Camille hatte ein Brett und ein
Messer vor mir auf den Tisch gelegt, damit ich die Okras schneiden konnte.
„Ich weiß, du sonst nicht selbst
kochen musst. Aber es gut zu wissen, wie es geht.“ Sie zwinkerte mir zu und schnitt
die Andouille in viereckige Stücke.
„Oder magst du doch lieber die
Mehlschwitze zubereiten?“, fragte sie lachend. Alldieweil sie genau wusste,
dass ich das noch nie getan hatte. Aber es war kein Spott in ihrer Stimme.
Nein. Eher eine freundliche Sanftmütigkeit. Ja beinahe Verständnis.
Nun legte sie mir Paprika, Zwiebeln,
Lauch und Tomaten auf den Tisch. „Das dürfte genügen. Du schneidest und ich
erzähle.“, und wieder lachte sie schallend.
Camille sprach über die Regenbogenschlange.
Über Damballa, Ayida, seine Frau und wie sie die Welt gemeinsam entstehen ließen.
„Der spirituelle Nektar, den sie erschufen, reproduziert sich in jedem Mann und
jeder Frau als Samen und Milch. Die Schlange und der Regenbogen lehrten die
Menschheit die Zusammenhänge zwischen Menstruation und Geburt, sowie dem
höchsten Voodoosakrament des Blutopfers. „Blut ist eine gewaltige Substanz. Sie
enthält den Code deines Lebens und transportiert die Lebensenergie.“ Sie begann
ein Lied zu summen und als sie sah, dass ich mich bereits nach wenigen Minuten
im Rhythmus wiegte, ließ sie es besser, bevor ich mich wieder auf den Boden
wälzte, wie sie lachend bemerkte.
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Am späten Nachmittag bereitete
Camille einen Kräutersud (Ewe) für eine rituelle Waschung zu. „Wir nehmen
Kräuter für jedes Orisha, um zu ermitteln, welche dir am nähesten stehen. Dann
sehen wir, was du träumst und später, werden wir orakeln.“
Es wurde eine Art Kräuterbad daraus,
bei welchen sie mir, um die Mitternachtszeit, in einer Wanne mit Wasser, dem
Sud und anderen Ölen oder Essenzen mit einem Büschel von Kräutern wieder und
wieder über den Körper strich. (Yosop, Verbena hastata, Baldrian und Salbei.
Lotus, Kamille und Sonnenhut. Minze, Yams und Löwenzahn. Luzerne, Beifuß und
Weißdorn. Hibiskus, Beinwell und Sarsaparilla.)
Sie murmelte Gebete, wusch mir die
Haare mit Omiero, dem Kräutersud und erzählte mir noch mehr Geschichten von den
Orishas. Marie hatte mir damals bereits davon berichtet. Kurz bevor wie
gemeinsam zu dieser geheimen Zeremonie am Ufer des Mississippi aufbrachen.
Damals fand ich es spannend, und heute, wurde es ernst.
Ich schlief aus am Montagmorgen.
Fühlte mich schon viel besser als einen Tag zuvor. Es muss in etwa um die
Mittagsstunde gewesen sein, als ich mich gerade noch einmal streckte und
räkelte, als Camille fast unmerklich die Tür öffnete und herein lugte. Als sie
sah, dass ich wach war, kam sie sogleich zu mir ans Bett. Sie fragte mich nach
meinen Träumen und ich erzählte ihr von einer schönen, jungen Mulattin. Ich war
im Traum durch die Straßen von New Orleans gewandert und hatte von weitem Musik
gehört. War ihr nachgegangen und hatte in einem kleinen Saal auf einer Bühne
eine Band gefunden, die Samba spielte. Ich hörte eine Weile zu und als die
Musiker eine Pause einlegte, stieg die Sängerin von der Bühne und kam an mir
vorbei. Sie lächelte und ich sah mich (herausfordernd) an.
„Du weißt nicht, wer ich bin?“,
fragte sie lachend und wiederholte es immer wieder.
Camille lachte nun ebenfalls und ich
wusste nun selbst, es war Ohsun!
„Du bist ein Kind Oshuns.“, sagte sie
und klatschte sich dabei enthusiastisch auf die Schenkel. „Ich hätte es mir
denken können. Und sie hat dich selbst erwählt. Der Tradition entsprechend wird
in einer Zeremonie mit dem Orakelbrett das Hauptorisha der betreffenden Person ermittelt.
Wessen Kind du also bist. Aber hier hast du es selbst erträumt.“ Camille
lächelnde wissend und nickte mir zu. „Nun werden wir deine vier anderen Orishas
noch finden müssen.“
Sie stand auf und nur wenige Minuten
später stand mein Frühstück auf dem Tisch.
„Nimm dir Zeit.“, sagte sie und ging
zurück in die Küche, um noch eine Schale mit Obst und eine andere mit Gebäck zu
holen. Icetea hatte sie ebenfalls gleich mitgebracht. Nun warf sie mir einen
bedeutungsvollen Blick zu und hob den Zeigefinger. „Und jetzt, werden wir
orakeln.“, sagte sie und verließ noch einmal das Zimmer und als sie zurückkam,
brachte sie ein etwa zwanzig Zentimeter großes Holzbrett (Opon-Ifa) und die
dazu gehörigen Kolanüsse mit den eingearbeiteten Kauris darinnen mit. Zwei
„männliche“ und zwei „weibliche“. Obi, werden sie genannt.
Jedoch bevor sie mit der Divination
begann, steckte sie sich eine dicke Zigarre an und reinigte mit dem heiligen
Rauch den Raum und uns. Dann begann sie ein Gebet zu murmeln. Das so genannte
„Mojuba“ – Ich erweise Ehre. Es dauerte ziemlich lange und ich vermute, sie
wiederholte es einige Male.
Bevor sie die Obis „warf“,
besprenkelte sie sie mit Wasser und chantete ein anderes Gebet. Dazu nahm sie
die Obis in die linke Hand und klopfte mit der Rechten drei Mal auf den Boden.
„Ille mo ki e o. Ille mo ki e o. Ille
mo ki e o“
(Schrein, ich grüße dich).
Nun wechselte sie die Obis in die
rechte Hand und klopfte mit der Linken wieder drei Mal auf den Boden.
„Ille mo ki e o iki eye. Ille mo ki e
o iki eye. Ille mo ki e o iki eye:“
(Schrein, ich grüße dich in Ehren).
Und noch einmal wechselten die Obis
von Hand zu Hand und die Rechte klopfte jetzt wieder auf den Boden.
„Ille mo ki e o iki eye.“, wurde
erneut drei Mal gechantet.
Nun warf sie die Nusshälften aus das
Brett.
Nach einer langen Weile und vielen
Geschichten und Gesprächen ermittelten wir, dass Yemoja/Olukun, mein zweites
Orisha ist. Shango mein Drittes. Eshu-Elegba mein viertes und Ogun mein
Fünftes.
Das alles war überaus anstrengend.
Daher ruhten wir anschließend aus, aßen, was Camille gekocht hatte und
unterhielten uns dann eher zwanglos eine kurze Weile und es dauerte nicht
lange, bis ich eingeschlafen war.
Am nächsten Dienstagmorgen wachte ich
auf und vermisste Gunnar neben mir.
Was würde ER tun? Wie würde er sich
fühlen? Vermisste er mich ebenso wie ich ihn?
„Aber natürlich tut er das.“, hörte
ich Camills Stimme und schon stand sie neben mir mit einem Tablett voller
Köstlichkeiten, samt einer dampfenden Tasse Kaffees.
An diesem Tag, gab es noch mehr
Geschichten und wir fertigten gemeinsam meine Ilekes an.
Um mich nicht zu überfordern und mir
ein wenig Zeit zum nachsinnen und träumen zu geben, ließ sie mich den Rest des
Tages allein. Erst am Abend kam sie mit köstlichen Speisen zurück, die wir
entspannt lachend und tratschend zu uns nahmen.
Am nächsten Tag, dem Mittwoch, folgte
die Ilekes – Zeremonie.
Das Unangenehmste, was ich dabei zu
tun hatte, war die Perlenketten in einer Vertiefung der Erde in Blut zu weihen.
Nun hatte ich meine eigenen, heiligen
Ilekes. Fünf Stück in verschiedenen Farben, welche den jeweiligen Orisha
zugeordnet war.
„Und Morgen“, sagte Camille zu mir, „werden
wir los ziehen, um die Gegenstände für deinen Orakelbeutel zu finden. Denn ich
habe bemerkt, dass du dafür einen Blick und ein Händchen hast. Aber zuvor“, nun
kramte sie in einer Schublade, nahm einen kleinen Lederbeutel heraus, setzte
sich wieder zu mir und legte den Beutel vor mich auf den Tisch, „gebe ich dir
den Beutel der sieben Kräfte. Er ist wie ein schützendes Amulett. Du kannst ihn
umhängen, aber auch in deine Hosen- oder Handtasche stecken. Nur solltest du
ihn immer bei dir tragen.“
Den Rest des Tages erzählte sie mir
über den Inhalt des Beutels und wie man ihn herstellt, damit ich mir oder
anderen gegebenenfalls einen ebensolchen Beutel herzustellen vermochte.
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„Wie viele Divination Methoden gibt es denn eigentlich?“, fragte
ich am darauf folgenden Tag, als wir bereits unterwegs waren, um die
Gegenstände für meinen Orakelbeutel zu finden „Und wann kann ich Gunnar endlich
wieder sehen? Warum ist er eigentlich nicht hier? Und wie lange bleibe ich noch
bei dir?“
„So viele Fragen auf einmal.“ Ein
breites Lächeln huschte über Camilles Gesicht. „Doch bevor ich antworte, noch
eine Anmerkung zum Inhalt des Orakelbeutels.“ Für einen Augenblick blieben wir
stehen und Camille sah mir direkt in die Augen.
„Handle intuitiv. Wenn du, gleich wo,
etwas siehst was deine Aufmerksamkeit erregt, dich augenblicklich anspricht,
das kann ein Stein sein, eine Muschel, ein Würfel oder etwas in den Auslagen
eines Geschäftes, dann nimm es.“
„Gut.“, antwortete ich. „Dann werde
ich mich jetzt darauf konzentrieren.
Während wir gemächlich durch Straßen,
Gassen und auch auf Wegen ein wenig abseits gingen, beantwortete sie meine
Fragen und auf die, welche mir am dringendsten erschien, antwortete sie zu
aller erst.
„Du wirst deinen geliebten Gunnar
bald wieder sehen. Jeder von euch hat diese Zeit für sich gebraucht.“
Ich war stehen geblieben und sah sie
an. Wollte eigentlich fragen, wie ER sein wird, nach dem Zauber. Jedoch
erübrigte sich meine Frage noch im Augenblick, denn Camille beantwortete auch
sie ausführlich und mit einem Lächeln im Gesicht.
Überhaupt hatte sie stets eine
harmonische, positive Grundstimmung. Nie wurde sie ungehalten oder gar
ärgerlich. Sie fluchte nicht und sagte kein einziges, beleidigendes Wort über
andere. War stets fair, verständnisvoll und mitfühlend.
Camille war eine alte, dunkelhäutige
Frau, die ich etwa auf siebzig schätzte. Fragen wollte ich sie jedoch nicht.
Sie war etwas kleiner als ich und ihre Figur, sowie ihre Kleidung entsprachen
ihrem Alter. Keine auffällige Erscheinung. Nur ihre Ausstrahlung war schon eine
ganz Besondere.
Die suche der „Zutaten“ für meinen
Orakelbeutel dauerte den gesamten Tag und am Abend war ich so derart erschöpft
gewesen, dass ich sogleich nach dem Essen zu Bett gegangen war. Camille hatte
nichts weiter dazu gesagt. Sie ließ mich schlafen und weckte mich am
Freitagmorgen mit einem rasselnden Geräusch.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich,
wie sich etwas Rotes mit weißen Zeichnungen über meinen Kopf hin- und her
bewegte.
„Shango weckt dich.“, sagte sie
lächelnd und rasselte weiter meinen Körper auf und ab. „Die Schwingung der
Rassel klärt die Luft. Jagd die bösen Geister fort.“
Ich dachte an Gunnar. Er fehlte mir.
Nun hatte ich schon eine Woche ohne ihn verbracht, wo Kevin bei mir gewesen
war. Sprudelte vor Glück über, war dankbar und erleichtert ihn endlich wieder
bei mir zu haben und nun war ich erneut eine ganze Woche ohne ihn.
„Ich will zu meinem Ehemann.“,
forderte ich.
„Das kannst du. Morgen früh, wird er
dich abholen.“
„Noch eine Nacht ohne ihn. Das will
ich nicht!“, monierte ich weiter.
Camille holte tief Luft und stand
auf, während sie sich räusperte. „Die eine Nacht, wirst du noch ohne ihn
auskommen. Wir werden heute deinen Orakelbeutel fertigen und ich zeige dir, wie
du ihn benutzt.
Am späten Abend, kurz bevor ich
einschlief, war Camille noch einmal zu mir gekommen. Sie setzte sich aufs Bett,
nahm meine Hand und sah mir mit einem mitfühlenden Blick entgegen. „Wie fühlst
du dich heute?“, fragte sie.
Ich schnaufte. „Nicht wirklich gut.
Mir ist noch immer ein wenig schwindelig. Gleichwohl es auch Momente der
Besserung gegeben haben mag, und ohne Gunnar fühle ich mich stets nur wie ein
halber Mensch.“
„Ich weiß“, begann sie über Dinge zu
reden, die sie eigentlich nicht wissen konnte, und über welche ich noch nicht
einmal selbst nachgedacht hatte. „Du fühlst dich in Gegenwart von Frauen nicht
wirklich wohl. So oft du es auch bewusst oder unbewusst versuchtest, schlug es
fehl und nach kurzer Zeit gabst du auf.“
„Was meinst du damit?“
„Du verspürst einen ständigen Mangel
und weißt nicht warum. Hast es selbst noch nicht einmal definiert.“
„Einen Mangel? An was denn?“, fragte
ich. Aber Camille redete einfach weiter, ohne speziell auf meine Frage
einzugehen.
„Es ist die Gesellschaft, die so ist,
wie sie ist. Wir leiden alle einen Mangel. Frauen und Männer. Die einen mehr.
Die anderen weniger. Wir füllen unser Leben mit so vielen Dingen und dennoch
sind wir einsam. Suchen den richtigen Partner fürs ganze Leben. Hängen der
romantischen Liebe nach. Verzehren uns vor Leidenschaft, die mehr Leiden
schafft, als das sie etwas gibt. Ergründen aber nie, wo die Ursachen liegen.“
Sie machte eine kleine Pause und
wirkte nachdenklich dabei. Ich wartete ab, bevor ich vetonierte. Einsprüche
erhob.
„Siehst du, in naher Vergangenheit
hast du es mehrmals versucht, dich mit Frauen zu verschwestern. Aber es gelang
dir nicht. Weil wir Frauen über viele Generationen so konditioniert worden
sind. Nachdem du Marie als Freundin an die Männer verloren hattest, kam Sarah
ins Spiel. Du engagiertest sie, um nicht allein zu sein. Ihr versteht euch ganz
gut. Aber dennoch fühlst du dich ausschließlich mit ihr nicht wirklich wohl.
Sie ist eine gefühlte Fremde. Dann der Versuch der Schwesternschaft. Du riefst
die Clan-Schwestern ins Leben, nachdem du bemerktest, dass du dich bei den
älteren Frauen, im Kaffeekränzchen, wie du es zu nennen pflegst“, bei diesen
Worte lächelte sie ein wenig ironisch,
„mehr als unwohl fühltest. Obgleich du es versuchtest, mit Kaffee und
Kuchen und immer wieder mit Emilia Stephansdottier. Denn du ahntest, dass sie
dir viel zu lehren hätte, und im Augenblick ist es dir auch ganz gut gelungen
mit ihr in gutem Einvernehmen zu sein. Nur die Clanschwestern gabst du
letztendlich auch wieder auf und die Leitung ab an eine andere Frau.“
Was war DAS jetzt? Hielt sie mir
einen Vortrag darüber, wie ich mich verhalten und fühlen sollte? Derartiges
mochte ich nicht wirklich, hörte aber dennoch weiter zu.
„Bist du ausschließlich mit Frauen
zusammen, hast du nie ein wirklich gutes Gefühl. Nur in der Gegenwart von
Männern, oder dem derzeit bevorzugtem Mann, fühlst du dich behütet, beschützt
und geborgen. Ist ER nicht ein Fremder für dich?“, fragte mich Camille und sah
mich aufmerksam an.
„Gunnar ist doch kein Fremder.“,
setzte ich mich sogleich zur wehr. „Nur
mit und bei ihm fühle ich mich ganz. Gut, er war anfangs nicht meine erste Wahl
und sicherlich könnte ich mich mit anderen Männern ähnlich fühlen. Aber da er
doch auch mein Seelenpartner ist und ich bereits viele Leben mit ihm zusammen
verbrachte, erscheint es mir richtig so wie es ist. Und mit der Zeit gewöhnte
ich mich an ihn und habe mich tatsächlich in ihn verliebt.“
Ein mildes Lächeln schwabbte mir
entgegen. Aber der Fluss meiner Worte riss nicht ab. „Gehören weibliche und männliche
Energie nicht zusammen? Bedingen sie sich nicht gegenseitig? Wie zwei Pole?
Zwei Seiten einer Münze? Wie Licht und Schatten? Yin und Yang? Getrennt, aber
dennoch zusammen gehörend. Ist es nicht gut, wenn Frau und Mann füreinander da
sind. Und womöglich gab es auch einst eine ganz andere Gesellschaft. Weder
patriarchal noch matriarchal. Natürlich ist die matriarchale, so wie wir sie
jetzt definieren, die bessere. Ohne Frage! Zumindest als die, in der wir im Augenblick
leben. Nur ist es nicht vorstellbar, dass es trotz alldem schon immer
romantische Beziehungen gegeben hat. Denn Gefühle lügen doch nicht. Sie sind
da, und nicht erst seit heute. Auch die früheren Menschen haben sie
wahrgenommen. Sich in Liebe verzehrt. Gleichwohl es anders ausgesehen haben mag
als heute. Oder die Prioritäten in der Gesellschaft ganz anders verteilt waren.“
schwelgte ich im glühendem Engagement. In einer Art Ausweg und Verteidigung in
einem.
„In der matriarchalen
Gesellschaft gibt es selbstverständlich
auch eine Art von romantischer Beziehung. Sie ist ganz natürlich, zwanglos und
in das Leben integriert. Man redet nicht weiter darüber.“
„Woher willst du das wissen?“ Ich
biss mir auf die Zunge. Soweit hätte ich jetzt nicht gehen dürfen. Zumindest
nicht in dieser aggressiven Form.
Camille lächelte trotz meines
Angriffs mild und voller Verständnis.
Trotz alledem argumentierte ich
weiter: „Jede Frau sehnst sich doch nach einem männlichen Partner. Jeder Mann
nach einer Frau!“
„Aber es funktioniert nicht auf
Dauer.“, entgegnete sie jetzt. „Selbst auf das einbinden der beiden
Geschlechter in einer Ehe, folgte das Zulassen der Scheidung.“
„Die Paare arrangieren sich doch! Wer
will denn schon gern alleine sein?!“
„In einem Matriclan wärst du niemals
allein. Nur, wenn du es selbst wolltest. Und es ist dabei gleichgültig, ob du
alt oder jung bist. Du hättest immer viele Schwestern um dich herum. Sie geben
dir die Wärme und Geborgenheit die du brauchst.“ Ich schnappte nach Luft und
wollte etwas erwidern. Jedoch Camille redete einfach weiter. „Der auserwählte
Mann ist nur eine zeitweilige oder vorübergehende Erscheinung. Vielleicht auch
nur, um ein Kind zu zeugen.“
„Wir sind doch keine Tiere, dass wir
uns nur zur Fortpflanzung paaren.“
„Nein. Wir empfinden Lust dabei und
das ist gut so. Nur, ist da auch das Hirn zum denken.
„Ja, und ich denke, nein, ich weiß,
wie du bereits sagtest, dass ich mich mit Frauen nicht wohl fühlen kann. Warum
sollte ich dann mit ihnen zusammen sein wollen? Ich bin doch schließlich nicht
lesbisch!“
„Aus patriarchaler Sicht scheint es
lesbisch zu sein, sobald Frauen miteinander lachen oder ganz und gar glücklich
sind. Aber ist es nicht das Natürlichste dieser Welt?
„Für mich nicht!“, blieb ich unbeirrt.
„Und wenn schon! Sie sind auch nur Menschen und enttäuschen genauso wie die
Männer. Welche schwulen Männer sind mehr als ein, oder zwei Jahre zusammen? Sie
wechseln doch ständig die Partner.“
„Das mag bei den Männern schon so sein.
Aber lesbische Frau sind oft ein Leben lang zusammen.“
„Für mich klingt das wie ein
Paradoxum an sich. Also bleibt man doch ein Leben lang beieinander und muss
genauso Beziehungsarbeit leisten. Dabei ist es doch gleichgültig ob ich nun mit
einem Mann oder einer Frau zusammen bin. Die Bedingungen des Lebens wären die
gleichen.“
„Frauen untereinander verstehen
einander besser.“
„Männer ebenso und außerdem ist das
alles mit einem Mann genauso möglich!“, beharrte ich weiterhin auf meinem
Standpunkt.
„Gut.“, sagte Camille und ich war
irritiert. „ Du hattest aber auch schon viele Männer. Wechseltest sie, bevor es
dir langweilig wurde.“
„Es ist mir mit Gunnar nicht
langweilig.“
„Warte ab, was passiert. Jetzt ist er
ein ganz NORMALER Mann.“
„Aber wie lange wird das sein?“, gab
ich zu bedenken. „Das letzte Mal hielt der Zauber nur kurze Zeit und
anschließend wurde es schlimmer und schlimmer.“
„Mag sein, dass wir nicht wissen, wie
Gunnars Art nun wirklich zukünftig sein wird. Aber DU wirst es als erste
bemerken und uns wahrscheinlich dann alles berichten.“ Noch immer überzog ein
wohl gemeintes Lächeln Camilles Gesicht. Kein einziges Anzeichen von Ärger oder
gar Zorn.
Ich gab auf. War müde vom Tag und vom
Reden. „Morgen?!“, vergewisserte ich mich noch einmal bevor ich schlief.
Camille nickte und ging.
-------
Der Abschied von Camille war wenig
spektakulär.
„Nicht das du denkst mit dem
Crash-Kurs in Voodoo sei jetzt alles zu Ende. Nein. Damit fängt erst alles an. Wir werden uns wieder sehen. Gar
keine Frage!“, und noch einmal hörte ich ihr herzliches, volles Lachen, bevor
ich in den Wagen stieg und mit Gunnar nach Hause fuhr.
Vorgestern vermochte ich hier noch
nichts zu schreiben. Ich wollte Gunnar genießen. ENDLICH wieder bei ihm sein!
Er selbst schien mir ebenso glücklich,
denn sogleich, als wir ankamen, vereinigten wir uns und flossen hingebungsvoll ineinander. Der Sex war
ungeheuer leidenschaftlich und erfüllend. Beide strahlten wir den ganzen Tag.
Schmiegten uns aneinander und ließen uns nicht mehr los. Waren schlicht und
einfach glücklich,.... endlich wieder beieinander zu sein!
Zudem hatten wir uns viel zu
erzählen. Ich noch viel mehr als er mir.
Gunnar hörte mir aufmerksam zu bis zu
dem Punkt, wo es um Frauen und Männer ging. Da musste er, ob meiner
Hartnäckigkeit halber, herzlich lachen.
„Es kommt auch immer auf die Männer
an.“, sagte ich und legte erneut meine Arme um seinen Hals. „Jetzt wird alles gut.“, hauchte ich
in sein Ohr.
„Ja.“, wisperte er leise und mehr als
überzeugend zurück.