Kevin war in der
Tat gestern aufgebracht, ob Gunnars Gespräch mit ihm bezüglich unseres Reisetermins
am Montag. Es ging nicht etwa darum, dass er dachte, das Zentrum mit Mike allein
nicht leiten zu können. Nein. Darum ging es nicht. Es ging um mich.
Es scheint ihm,
womöglich auch nur in diesen Tagen, in denen der Termin seiner Heirat mit
Janina, der Schwester seiner verunfallten Frau, näher rückt, über die Maßen
unangenehm zu sein, mich nicht bei sich zu haben, oder zumindest zu sehen.
„Wie kannst du
mir das antun?“, begann er sein Plädoyer. „Ich dachte, du überlegst es dir noch
vielleicht bis dahin. Und wenn nicht, würde es mich trotz alledem riesig
freuen, wenn du an diesem Tag bei mir wärst. Wer weiß, wie lange ihr reist. Ihr
bleibt doch sicherlich nicht nur eine Woche dort und kommt noch umgehend
zurück. Denn Marie und Henriks Hochzeitstag ist schließlich ebenfalls zu Beltane.
Und dann werdet ihr aller Wahrscheinlichkeit nach, noch zu Alexas Eltern nach
Kalifornien fliegen. Empfindest du das etwa als angenehm?!?“
„Nein. Tut ich
nicht. Und ich denke über andere Optionen nach, seitdem ich es weiß. Das kannst
du mir glauben.“
„Warum bleibst
du nicht einfach hier. Das wäre das Beste. Meinst du nicht auch?“, schlug Kevin
vor.
„Ja. Der Gedanke
kam mir ebenfalls. Was hätte ich schon davon, mit jemand anderen sonst wohin zu
reisen, wenn ich hier meine Bequemlichkeiten genießen kann?“
„Mich
hast du hier!“, intervenierte Kevin. „Und mit wem wolltest du noch mal wohin verreisen, wenn nicht mit Gunnar?“
„Ich dachte an
Derek…….vielleicht.“, sagte ich Gedanken versunken. Sasha Fliess oder Jason
erwähnte ich selbstverständlich nicht in diesem Zusammenhang. Das musste Kevin
nicht wissen. „Aber jetzt, wo er verheiratet ist, scheint es immer schwieriger
mit ihm zu werden.“
„Tja. Was dachtest
du denn? Diese Laurianne wollte Derek doch von Anfang an. Jetzt hat sie ihn
endlich. Ziel erreicht, würde ich sagen. Wie auch immer.“
„Sie nutzte ihre
Situation fabelhaft, um zu bekommen, was sie wollte. Warum kann ich
das nicht? Warum bin ich nicht so?“
Kevin lachte. „Weil
du ehrlich bist.“
„Ja.“, sagte ich
leise, um dann doch die Situation etwas lauter und munterer wieder aufzuhellen.
„Und warum verreisen nicht wir beide?“ Genau genommen war diese Frage von
meiner Seite nicht wirklich ernst gemeint. Denn ich wusste, dass er
nicht so leicht mit mir verreisen konnte. Schließlich war da noch seine Janina.
Und erneut ein Lachen
von ihm. Was überhaupt ein Wunder ist, nachdem doch sein Vater Rudolf-Heinz im
Dezember letzten Jahres verstorben war. „Wir könnten alles miteinander tun,
würdest du dich nur für mich entscheiden. Noch ist Zeit. Aber dazu fehlen dir
die Eier in der Hose.“ Kevin grinste mich verwegen an.
Ich wehrte ab. „Nein.“
„Was dann? Ist
es meine fehlende Mobilität.“
„Nein!“, wurde
ich vehementer. Denn ich wollte nicht, dass Kevin an mir zweifelt
und denkt, es läge an dem, an dem es tatsächlich liegt.
Gleichwohl dies musste er nicht wissen! Sollte er ruhig denken, ich wäre
trotz seiner Behinderung noch bereit, mit ihm zusammen zu sein. Selbstverständlich
wäre ich das auch und ich würde mich sicherlich an das gewöhnen, was
mir im Augenblick noch Probleme macht, wenn ich daran denke, mit ihm zusammen
zu sein. Es schmerzt mich so immens zu sehen, wie er sich quält, ohne die
Funktion seiner Beine, die nur noch dünne Stelzen sind. Und dann sind da noch
die Beutel mit Urin und Code, weil auch diese Körperteile ihre Tätigkeit
verloren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dergleichen leben kann. Janina hat
sich offenbar daran gewöhnt. Zudem wäre er nicht in der Lage, mich vor was auch
immer zu beschützen. Ich brauche einen Mann der das kann. Deshalb offenbar der
Hang zu Großen, Muskulösen, sowie meinen Ehemann, Jason, Derek oder auch Sasha Fliess.
Aber egal. Wir
diskutierten, redeten noch eine Weile lang weiter und am Ende ließ ich alles
offen, alldieweil ich in der Tat noch nicht wusste, wie meine Entscheidung nun
ausfallen wird. Fliege ich nun am Montag mit Gunnar, Alexa und dem Baby, oder
nicht? Ich konnte es zu diesem Zeitpunkt nicht sagen und auch jetzt
bin ich mir noch längst nicht sicher damit, auf Grund dessen was dann geschah
und mich zu etwas zwingt, was ich nicht wirklich will. Jedoch andererseits wäre
es wohl tatsächlich besser, Gunnar nicht mit Alexa allein zu überlassen.
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Es gab reichlich
zu tun, gestern noch. Gunnar besprach mich die ganze Zeit, meine Einstellung zu
ändern, dann wäre es leichtere für mich mit ihnen zu reisen. Meinte er.
In der
Zwischenzeit rief Derek an, um zu fragen, ob unser gemeinsamer Donnerstagabend
steht. „Ja. Selbstverständlich.“
„Wo bist du
denn? Im Haus ist kein Licht.“, sagte er.
„Warum kommst du
mich nicht abholen. Wir sind noch im Restaurant.“
„Okay.“
„War das Derek?“,
fragte mich Gunnar und ich nickte mit dem Kopf.
„Ja. Er wird
gleich kommen, um mich abzuholen. Denn du wolltest doch ohnehin gleich nach dem
Dinner zu Alexa gehen.“
„Ich hätte dich
selbstverständlich noch nach Hause gebracht. Was denkst du denn nur von mir?“
Gunnar lächelte milde und zwinkerte mir
zu, während ich so leise am Jammern war.
„Wieso tust du
das? Ich möchte nicht, dass du zu ihr gehst. Ich will dich bei mir haben.“,
flehte ich.
Gunnar pustete
laut und hörbar die Luft durch seine angespitzten Lippen. Zog die linke
Augenbraue hoch. „Machen wir einen Deal.“, schlug er vor und sein Gesicht
zeigten ein wenig verschlagene Züge. Aber auch Hoffnung lag darin.
Ich horchte auf.
Kniff die Augen zusammen. „Was meinst du damit?“, fragte ich ihn.
„Ich bleibe bei
dir, wenn du mir versprichst, am Montag mit uns zu fliegen. Aber nicht nur
einfach so. Ändere deine Einstellung. Sei kein Miesepeter. Du brauchst dringend
Aufheiterung. Bist stets so traurig und ohne Freude.“
„Wie soll ich
denn glücklich sein?“, wurde ich böse.
„Was stört dich
denn so? Alexa?“
„Ja. Natürlich….sie!“
„Sie ist aber
die Mutter meines Sohnes.“
„Und das wird
sie auch immer bleiben. Und was denkst du dir eigentlich? Soll ich als fünftes
Rad am Wagen mit euch ziehen? Wie sieht das denn aus? Wie soll ich mich dabei
fühlen?“ Fragen über Fragen prasselten über Gunnar herein. Doch er blieb ruhig.
Ließ sich auf keine weiterführende Diskussion ein. Verwies stattdessen auf
seinen Deal. „Also was nun? Steht unser Deal?“
„Und du bleibst
die ganze Zeit über bis Montag bei mir?“, fragte ich zweifelnd.
„Ja. Bis auf ein
paar kurze Besuche bei meinem Sohn. Und ich hoffe, das ist okay für dich?“
Ich schüttelte
mit dem Kopf. „Ich weiß nicht.“ Und im selben Moment stand Alexa mit dem Baby
am Tisch.
„Setzt dich
doch.“, forderte Gunnar seine Geliebte auf.
„Aber DAS gehört
nicht zu unserem Deal!“, monierte ich sogleich.
„Also nimmst du
an?“ Gunnar strahlte.
Und ich war
zögerlich.
Alexa schaute
von einem zum anderen. „Was für ein Deal?“, fragte sie dann und Gunnar erklärte
es ihr und sie schien sich sogar darüber zu freuen. Insbesondere über den Part,
in welchem ich freundlich zu ihr zu sein hatte. Was erhoffte sie sich
denn? Sollte ich sie das vielleicht fragen? Warum eigentlich nicht?
Ich bot alles an
Contenance auf, was ich zur Verfügung hatte und lächelte sie an. „Nun, Gunnar
gelingt es womöglich doch noch, dass wir Freundinnen werden. Sich sein Traum
von der großen, glücklichen Familie erfüllt. Denn bisher bin ich
ihm in diesem Fall immer noch ein Dorn im Auge. Tue nicht das, was ich soll.“
Alexa wusste
offenbar nicht wirklich, was sie erwidern sollte. Wiegte ihr Kind und schaute
zu Gunnar hinüber.
„Ich dachte du
freust dich, wenn Rea endlich und tatsächlich gewillt ist, auf dich zu zu
gehen.“
„J-a schon.“,
antwortete sie überaus zaghaft und ich sah in ihren Augen den Argwohn, ob
Gunnars Zuversicht. „Es ist nur ein Deal, in welchen sie sich an die Regeln
halten müsste. Nichts weiter. Ist sie dann wirklich freundlich zu mir, wäre es
nur gespielt.“
„Und ich kann
das nicht!“, wandte ich ein. „Schließlich bin ich keine Lügnerin.“
„Siehst du
Gunnar, es wird nichts werden.“, sagte sie schon fast weinerlich. Gerade so,
als ob ihr in der Tat noch immer daran läge, meine Freundin sein.
„Ja.“, stimmte
ich in diesem Fall Alexa sogar zu. „Ich weiß nicht, wie das gehen soll?“, wand
ich ein und blieb dabei ernst.
Gunnar sah uns
beide an und begann zu grinsen. Richtete dann das Wort an mich. „Würdest du
ehrlich deine Einstellung ändern, wäre es nicht gelogen. Es liegt an dir Rea.
An die ganz allein.“
Am liebsten
hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. WAS dachte er sich nur, alle
Verantwortung und Entscheidung auf mich abzuwälzen?! Zudem schien er es erneut
erzwingen zu wollen, dass es eine freundliche Annäherung meinerseits an Alexa
gab.
Sollte ich den
Deal annehmen oder nicht? Und während ich so darüber nachdachte, kam Derek
herein, um mich abzuholen.
Letztendlich,
und in diesem Moment, ging ich mit Derek zu mir nach Hause. Allerdings mit der
Option, es mir doch noch anders überlegen
zu können und Gunnar womöglich dann umgehend, an diesen Abend noch, anzurufen.
Denn der Deal galt nur noch, und ebenso für mich, bis zum Ende dieses Abends,
an welchem ich mit meinem Ehemann zusammen sein wollte.
Im Haus
angekommen, unterhielt ich mich mit Derek über Gunnars Angebot.
„Wie wäre es
denn, wenn wir beide verreisen?“, fragte ich ihn gleich zu Beginn, um ihn sanftmütig
zu stimmen.
Derek pustete laut
vor sich hin. Antwortete nicht. Infolgedessen nahm ich die Unterhaltung in
meine Hand. „Ich bin mir durchaus bewusst, dass dies Laurianne nicht gefallen
würde und du deiner Mutter gegenüber verpflichtet bist.“
„Selbst als ich
Laurianne rettete, war ich nur wenige Tage weg. Es geht eben nicht länger. Sei denn,
meine Mutter kommt mit.“
Wir beide
schwiegen eine lange Weile, bis Derek erneut das Wort ergriff. „Warum bleibst
du nicht einfach hier?“
„Könnten wir
dann zusammen sein? Wärst du dann die ganze Zeit hier bei mir im Haus?“, fragte
ich ihn beinahe vorwurfsvoll. Lies ihm jedoch keine Zeit zu sprechen und
antwortete selbst darauf. „Nein. Könnest du nicht. Schließlich bist du jetzt
verheiratet.“
„Ja schon. Aber……“,
suchte Derek sich zu verteidigen.
„Aber was?“,
fragte ich gereizt.
„Du weißt genau,
warum ich sie heiratete. Verdammt noch mal!“ Derek schien fast verzweifelt zu
sein. „Willst du mich jetzt dafür bestrafen?“
„Nein Derek. Ich
bestrafe mich selbst. Und weißt du was? Es wäre wohl das Beste, du gehst.“
Derek rang nach Luft.
Seine Augen starrten mich an. Er schnaufte. „Das willst du doch jetzt nicht
wirklich? Es ist unser Abend. Und holst du Gunnar jetzt, würde das eine Zusage
sein und du würdest mit ihm und Alexa am Montag verreisen.“
„Ja. So wird es
wohl sein.“, erwiderte ich ruhig. Denn ich war gefasst und die Lage schien für
mich ohnehin aussichtlos. WAS hätte ich denn anderes tun sollen? Besser JETZT
noch die Tage bis Montag mit Gunnar verbringen, denn ich weiß genau, dass ich
ihn keineswegs
mit Alexa alleine fliegen lasse. Das kann ich nicht! Ich räume für
sie NICHT das Feld! Dann eben gute Miene zu bösen Spiel! Gleichwohl, wenn es um
Marie und die Zwillinge geht, die schließlich ebenso Gunnars Kinder sind. Ich
weiß, er möchte sie zusammen bringen. Das verstehe ich doch. Dennoch bedeutete
meine Entscheidung an diesem Abend, dass ich (eine Zeit lang) meine Einstellung
zu Alexa und dem Baby und zu Marie und den Zwillingen ändern muss. Ich bin die
freundliche Tante. Die First Lady an Gunnars Seite, die die Contenance zu
wahren hat.
Ich rief Gunnar
an. Derek ging und mein Ehemann kam.
Mit den Worten „Ich
bin so stolz auf dich!“, begrüßte er mich freudig und schlang seine Arme um
meinen Körper. Dann Küsse ohne Ende, verteilt über das ganze Gesicht. „Ich
liebe dich mein Herz. Es ist einfach großartig! Ich freue mich so für uns….alle.“
Gunnar hatte
meinen Kopf zwischen seinen Händen genommen und sah mir tief in die Augen. „Danke
Rea. Danke dafür.“
Ich war total
perplex, ob Gunnar euphorischer und ehrlicher Freude.
„Komm schon Rea.
Lach doch mal.“, forderte mich Gunnar nun auf. „Du bist immer so traurig. Siehst
noch viel schöner aus, wenn du lachst. WANN hast du überhaupt das letzte Mal
gelacht? Kannst du dich noch daran erinnern?“
„Nein.“, antwortete
ich ohne große Emotionen und arbeitet an meiner inneren Verwunderung.
Nun, da ich den
weiteren Abend und die Nacht mit Gunnar verbrachte und er bis Montag (bis auf
wenige Stunde, die er bei seinem Sohn (und Alexa) verbringt!) bei mir bleiben
wird, steht der Deal. Ich fliege mit Gunnar, Alexa und dem Baby nach New
Orleans.
Andererseits
denke ich darüber nach, mich schlicht und einfach nicht an den Deal zu halten.
Aber bringe ich das über mich? Vermutlich nicht. Und wenn ich nun in den
kommenden Wochen, denn bisher ist nicht bekannt oder entschieden, wie lange die
Reise dauern wird, meine Einstellung nicht wirklich ändere, schadet es mir nur
und ich werde noch gänzlich depressiv. Infolgedessen arbeite ich besser an
meiner Geisteshaltung. Man stelle sich vor, ich bewerkstellige es tatsächlich mein
Innerstes umzukrempeln und Gunnar hätte Recht? Dann käme ich vermutlich in den
Genuss von Freundschaft und innerem Frieden. Könnte es das wert sein, es zu
versuchen? Nur glaube ich nicht daran, dass es funktioniert und ich denke dabei
nicht unbedingt an mich. Sondern an Alexa. Schließlich fügte ich ihr bereits
unzählige (gerechtfertigte!) Demütigungen zu. Wäre ich jetzt zu ihr freundlich,
könnte sie tatsächlich noch in der Lage dazu sein, auch mir in ehrlicher Freundschaft
zu begegnen? Und mit Marie wäre es noch heikler. Selbst wenn ich jetzt die Strahle
-Frau bin (mime) und alle Bedenken, allen Argwohn, allen (berechtigten!) Hass
gegen Alexa beiseiteschiebe und mich ihnen allen mit Aufrichtigkeit und
Herzenswäre öffne, wäre es denn nicht längst zu spät dafür? Würde es denn überhaupt
noch gelingen?
(Und im Grunde
will ich das nicht! Ich will es nicht! Ich will es nicht! Ich will es nicht!
Ich hasse Alexa in Grund und Boden! Sähe sie am liebsten tot! Wie könnte es mir
dann gelingen, mein Innerstes zu revidieren? Umzuwandeln. Ich vermute, es wird nicht
gehen. Dann bleibt es eben bei einer Show! Bei Lügen! Aber ich war noch niemals
eine gute Schauspielerin! Es ist schlichtweg ein Desaster! Und Gunnars Schuld!)