Mittwoch, 23. August 2017

Zu Recht entgleist



In Montreal angekommen hatte ich nicht vor, auf Sashas Eltern zu treffen. Zumindest noch nicht im Augenblick. Er selbst bestand jedoch darauf.
„Um unser altes Apartment erneut zu mieten, ist es heute ein wenig spät.“, sagte Sasha zu mir und schlug daher vor, an diesem Abend im Haus seiner Eltern zu übernachten. Denn ein Hotel sagte mir ebenso wenig zu.
„Wie wäre es mit eurem Sommerhaus am See.“, fiel mir eine für mich erträglichere Variante ein.
„Zu spät. Der Schlüssel liegt ohnehin im Haus meiner Eltern.“ Er machte ein bedauerndes Gesicht.
Offenbar ging nun kein Weg mehr daran vorbei, Judith und Jakov zu sehen. Aber DAS war bei Weitem noch nicht das Schlimmste. Die für mich schier unerträglichste Überraschung folgte auf dem Fuß.
„OH! Hallo. Wie schön.“, wurden wir von Judith begrüßt, die echte Begeisterung zeigte. „Weißt du schon, dass deine Brüder ebenfalls hier sind?“, sagte sie zu Sasha hingewandt. „Sie sind gestern hier angekommen.“
Ich blieb noch augenblicklich stehen. Gedachte keinen Schritt mehr weiter zu gehen. Ich hatte nicht vor, dieser Abscheulichkeit seines Bruders – Misha -, der Gunnar und mir diese Art der Lebenslage angetan hatte, (seinen Brüdern überhaupt) zu begegnen. Das konnte schlicht und einfach nicht gut ausgehen!
Sasha erkannte sofort die Situation und mahnte mich noch umgehend zur Ruhe. Er nahm mich beiseite und beschwor mich beherrscht zu bleiben.
„Wissen deine Eltern überhaupt, WAS dieser Cretin schändliches tat?“, fragte ich ihn.
„Sicher nicht. Aber bitte, Rea, bewahre Ruhe und sprich nichts Unbesonnenes aus.“, flehte mich Sasha an. Usw….usf…..
Wut stieg in mir auf, welche ich sogleich unterdrückte. Schließlich sollte es nicht zum Eklat zwischen seinem Bruder und mir im Haus seiner Eltern kommen, die aller Wahrscheinlichkeit nach nichts von all DEM wussten, was dieser impertinente Narr getan hatte.
„Und wusstest DU, dass deine Brüder hier sein werden?“, fragte ich Sasha vorwurfsvoll. Denn schließlich hatte er erst vor zwei Tagen mit ihnen telefoniert.
„Ich wusste es nicht!“, beteuerte er.
„Kommt ihr jetzt herein, oder wollt ihr an der Tür stehen bleiben?“, fragte uns seine Mutter und nun hatte ich keine Wahl. Seine beiden Brüder waren zurzeit nicht hier und kamen dann erst später.

Dieses süffisante Grinsen seines Bruders, war die reinste Farce! Ich funkelte ihn an und hätte ihn am aller liebsten den Hals umgedreht! Beherrschte mich jedoch (vorerst!). Als sich jedoch die erste Gelegenheit bot, ging ich auf ihn zu, wich nicht aus und stieß ihn mit meinen beiden Fäusten vor die Brust, sodass er einen Schritt zurück tun musste. Er war überrascht.
Misha grinste nun noch hämischer. „Hey, hey, schöne Frau, wer wird denn hier so agro sein?“
Ich schnaubte vor Zorn! Setzte zur Ohrfeige an und er fing meinen Arm im Flug.
„Wow! Was für eine feurige Braut. Mein Bruder muss glücklich sein.“, ließ er nicht nach meine Stimmung noch weiter anzuheizen. (Was für ein provokanter Arsch. Dachte ich so. Kein Wunder, dass Leute ihn verprügeln woll-ten.)
„Du Dreckskerl hast noch mehr wie eine Ohrfeige verdient!“, entglitt es mir ohne nachzudenken. Es kam einfach aus meinem Mund heraus und am aller liebsten hätte ich noch unzählige Verwünschungen und Schläge nachgelegt, wäre ich nur dazu in der Lage gewesen.
„Maldita Cabron!“, fluchte ich weiter und dieser Misha hielt meine beiden Arme fest. Ich zappelte wie ein Fisch an der Angel und wütete weiter vor mich hin. Hatte völlig die guten Manieren beiseitegelegt und die Fassung verloren. Aber es war doch schließlich kein Wunder, angesichts dessen, was er mir und Gunnar angetan hatte.
„Was für ein Temperament. Davon hat mir mein Bruder gar nichts erzählt.“, sagte dieser Misha in einem blütenreinen deutsch und grinste mich fortwährend an. Das Deutsch verwunderte mich nicht, denn er lebt in Berlin. Und er ist ein blonder, doch recht attraktiver, junger Mann mit blauen Augen. Was für eine Verschwendung! Dachte ich noch. Wo er doch so ein verabscheuungswürdiges, manipulatives, selbstgerechtes arrogantes Innenleben hat. (Wie diese Leute nun einmal sind!)
Zum Glück eilte Sasha herbei und brachte mich zur Vernunft und beschwichtigte ihn. Beschwor mich geradezu, doch vernünftig zu sein.
Und wieder ging ich auf ihn los. „Nimm diesen Fluch zurück! Oder was auch immer du getan hast!“ Diesen Satz, diese Aussage, fand ich mehr als nötig, sie in seiner Gegenwart auszusprechen, sie ihm anzutragen. WENN ich ihm schon physisch gegenüber stand.
„Nein. Warum sollte ich das tun?.“
Nun hielt mich Sasha erneut zurück. „Lass gut sein. Bitte Rea. So kenne ich dich nicht.“
„Dann sieh es dir genau an. Vielleicht hasst du mich jetzt.“
„Meine Güte! Rea! Du bist doch kein Teenie mehr.“
„Ich wusste nicht, dass diese Frau so ein Wildfang ist, sonst hätte ich sie mir geangelt.“, reizte mich Misha weiter.
„Großer jiddischer!“, sprach es und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Nun hatte uns Elan, Sashas anderer Bruder, entdeckt. „Was geht hier vor?“, fragte er.
Sasha bedeutete mir zu schweigen. „Ich kläre das schon.“
Dieser Elan wusste selbstverständlich von all DEM, was sein Bruder Misha verbrochen hatte. Und WIE kam Sasha eigentlich dazu, mich zurechtzuweisen??? Was erlaubte er sich da?
Gut, mag sein, ich war völlig außer mir. Jedoch nicht ohne Grund!
Nun war ich dazu verdammt mit diesen Leuten den Abend zu verbringen. OMG!
Es half nichts. Ich musste ruhiger werden. Die Aufregung schadete mir nur. Und jedes Mal, wenn mich Misha ansah, grinste er in seiner Überheblichkeit. Sasha sah dem Treiben mit Bedenken zu. ICH hatte mich dann doch schlussendlich gefangen. Ignorierte ihn….und auch den anderen…..Bruder.

Zum Schluss war ich noch auf Sasha sauer. Im Grunde hatte er natürlich Recht. Ich hätte mich nicht derart vergessen dürfen. Ich hätte mich in der Tat nicht aufführen dürfen,…..wie eine Furie. Wie konnte ich nur so entgleisen? OMG! Hätten meine Eltern das gesehen…..sie hätten mich nicht wieder erkannt (oder mich nicht kennen wollen). Gunnar allerdings,….. hätte nur geschmunzelt…..und mich gelassen…….(Nur gut, dass mich Sashas Eltern nicht SO sahen! Was hätten sie nur von mir gedacht? – Was mir im Grunde doch gleichgültig sein konnte!)
Am liebsten wäre ich abgereist. Und es war nicht nur der Zorn. Ich schämte mich. Konnte Sasha nur schwerlich in die Augen sehen. Wie hatte ich ihm und letztendlich mir das nur antun können? Sasha war sicher immens von mir enttäuscht. Aber WAS rührte mich dies eigentlich an? Was interessierte es mich überhaupt, WAS ER dachte? (Natürlich mag ich ihn. Zugegeben. Genau daran lag es.)
Aber Sasha warf mir nichts vor. Am Ende, als wir allein miteinander waren, schmunzelte auch er über mein Temperament.
„Wow! Dann weiß ich, was mich erwartet, wenn ich dich verärgere.“ Er lachte laut, nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss.
Gunnar hatte sich bis dahin nicht gemeldet…….

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So, nun, heute Morgen hat sich Sasha um das Apartment bemüht, welches er schon einmal angemietet hatte. Zumindest vorübergehend. So übel war es dort nicht. Jedoch trotz alledem unter meinem Niveau. Und es ist mehr als nötig, dass er das Apartment bekommt. Denn…….als Sasha heute, am (frühen!) Morgen, nachdem wir rasch (ohne Sex) aufgestanden waren, für eine kurze Weile laufen war, geriet ich erneut mit seinem Bruder Misha aneinander und ich wollte, dass seine Eltern wissen, was er an mir und Gunnar verbrach. Schließlich war es genau DIE Erklärung, warum ich so wütend war. DAS konnten sie getrost wissen! Ich hatte nicht vor, in dieser Angelegenheit eine Märtyrerin zu sein und aus Anstandsgründen still zu schweigen. Nein! DAS war NICHT meine Art zu sein. (Dieses Schwein auch noch schützen. Niemals!) Es war so dringend nötig mich zurückzuhalten, alldieweil Zorn bereits erneut im Aufsteigen war. (Nicht gut! Gar nicht gut!)
Das Wortgefecht mit Misha entwickelte sich wiederholt zu einer heißen Diskussion, in welche nun Sashas Eltern ebenso verwickelt waren. (Und es kam alles auf den Tisch. Wurde alles angesprochen. Von Religion, über die sog. Verschwörung- Theorien, bis hin zum nicht rassistisch sein! – Denn eine Religion ist schließlich KEINE Rasse!) Ich klärte sie (schonungslos!) auf! Das war ich MIR und Gunnar schuldig! DAS war mein Part an diesem Ort. Es war DAS, was ich hier tun konnte, um diese unsägliche Angelegenheit womöglich doch noch rückgängig zu machen/machen zu lassen…zu wenden, zu klären, zu lösen.
Natürlich gelang es mir nicht. (Noch nicht.)
Als Sasha vom Joggen zurückkam und durch die Eingangstür des Hauses getreten war, hörte er bereits die lautstarke Debatte, was ihn dazu veranlasste noch umgehend zu uns zu eilen. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als er hörte, was hier gesprochen wurde. Das schien ihm alles überaus peinlich zu sein.
„Was ist?“, ging ich ihn an. „Ist es nicht gut, wenn deine Eltern die Wahrheit kennen?“
Er räusperte sich. Zog die Brauen hoch. Sah besorgt seine Eltern an.
„Wir haben uns schon geeinigt. Keine Angst. Es ist alles so weit in Ordnung mit uns.“, merkte seine Mutter (lügend!) an. NICHTS war hier geklärt! Wir hatten nur annährend (!) die Ruhe (so la, la) wieder gefunden und jeder kannte den Standpunkt des anderen.
Judith und Jakov waren genau wie Sasha, Misha und Elan der Meinung, dass ich mich endlich zu DEM bekennen sollte, was ich bin. Jüdisch. Was ich selbstreden eben NICHT tat, alldieweil es eine glatte Lüge war/ist! Ich beharrte (lautstark!) auf meinen keltisch-germanischen Wurzeln.
„Lasst sie doch.“, sagte dann Sashas Mutter. „Wir zwingen niemanden jiddisch zu sein, wenn er nicht will, auch wenn er es ist.“
SIE, nicht ER! Hätte ich beinahe ausgesprochen. Was für ein patriarchaler Terminus!!!

Nun, da Sasha uns etwas zum Frühstück mitgebracht hatten, aßen wir noch alle schweigend zusammen. Ich zog mich dann in mein Zimmer zurück und Sasha kümmerte sich um das Apartment. Wir bekamen es erneut und fuhren noch umgehend dorthin. Was für ein Glück!
Ich meine, WAS kann ich hier schon tun? Dieser Misha ist in keinem Fall dazu zu bewegen, etwas für mich und Gunnar zu tun. Im Gegenteil. In der hitzigen Debatte, hatte ich heute mit zwei Fingern auf ihn gezeigt und einen Fluch ausgesprochen. Woraufhin er dasselbe tat. Ob ich allerdings rasch genug meinen Schutzschild um mich errichtet hatte, kann ich nicht sagen. Und er hatte es grinsend angemerkt. „Ahh! Man beherrscht ein wenig Zauberei.“ Witzelte er hämisch. (Ich hätte ihm am liebsten eins auf den Mund gegeben!)
(ICH hatte ihm gewünscht, dass er solange keine Frau finden sollte, die ihn wirklich liebt, bis er ein besserer Mensch geworden ist. Was mir (unter den gegebenen Umständen) sogar überaus vernünftig erschien! ER hatte irgendetwas von Liebe zu Sasha gefaselt. Zumindest blieb er halbwegs vernünftig (?!) beim Hexen/(Ver-) Fluchen. Wünschte mir NICHT etwas Schlimmes an den Hals. In meiner Aufregung hatte ich es bedauerlicher Weise nicht richtig verstanden. Denn ich war genauso am Reden wie er. Und fragen konnte ich ihn schließlich nicht. Er hätte mir ohnehin nichts verraten. Wir werden sehen, WAS geschieht.

Ach ja, natürlich, beinahe hätte ich es vergessen zu erwähnen (vor lauter Zorn auf Sashas Bruder), ich habe heute Morgen zwei Mal mit Gunnar gesprochen und einmal aufgelegt, weil er anderweitig (mit Alexa) beschäftig schien/war.