den Deal annehmen oder nicht? Und während ich so darüber nachdachte, kam Derek herein, um mich abzuholen.
Letztendlich, und in diesem Moment, ging ich mit Derek zu mir nach Hause. Allerdings mit der Option, es mir doch noch anders  überlegen zu können und Gunnar womöglich dann umgehend, an diesen Abend noch, anzurufen. Denn der Deal galt nur noch, und ebenso für mich, bis zum Ende dieses Abends, an welchem ich mit meinem Ehemann zusammen sein wollte.
Im Haus angekommen, unterhielt ich mich mit Derek über Gunnars Angebot.
„Wie wäre es denn, wenn wir beide verreisen?“, fragte ich ihn gleich zu Beginn, um ihn sanftmütig zu stimmen.
Derek pustete laut vor sich hin. Antwortete nicht. Infolgedessen nahm ich die Unterhaltung in meine Hand. „Ich bin mir durchaus bewusst, dass dies Laurianne nicht gefallen würde und du deiner Mutter gegenüber verpflichtet bist.“
„Selbst als ich Laurianne rettete, war ich nur wenige Tage weg. Es geht eben nicht länger. Sei denn, meine Mutter kommt mit.“
Wir beide schwiegen eine lange Weile, bis Derek erneut das Wort ergriff. „Warum bleibst du nicht einfach hier?“
„Könnten wir dann zusammen sein? Wärst du dann die ganze Zeit hier bei mir im Haus?“, fragte ich ihn beinahe vorwurfsvoll. Lies ihm jedoch keine Zeit zu sprechen und antwortete selbst darauf. „Nein. Könnest du nicht. Schließlich bist du jetzt verheiratet.“
„Ja schon. Aber……“, suchte Derek sich zu verteidigen.
„Aber was?“, fragte ich gereizt.
„Du weißt genau, warum ich sie heiratete. Verdammt noch mal!“ Derek schien fast verzweifelt zu sein. „Willst du mich jetzt dafür bestrafen?“
„Nein Derek. Ich bestrafe mich selbst. Und weißt du was? Es wäre wohl das Beste, du gehst.“
Derek rang nach Luft. Seine Augen starrten mich an. Er schnaufte. „Das willst du doch jetzt nicht wirklich? Es ist unser Abend. Und holst du Gunnar jetzt, würde das eine Zusage sein und du würdest mit ihm und Alexa am Montag verreisen.“
„Ja. So wird es wohl sein.“, erwiderte ich ruhig. Denn ich war gefasst und die Lage schien für mich ohnehin aussichtlos. WAS hätte ich denn anderes tun sollen? Besser JETZT noch die Tage bis Montag mit Gunnar verbringen, denn ich weiß genau, dass ich ihn keineswegs mit Alexa alleine fliegen lasse. Das kann ich nicht! Ich räume für sie NICHT das Feld! Dann eben gute Miene zu bösen Spiel! Gleichwohl, wenn es um Marie und die Zwillinge geht, die schließlich ebenso Gunnars Kinder sind. Ich weiß, er möchte sie zusammen bringen. Das verstehe ich doch. Dennoch bedeutete meine Entscheidung an diesem Abend, dass ich (eine Zeit lang) meine Einstellung zu Alexa und dem Baby und zu Marie und den Zwillingen ändern muss. Ich bin die freundliche Tante. Die First Lady an Gunnars Seite, die die Contenance zu wahren hat.
Ich rief Gunnar an. Derek ging und mein Ehemann kam.
Mit den Worten „Ich bin so stolz auf dich!“, begrüßte er mich freudig und schlang seine Arme um meinen Körper. Dann Küsse ohne Ende, verteilt über das ganze Gesicht. „Ich liebe dich mein Herz. Es ist einfach großartig! Ich freue mich so für uns….alle.“
Gunnar hatte meinen Kopf zwischen seinen Händen genommen und sah mir tief in die Augen. „Danke Rea. Danke dafür.“
Ich war total perplex, ob Gunnar euphorischer und ehrlicher Freude.
„Komm schon Rea. Lach doch mal.“, forderte mich Gunnar nun auf. „Du bist immer so traurig. Siehst noch viel schöner aus, wenn du lachst. WANN hast du überhaupt das letzte Mal gelacht? Kannst du dich noch daran erinnern?“
„Nein.“, antwortete ich ohne große Emotionen und arbeitet an meiner inneren Verwunderung.

Nun, da ich den weiteren Abend und die Nacht mit Gunnar verbrachte und er bis Montag (bis auf wenige Stunde, die er bei seinem Sohn (und Alexa) verbringt!) bei mir bleiben wird, steht der Deal. Ich fliege mit Gunnar, Alexa und dem Baby nach New Orleans.
Andererseits denke ich darüber nach, mich schlicht und einfach nicht an den Deal zu halten. Aber bringe ich das über mich? Vermutlich nicht. Und wenn ich nun in den kommenden Wochen, denn bisher ist nicht bekannt oder entschieden, wie lange die Reise dauern wird, meine Einstellung nicht wirklich ändere, schadet es mir nur und ich werde noch gänzlich depressiv. Infolgedessen arbeite ich besser an meiner Geisteshaltung. Man stelle sich vor, ich bewerkstellige es tatsächlich mein Innerstes umzukrempeln und Gunnar hätte Recht? Dann käme ich vermutlich in den Genuss von Freundschaft und innerem Frieden. Könnte es das wert sein, es zu versuchen? Nur glaube ich nicht daran, dass es funktioniert und ich denke dabei nicht unbedingt an mich. Sondern an Alexa. Schließlich fügte ich ihr bereits unzählige (gerechtfertigte!) Demütigungen zu. Wäre ich jetzt zu ihr freundlich, könnte sie tatsächlich noch in der Lage dazu sein, auch mir in ehrlicher Freundschaft zu begegnen? Und mit Marie wäre es noch heikler. Selbst wenn ich jetzt die Strahle -Frau bin (mime) und alle Bedenken, allen Argwohn, allen (berechtigten!) Hass gegen Alexa beiseiteschiebe und mich ihnen allen mit Aufrichtigkeit und Herzenswäre öffne, wäre es denn nicht längst zu spät dafür? Würde es denn überhaupt noch gelingen?
(Und im Grunde will ich das nicht! Ich will es nicht! Ich will es nicht! Ich will es nicht! Ich hasse Alexa in Grund und Boden! Sähe sie am liebsten tot! Wie könnte es mir dann gelingen, mein Innerstes zu revidieren? Umzuwandeln. Ich vermute, es wird nicht gehen. Dann bleibt es eben bei einer Show! Bei Lügen! Aber ich war noch niemals eine gute Schauspielerin! Es ist schlichtweg ein Desaster! Und Gunnars Schuld!)