Donnerstag, 1. Februar 2018

Der Weg der „Diplomatie“



Gunnar hatte eine ungewöhnliche lange Zeit mit Sasha geredet, bis er mich dann endlich zu sich winkte und ich mein Büro verlies, von wo aus ich bisher das Szenario beobachtet hatte.
Wir standen draußen im Flur, wo die Treppe vom Eingang her gerade nach oben kam. Die Angestellten blieben geballt hinter der Glastür stehen. Hielten gebührenden Abstand und starrten uns durch die Glasscheibe an. Nur Kevin rollte heraus. Gunnar bedeutete ihm sich zurück zu halten und so bezog er die Position gleich an der Tür zum Büro.
„Geh‘ mit ihm.“, sagte Gunnar zu mir, als ich kurz vor ihm stehen geblieben war. Kapitulation lag in seiner Stimme.
Ich sah ihn an, total verstört und verstand nicht, warum er mich anwies dies zu tun. Ich stand nun Sasha und Gunnar  gegenüber. Sah ungläubig von einem zum anderen und bewegte mich nicht. War wie erstarrt. Ich registrierte mit einem schnellen Blick die zwei Bodyguards, welche hinter Sasha standen, in einer Pose der Machtdemonstration.
„Geh‘ mit ihm!“, wiederholte Gunnar seine Aufforderung.
Wut stieg in mir auf. „NEIN!“, erwiderte ich kurz. Biss mir auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen.
„NEIN!“, wiederholte auch ich noch einmal. „Nein! Nein! Nein! Ich bliebe hier!“ Mein Atem begann sich rasant zu beschleunigen.
„Rea, bitte, bleib‘ ruhig und geh mit ihm.“ Gunnar ging die zwei Schritte auf mich zu und trat ganz nah an mich heran. „Vorerst.“, flüsterte er mir ins Ohr. „Wir ahnten beide bereits, dass irgendetwas geschieht, wogegen wir uns im Augenblick nicht zu wehren vermögen. Später. Ich kümmere mich darum. Versprochen.“
Ich fühlte einen Druck in meinem Kopf. Der Atem ging schwerer und schwerer. Dann keuchte ich nur noch. Ich sank in die Knie und Gunnar stützte mich.
„Bleib ruhig! Bitte Rea. Beherrsche dich.“  
Die Panik-Attacke nahm jedoch ihren Lauf.
Nun trat Sasha ebenso an mich heran. Zwei Männer, die mich stützten. Einer recht und der andere links.
„Beruhige dich Rea. Es geschieht dir doch nichts. Alles ist gut. Ich bin doch kein Fremder für dich.“, redete Sasha beschwichtigend auf mich ein. „Bin ich denn tatsächlich so ein Ungeheuer, dass du nicht mit mir kommen willst?“, fragte Sasha schließlich sanft mit einem Lächeln auf seinem Gesicht, als mein Atem ein wenig gemächlicher ging. „Rea, ich weiß, dass du mich liebst.“
Ich riss mich los von ihm und hielt krampfhaft den Arm meines Mannes fest. „Sasha, es geht nicht darum, dass ich nichts für dich empfinde. Aber ich liebe meinen Mann und bleibe hier.“ Ich tat einen hörbar tiefen Atemzug. „Versteh‘ das doch!“
Sasha hob leicht die Arme. Trat einen Schritt zurück. „Seit wann hast du Angst vor mir?“ Seine Stimme war mild und ruhig.
„Es ist keine Angst!“, brüllte ich so laut ich es vermochte. „Es ist deine Vehemenz, mit der du mich nötigst bei dir zu sein.“
„Ich glaube mich zu erinnern erwähnt zu haben, dass ich um dich kämpfen werde.“ Sasha sah uns nun beide an.
Gunnar schnaufte.
„Was soll das?“, setzte ich mich weiter zur Wehr und sah zu Gunnar auf. „Er kann mich nicht zwingen mit ihm zu gehen.“
„Doch das kann er.“, sagte Gunnar leise und sein Gesicht war wie aus Stein.
Ich schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein! Kann er nicht! Verdammt noch mal!“ Nun sah ich Gunnar fragend an.
„Geh‘ einfach mit ihm.“, wiederholte er die Aufforderung ein drittes Mal. „Im Augenblick ist es so. Was später sein wird, wird man sehen.“
Sasha kräuselte die Stirn und schwieg. Stand da, so majestätisch und würdevoll, wie ich es von ihm gewohnt war. Er schien erhaben über diese Situation und war sich durchaus  bewusst, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihn zu begleiten, was ich schlussendlich mit Zorn im Bauch und Trotz im Kopf tat. Er gab mir eine halbe Stunde Zeit, um das Wichtigste einzupacken.
„Du brauchst nicht viel. Deine Kleidung ist noch immer in Portland und ebenso in Montreal. Was du sonst noch benötigst, kaufe ich dir.“

-----------------------

Ich beruhigte mich nicht, schmollte und hatte Mühe, mich nicht wie ein trotziges Kind aufzuführen, bis wir am Flughafen angekommen waren. Dann schnaufte ich durch. Nahm Haltung an und tat, was zu tun war. Mein Gesicht allerdings drückte noch immer meine innere Haltung des Widerstandes aus.
Sasha schmunzelte und beobachtete mich. Das machte mich wütend. Aber ich zeigte es ihm nicht. Die Züge meines Gesichtes blieben steif. Ich bin schließlich kein Teenager mehr. Lernte mich (so la la!) zu beherrschen. Obwohl ich es viel zu oft eben NICHT fertig brachte und -bringe, gegen mein Gefühl zu handeln. Aber dieses Mal musste es offenbar sein und ich erinnerte mich rascher denn je, mich zügig auf eine neue Situation einzustellen, welche ich im Augenblick NICHT zu ändern vermag.
Sasha mag allesmögliche sein, dennoch weiß ich genau, dass er mich liebt und er mir nie etwas zu Leide tun wird. Es ist eben nur seine Art, seinem unendlich intensiven Verlangen nach mir Ausdruck zu verleihen. Und er ist ebenso nicht der schlechteste Mann, mit welchen man gezwungen wird zusammen zu sein. (Auch wenn ich es nicht mag und viel lieber bei Gunnar wäre!)

-----------------------------

Nach einiger Zeit lachte Sasha dann. „Komm‘ schon. Hör‘ auf zu schmollen.“, sagte er zu mir und reichte mir ein Sweatshirt, weil mir kühl geworden war.
„Was soll das eigentlich?“, bäumte ich mich noch einmal auf.
„Auf diese Frage muss ich wohl jetzt nicht antworten.“, erwiderte er lächelnd.
Er hatte Recht. Ich wusste selbstredend, um was es ihm und hier ging.

----------------------

Als mich Sasha das erste Mal ein wenig ungestüm küsste, alldieweil er sich offensichtlich nicht mehr zurückzuhalten vermochte, schrie ich auf.
„Was ist mit dir?“ Sasha war sichtlich erschrocken und ich zeigte ihm mit dem Hinweis, dass dies nichts Ansteckendes sei und nachdem er es sehen wollte, das Bläschen in meinem Mund.
„Das schmerzt und will ewig nicht wieder vergehen. Vielleicht könnten wir kurz DARÜBER reden?“, wurde ich ein wenig resolut.
Er strich mir liebevoll mit der linken Hand übers Haar. „Aber natürlich reden wir darüber, wenn du es magst, Rea. Und wir kümmern uns dann darum, wenn wir angekommen sind.“
Sasha hat nichts von seiner Warmherzigkeit mir gegenüber verloren. Ganz im Gegenteil. Seine Augen sprechen Bände, gleichwohl er es wohlerzogener Weise zumeist (tunlichst) vermeidet, sich vor dem Personal ganz familiär und emotional zu zeigen.

In Portland angekommen, hatte ich mich vollends auf die neue Situation eingestellt. Schließlich war ich keine wirklich Fremde hier und wir beide waren uns ebenso wenig fremd. 

.....und es regnet, wie so oft an diesem Ort.