In Montreal angekommen hatte ich nicht vor, auf Sashas Eltern
zu treffen. Zumindest noch nicht im Augenblick. Er selbst bestand jedoch
darauf.
„Um unser altes Apartment erneut zu mieten, ist es heute
ein wenig spät.“, sagte Sasha zu mir und schlug daher vor, an diesem Abend im
Haus seiner Eltern zu übernachten. Denn ein Hotel sagte mir ebenso wenig zu.
„Wie wäre es mit eurem Sommerhaus am See.“, fiel mir eine
für mich erträglichere Variante ein.
„Zu spät. Der Schlüssel liegt ohnehin im Haus meiner
Eltern.“ Er machte ein bedauerndes Gesicht.
Offenbar ging nun kein Weg mehr daran vorbei, Judith und
Jakov zu sehen. Aber DAS war bei Weitem noch nicht das Schlimmste. Die für mich
schier unerträglichste Überraschung folgte auf dem Fuß.
„OH! Hallo. Wie schön.“, wurden wir von Judith begrüßt,
die echte Begeisterung zeigte. „Weißt du schon, dass deine Brüder ebenfalls
hier sind?“, sagte sie zu Sasha hingewandt. „Sie sind gestern hier angekommen.“
Ich blieb noch augenblicklich stehen. Gedachte keinen Schritt
mehr weiter zu gehen. Ich hatte nicht vor, dieser Abscheulichkeit seines
Bruders – Misha -, der Gunnar und mir diese Art der Lebenslage angetan hatte, (seinen
Brüdern überhaupt) zu begegnen. Das konnte schlicht und einfach nicht gut
ausgehen!
Sasha erkannte sofort die Situation und mahnte mich noch
umgehend zur Ruhe. Er nahm mich beiseite und beschwor mich beherrscht zu
bleiben.
„Wissen deine Eltern überhaupt, WAS dieser Cretin
schändliches tat?“, fragte ich ihn.
„Sicher nicht. Aber bitte, Rea, bewahre Ruhe und sprich
nichts Unbesonnenes aus.“, flehte mich Sasha an. Usw….usf…..
Wut stieg in mir auf, welche ich sogleich unterdrückte.
Schließlich sollte es nicht zum Eklat zwischen seinem Bruder und mir im Haus
seiner Eltern kommen, die aller Wahrscheinlichkeit nach nichts von all DEM
wussten, was dieser impertinente Narr getan hatte.
„Und wusstest DU, dass deine Brüder hier sein werden?“,
fragte ich Sasha vorwurfsvoll. Denn schließlich hatte er erst vor zwei Tagen
mit ihnen telefoniert.
„Ich wusste es nicht!“, beteuerte er.
„Kommt ihr jetzt herein, oder wollt ihr an der Tür stehen
bleiben?“, fragte uns seine Mutter und nun hatte ich keine Wahl. Seine beiden
Brüder waren zurzeit nicht hier und kamen dann erst später.
Dieses süffisante Grinsen seines Bruders, war die reinste
Farce! Ich funkelte ihn an und hätte ihn am aller liebsten den Hals umgedreht!
Beherrschte mich jedoch (vorerst!). Als sich jedoch die erste Gelegenheit bot,
ging ich auf ihn zu, wich nicht aus und stieß ihn mit meinen beiden Fäusten vor
die Brust, sodass er einen Schritt zurück tun musste. Er war überrascht.
Misha grinste nun noch hämischer. „Hey, hey, schöne Frau,
wer wird denn hier so agro sein?“
Ich schnaubte vor Zorn! Setzte zur Ohrfeige an und er fing
meinen Arm im Flug.
„Wow! Was für eine feurige Braut. Mein Bruder muss
glücklich sein.“, ließ er nicht nach meine Stimmung noch weiter anzuheizen. (Was für ein provokanter Arsch.
Dachte ich so. Kein Wunder, dass Leute ihn verprügeln woll-ten.)
„Du Dreckskerl hast noch mehr wie eine Ohrfeige
verdient!“, entglitt es mir ohne nachzudenken. Es kam einfach aus meinem Mund
heraus und am aller liebsten hätte ich noch unzählige Verwünschungen und
Schläge nachgelegt, wäre ich nur dazu in der Lage gewesen.
„Maldita Cabron!“, fluchte ich weiter und dieser Misha
hielt meine beiden Arme fest. Ich zappelte wie ein Fisch an der Angel und
wütete weiter vor mich hin. Hatte völlig die guten Manieren beiseitegelegt und
die Fassung verloren. Aber es war doch schließlich kein Wunder, angesichts
dessen, was er mir und Gunnar angetan hatte.
„Was für ein Temperament. Davon hat mir mein Bruder gar
nichts erzählt.“, sagte dieser Misha in einem blütenreinen deutsch und grinste
mich fortwährend an. Das Deutsch verwunderte mich nicht, denn er lebt in
Berlin. Und er ist ein blonder, doch recht attraktiver, junger Mann mit blauen
Augen. Was für eine Verschwendung! Dachte ich noch. Wo er doch so ein
verabscheuungswürdiges, manipulatives, selbstgerechtes arrogantes Innenleben
hat. (Wie diese Leute nun einmal sind!)
Zum Glück eilte Sasha herbei und brachte mich zur Vernunft
und beschwichtigte ihn. Beschwor mich geradezu, doch vernünftig zu sein.
Und wieder ging ich auf ihn los. „Nimm diesen Fluch
zurück! Oder was auch immer du getan hast!“ Diesen Satz, diese Aussage, fand
ich mehr als nötig, sie in seiner Gegenwart auszusprechen, sie ihm anzutragen.
WENN ich ihm schon physisch gegenüber stand.
„Nein. Warum sollte ich das tun?.“
Nun hielt mich Sasha erneut zurück. „Lass gut sein. Bitte
Rea. So kenne ich dich nicht.“
„Dann sieh es dir genau an. Vielleicht hasst du mich
jetzt.“
„Meine Güte! Rea! Du bist doch kein Teenie mehr.“
„Ich wusste nicht, dass diese Frau so ein Wildfang ist,
sonst hätte ich sie mir geangelt.“, reizte mich Misha weiter.
„Großer jiddischer!“, sprach es und hielt sich mit beiden
Händen den Kopf. Nun hatte uns Elan, Sashas anderer Bruder, entdeckt. „Was geht
hier vor?“, fragte er.
Sasha bedeutete mir zu schweigen. „Ich kläre das schon.“
Dieser Elan wusste selbstverständlich von all DEM, was
sein Bruder Misha verbrochen hatte. Und WIE kam Sasha eigentlich dazu, mich
zurechtzuweisen??? Was erlaubte er sich da?
Gut, mag sein, ich war völlig außer mir. Jedoch
nicht ohne Grund!
Nun war ich dazu verdammt mit diesen Leuten den Abend zu
verbringen. OMG!
Es half nichts. Ich musste ruhiger werden. Die Aufregung
schadete mir nur. Und jedes Mal, wenn mich Misha ansah, grinste er in seiner
Überheblichkeit. Sasha sah dem Treiben mit Bedenken zu. ICH hatte mich dann
doch schlussendlich gefangen. Ignorierte ihn….und auch den anderen…..Bruder.
Zum Schluss war ich noch auf Sasha sauer. Im Grunde hatte
er natürlich Recht. Ich hätte mich nicht derart vergessen dürfen. Ich hätte
mich in der Tat nicht aufführen dürfen,…..wie eine Furie. Wie konnte ich nur so
entgleisen? OMG! Hätten meine Eltern das gesehen…..sie hätten mich nicht wieder
erkannt (oder mich nicht kennen wollen). Gunnar allerdings,….. hätte nur
geschmunzelt…..und mich gelassen…….(Nur gut, dass mich Sashas Eltern nicht SO
sahen! Was hätten sie nur von mir gedacht? – Was mir im Grunde doch
gleichgültig sein konnte!)
Am liebsten wäre ich abgereist. Und es war nicht nur der
Zorn. Ich schämte mich. Konnte Sasha nur schwerlich in die Augen sehen. Wie
hatte ich ihm und letztendlich mir das nur antun können? Sasha war sicher
immens von mir enttäuscht. Aber WAS rührte mich dies eigentlich an? Was
interessierte es mich überhaupt, WAS ER dachte? (Natürlich mag ich ihn.
Zugegeben. Genau daran lag es.)
Aber Sasha warf mir nichts vor. Am Ende, als wir allein
miteinander waren, schmunzelte auch er über mein Temperament.
„Wow! Dann weiß ich, was mich erwartet, wenn ich dich
verärgere.“ Er lachte laut, nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss.
Gunnar hatte sich bis dahin nicht gemeldet…….
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So, nun, heute Morgen hat sich Sasha um das Apartment bemüht,
welches er schon einmal angemietet hatte. Zumindest vorübergehend. So übel war
es dort nicht. Jedoch trotz alledem unter meinem Niveau. Und es ist mehr als
nötig, dass er das Apartment bekommt. Denn…….als Sasha heute, am (frühen!)
Morgen, nachdem wir rasch (ohne Sex) aufgestanden waren, für eine kurze Weile
laufen war, geriet ich erneut mit seinem Bruder Misha aneinander und ich
wollte, dass seine Eltern wissen, was er an mir und Gunnar verbrach.
Schließlich war es genau DIE Erklärung, warum ich so wütend war. DAS konnten
sie getrost wissen! Ich hatte nicht vor, in dieser Angelegenheit eine
Märtyrerin zu sein und aus Anstandsgründen still zu schweigen. Nein! DAS war
NICHT meine Art zu sein. (Dieses Schwein auch noch schützen. Niemals!) Es
war so dringend nötig mich zurückzuhalten, alldieweil Zorn bereits erneut im
Aufsteigen war. (Nicht gut! Gar nicht gut!)
Das Wortgefecht mit Misha entwickelte sich wiederholt zu
einer heißen Diskussion, in welche nun Sashas Eltern ebenso verwickelt waren. (Und es kam alles auf den Tisch.
Wurde alles angesprochen. Von Religion, über die sog. Verschwörung- Theorien,
bis hin zum nicht rassistisch sein! – Denn eine Religion ist schließlich
KEINE Rasse!) Ich klärte sie (schonungslos!) auf! Das war ich MIR
und Gunnar
schuldig! DAS war mein Part an diesem Ort. Es war DAS, was ich hier tun
konnte, um diese unsägliche Angelegenheit womöglich doch noch rückgängig zu
machen/machen zu lassen…zu wenden, zu klären, zu lösen.
Natürlich gelang es mir nicht. (Noch nicht.)
Als Sasha vom Joggen zurückkam und durch die Eingangstür
des Hauses getreten war, hörte er bereits die lautstarke Debatte, was ihn dazu
veranlasste noch umgehend zu uns zu eilen. Er schlug die Hände über dem Kopf
zusammen, als er hörte, was hier gesprochen wurde. Das schien ihm alles überaus
peinlich zu sein.
„Was ist?“, ging ich ihn an. „Ist es nicht gut, wenn deine
Eltern die Wahrheit kennen?“
Er räusperte sich. Zog die Brauen hoch. Sah besorgt seine
Eltern an.
„Wir haben uns schon geeinigt. Keine Angst. Es ist alles
so weit in Ordnung mit uns.“, merkte seine Mutter (lügend!) an. NICHTS war hier
geklärt! Wir hatten nur annährend (!) die Ruhe (so la, la) wieder gefunden und
jeder kannte den Standpunkt des anderen.
Judith und Jakov waren genau wie Sasha, Misha und Elan der
Meinung, dass ich mich endlich zu DEM bekennen sollte, was ich bin. Jüdisch.
Was ich selbstreden eben NICHT tat, alldieweil es eine glatte Lüge war/ist! Ich
beharrte (lautstark!) auf meinen keltisch-germanischen Wurzeln.
„Lasst sie doch.“, sagte dann Sashas Mutter. „Wir zwingen
niemanden jiddisch zu sein, wenn er nicht will, auch wenn er es ist.“
SIE, nicht ER! Hätte ich beinahe
ausgesprochen. Was für ein patriarchaler Terminus!!!
Nun, da Sasha uns etwas zum Frühstück mitgebracht hatten,
aßen wir noch alle schweigend zusammen. Ich zog mich dann in mein Zimmer zurück
und Sasha kümmerte sich um das Apartment. Wir bekamen es erneut und fuhren noch
umgehend dorthin. Was für ein Glück!
Ich meine, WAS kann ich hier schon tun? Dieser Misha ist
in keinem Fall dazu zu bewegen, etwas für mich und Gunnar zu tun. Im Gegenteil.
In der hitzigen Debatte, hatte ich heute mit zwei Fingern auf ihn gezeigt und
einen Fluch ausgesprochen. Woraufhin er dasselbe tat. Ob ich allerdings
rasch genug meinen Schutzschild um mich errichtet hatte, kann ich nicht sagen.
Und er hatte es grinsend angemerkt. „Ahh! Man beherrscht ein wenig Zauberei.“ Witzelte
er hämisch. (Ich hätte ihm am
liebsten eins auf den Mund gegeben!)
(ICH hatte ihm gewünscht, dass er
solange keine Frau finden sollte, die ihn wirklich liebt, bis er ein besserer
Mensch geworden ist. Was mir (unter den gegebenen Umständen) sogar überaus
vernünftig erschien! ER hatte irgendetwas von Liebe zu
Sasha gefaselt. Zumindest blieb er halbwegs vernünftig (?!) beim Hexen/(Ver-)
Fluchen. Wünschte mir NICHT etwas Schlimmes an den Hals. In meiner Aufregung
hatte ich es bedauerlicher Weise nicht richtig verstanden. Denn ich war genauso
am Reden wie er. Und fragen konnte ich ihn schließlich nicht. Er hätte mir
ohnehin nichts verraten. Wir werden sehen, WAS geschieht.
Ach ja, natürlich, beinahe hätte ich es vergessen zu
erwähnen (vor lauter Zorn auf Sashas Bruder), ich habe heute Morgen zwei Mal
mit Gunnar gesprochen und einmal aufgelegt, weil er anderweitig (mit Alexa)
beschäftig schien/war.