Montag, 16. April 2018

Die Offensive


Ich gedachte Sasha tunlichst aus dem Weg zu gehen und ließ Dereks und meine Speisen zu mir nach Hause bringen. Sasha ließ mir jedoch diese Option nicht und klopfte samt Claire an meine Tür.
Ich bat ihn NICHT herein. Begrüßte ihn (und Claire) förmlich und tausche einige Floskeln auch schließlich mit Sasha (!) aus. Entschuldigte mich dann mit: „Tut mir leid, ich hatte eine anstrengende Woche und Ruhe täte mir gut.“ Eine Mimik des Bedauerns flog in Kürze über mein Gesicht und dann schloss ich die Tür. Phhuuuhha! Die erste Begegnung war überstanden und ich hatte ihn nicht wirklich ausgiebig zu Worte kommen lassen. Also, auf ein nächstes Mal und es wird sicherlich geschehen, denn er bleibt, lt. ihm (!), doch schon eine Weile lang hier, wie er sagte. Mehr hatte er mir in den wenigen Minuten, die ich ihm zugestand, nicht schildern, nicht entgegenbringen (verraten) können und es war mir gleichwohl egal. Ich werde es sicherlich……noch erfahren.
Gunnar rief nicht wieder an. Jedoch die Hoffnung blieb, dass er doch früher zurückkommen würde, ODER,…zumindest zwischendurch. Bis jetzt ist nichts davon geschehen und sicherlich wird es das nunmehr ebenso nicht mehr. Denn das Spiel beginnt in zwei Stunden. Was mich erahnen lässt, dass Gunnar heute kaum mehr zurückkommen wird. Dann eben erst Morgen. Ein kurzer Anruf, ein paar Worte von ihm, wären jedoch aus Gründen der Anständigkeit und vor allem seiner Lieben mir gegenüber, angebracht.

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Die Offensive
Noch immer kein Wort von meinem Mann bisher, der sich offenbar nicht weiter um mich sorgt und mich bei Derek in guten Händen wähnt, WAS selbstredend der Wahrheit entsprechen mag. Aber dennoch bedenkt Gunnar, jetzt wo er weiß, dass Sasha hier im Zentrum ist, nicht dessen Vehemenz, sein nicht vergessen können und die offenkundige und fortwährende Liebe zu mir, die Sasha, trotz seines verheiratet Sein mit Claire, dazu drängt, sich in meine Nähe zu begeben, um mich womöglich doch noch – irgendwann, oder auch gleich – für sich zu gewinnen, in Anspruch zu nehmen. Aber WAS würde dann mit Clair? Frage ICH mich. Dafür findet ein einfallsreicher (jüdischer) Kopf wie Sashas sicherlich eine Lösung. Und in der Tat, HEUTE schritt er in die Offensive. Was sicherlich ebenso der Tatsache von Gunnars Abwesenheit geschuldet war. Denn Derek ist nicht immer, nicht jede Stunde, Minute, Sekunde bei mir gewesen bis hier her, was man verstehen mag. Schließlich sind da noch andere Verpflichtungen, vor allem seiner Mutter gegenüber, die ich selbstverständlich respektiere. Ansonsten gibt es nichts auszusetzen, an meinem Wochenendmann. (Welchen ich irgendwo noch immer, so ganz ins Geheim, oder gleichwohl ein wenig offensichtlicher, liebe. Und auch IHM mangelt es nicht an Liebe zu mir.)
So denn, heute, am frühen Morgen läutete Kevin bei mir an, um nachzufragen, wie es mit dem wöchentlichen Briefing stehe.
Ich schnaufte. War gerade so erwacht. „Kannst du das nicht selber tun? Oder liegt etwas Dringendes an, das meine Anwesenheit erfordert.“, fragte ich ihn und er verneinte. In seiner Stimme jedoch vernahm ich einen enttäuschten Unterton und ich wusste, weshalb dieser so offenkundig hörbar vorhanden war. Er sehnte sich nach mir. (Das war mir klar!) Schlicht und einfach nur danach, in meiner Nähe zu sein. Mich zu sehen, zu riechen, mit mir zu sprechen und ggf. mich zu berühren oder ganz und gar zu küssen.
Ich vertröstete ihn auf Nachmittag. „Ich komme später dann noch im Büro vorbei.“, und wir klärten noch ein paar geschäftliche Dinge, die nicht aufzuschieben waren. Daraus ergaben sich nun meine nachfolgenden Aktivitäten, bis zum Vortrag im kleinen Saal, dessen ich zu lauschen gedachte. Derek war, nachdem er eine Runde Laufen, unter der Dusche war und mir bei der Arbeit half, mit mir zum Restaurant gegangen und begleitete mich dann dorthin. Da ihn das Thema der Lesung jedoch nicht wirklich tangierte, entschuldigte er sich und ging,……zu seiner Mutter, wohl auch rasch zu Giselle, wie fast täglich, und zum Fitnesscenter, um seinen sportlichen Aktivitäten nachzugehen. Denn, so ein ansehnlicher Body wie der Seine, entsteht schließlich nicht von selbst und möchte in Form gehalten werden.
Noch während der Zeit, als Derek in der Dusche war, hatte mich Sasha angerufen. Fragte, wo ich sei, was ich gerade tun würde oder heute noch tun wolle und ICH, aus welchen Gründen auch immer, sprach unerwarteter Weise recht freimütig mir ihm. Und wieder….verstand ich mich nicht. WIE, um Himmels Willen, konnte ich so derart aufrichtig und unverhohlen seine doch recht spezifizierten Fragen datiert beantworten? Was war los mit mir? Gerade eben noch vermied ich es ihm zu begegnen und schlug ihm förmlich die Tür vor der Nase zu. Schon wieder ein….Sinneswandel? Nur aus welchem Anlass heraus??? War es ausschließlich seine bloße Anwesenheit hier? (Eine Unterwürfigkeit? – Gehorsamkeit? – Ein etwaig eingepflanztes Stockholm-Syndrom?) Gewöhnte ich mich erneut so rasch an seine….Nähe? Wäre es möglich, dass ich noch immer Liebe für ihn empfinde und sei es auch nur wenig? DIES gestand ich mir freilich nicht ein oder zu! Schließlich liebe ich meinen Mann - der allerdings seit Freitagabend nicht zugegen war - und Derek nicht all zu minder. Was sollte also diese verborgene, von mir unerkannte (?) Zuneigung??? Ist mir völlig unverständlich!
Mehr als offensichtlich wurde DIESE allerdings, als sich Sasha im kleinen Saal zu mir setzte, als Derek gegangen war.
Hatte Sasha etwa darauf gewartet, dass Derek ging? Beobachtete er mich womöglich? Es war eine eigenartige Situation, in welcher ich mich anfänglich sichtlich unwohl fühlte.
„Wo ist deine Frau?“, fiel mir nur ein zu fragen. Denn ignorieren konnte ich ihn nun nicht mehr.
Er schien zu lächeln. Ich nahm den leisen Ton eines Schmunzelns wahr. „Ich sagte es dir bereits am iPhone. Ich habe sie mit einer Gesellschafterin auf eine Schweden-Tour geschickt, damit sie ihre neue Heimat ein wenig besser kennenlernt. Denn wir bleiben eine Weile hier. Nicht nur für einen Urlaub. Ich leite die Geschäfte meines Vaters nun von diesem Standort aus.“
„Und ER war einverstanden?“ Ein Wunder überhaupt, dass ich so rasch die Worte fand…zu fragen.
Sasha nickte. „Ja.“ Auch Sasha war nun reichlich offen. Schien mir kaum mehr etwas zu verheimlichen, was schon erstaunlich war. Daher nutze ich die Gelegenheit und wir sprachen ungezwungen über Absichten, Tatsächlichkeiten, Einstellungen, Politik und Familiäres, Intimes in der Vergangenheit, Gegenwart und mutmaßten in die Zukunft hinein. So Komprimiertes in kurzer Zeit hatte ich von ihm noch nie erfahren. Er gestand mir in vielen Dingen zu, Recht zu haben. Gerade eben, was die Politik betraf und er meinte, dass es KEIN Zufall sei, doch eher ein Zeichen, dass wir nun gemeinsam hier bei einem Vortrag säßen, der von unserem beständig strittiges Thema handelte, welches ich hier nicht weiter ausführen möchte (da….vermutlich gefährlich). Sasha räumte ein, wie früher schon, auf meine Seite zu wechseln, was die politischen Ansichten betraf, würde ich ihn nur erhören. Claire hingegen sah er nicht als Stolperstein. Über SIE gedachte er nicht viel zu reden. In jedem Fall waren Sashas Eltern noch immer daran interessiert, mich als Schwiegertochter zu bekommen, anstatt, wie bereits geschehen, Claire. Wir würden doch beide ehrwürdigen (Blut-) Lienen entstammen, sagte er, die wir dann vereinen….könnten.. Und trotz meiner Sicht auf die Welt, oder gerade deshalb, würde die Verbindung unserer beider Leben, im kleinen wie in einem größeren Rahmen vorteilhaft sein. Gleich wie.
Sasha hatte sich offenbar reichlich informiert in der kurzen Zeit, in welcher ich ihn nicht gesehen hatte. Er hatte mit Geistlichen seines Glaubens gesprochen, die ihm die Bedeutung unserer Verbindung näher offenbarten.
„Es gibt zwei Möglichkeiten“, begann er zu erklären. „Ich hole dich auf meine bisherige Seite….“ Das bisher, betonte er.
„….der Hörigkeit deiner Obrigkeit gegenüber.“, unterbrach ich ihn, worauf er nicht weiter achtete. Denn er sprach dann einfach weiter.
„…….weil du nun einmal bist wer du bist. So könnten wir die Seite des auserwählten Volkes stärken.“
Ich verbarg das kurze Entsetzen und den aufkommenden Zorn in mir und sprach genauso ruhig aus wie er, was ich dazu dachte. „Zu denen auch DU gehörst und denen DU bisher willig dientest. Glaubest du tatsächlich all das, was sie dir offerierten?“, wurde ich vehement-er.
„Ja natürlich glaubte ich das und ich tue es zum Teil noch immer. Denn Veränderung geschieht nicht über Nacht. Zugute solltest du mir zumindest halten, dass ich mich ausgiebig informierte und ja, es gibt auch in unseren Reihen eine Opposition. Dessen bin ich mir nun doch bewusst und auch, dass es zahlreiche und große Lügen gibt. Aber lass mich weiter reden.“, sprach es und ich hörte Sasha aufmerksam zu. „Oder ich wechsle auf deine Seite und wir sind, mit anderen Paaren, der Beginn einer neuen friedlichen Ära zwischen unseren Völkern, weil du schließlich…….Deutsche bist. Aber es wäre ein Kampf gegen Windmühlen. Meinst du nicht?“, was implizierte, dass es besser sei für mich (für uns!?), eben dies nicht zu tun und stattdessen DEM Plan zu folgen, wie er bisher bestand.
Es brauchte eine Weile, bis ich verstand (und ich kann nicht wirklich sagen, ob ich es bereits verstehe, was er meint)…………..und dann ließ ich mich tatsächlich…..küssen………
„Wäre es nicht der Kampf des kleinen Hans gegen den großen David?“, suchte ich eine für mich schlüssige Pointe auszusprechen.
Er grinste. „Das KÖNNTE man so sagen.“
Zurück zum Haus ging ich dann allerdings (besser) allein. Denn ich wusste, Derek kam, um mich zum Dinner abzuholen und es hätte nicht gut ausgesehen, wäre ich mit Sasha zusammen gewesen.
„Wie lange ist Claire denn unterwegs?“, fragte ich Sasha noch.
Er lächelte mich an. „So lange ich es will.“
Ich musste grinsen. Da war sie wieder, diese Hybris. Allerdings hatte ich noch zwei Fragen. „Wie regelst du dein Intimes ohne Claire?“
Er lachte gerade heraus. „Keine Sorge, das bekomme ich schon hin. Vielleicht ist es ganz gut, mich ein wenig in Enthaltsamkeit zu üben. O-d-e-r, ggf.…..“, und nun zwinkerte er mir zu, „wir treffen uns gelegentlich.“
Ich hielt den Atem an und begann nach einem Hüstler zu verneinen.
„Gunnar wird ab Morgen wieder im Zentrum sein.“, sagte ich stattdessen. „Macht es dir nichts aus?“
Er zuckte nur mit den Schultern. „Ich gebe dich nie auf.“