Samstag, 4. Oktober 2014

Visions Quest




Ich hatte nicht vor noch einmal die Visions-Erfahrung like Grandma’ Sara Black Moon Feather zu absolvieren. Ebenso wenig wollte ich mich in die Abgeschiedenheit der Berge zurückziehen. Obgleich dieser Gedanke bei der fortschreitenden patriarchalen Verdummung der Menschen doch recht verlockend erscheint.
Zu allem Überfluss sorgte ich mich um Gunnars Schwanz, der Hunger litt. Alldieweil ICH ihn nicht „fütterte“.

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Als Mary und Rodney bei uns erschienen, hatten sie bereits die Absicht, nein den Vorsatz im Gepäck, mich zu „entführen“. Ob Gunnar nun Teil der „Verschwörung“ gewesen war oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. ER stritt es jedenfalls ab. „Ich wusste nichts davon.“ sagte er und di Mimik seines Gesichtes schien mir ehrlich.
Aber wie kann DAS sein? Ist er doch ein „Magier“?

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Mein Notebook war NICHT mit auf diese Reise gegangen, alldieweil ich dachte am Abend zurück zu sein. Aber das waren wir nicht. Infolgedessen vermochte ich in den letzten Tagen hier nichts zu posten. Und auch dieser Post wird der letzte sein, bis wir wieder in der so genannten „Zivilisation“ angekommen sind. Das „Warum“ wird noch erläutert.
Nun, zumindest war die kleine Kamera noch im Auto liegen geblieben. Gut, dass ich sie dort vergessen hatte. Mein iPhone hatte ich selbstverständlich ebenso bei mir. Was allerdings ohne das Ladekabel, welches im Motel geblieben war, nichts nützte. Wie konnte ich schon wissen, dass es ein umfangreicherer Ausflug werden würde, der sich über Tage erstreckt.

Immerhin hatte mich Kevin noch erreicht, bevor mein iPhone den Geist aufgab.
„Ich vermisse dich.“, sagte er und in seiner Stimme schwang ein trauriger Klang. „Komm zurück.“
Was sollte diese Aufforderung? „Wir sahen uns tagelang nicht. Gleichwohl ich stets im Zentrum verweilte.“, erwiderte ich mich rechtfertigend.
„Ja. Aber ich wusste, du warst da.“

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Trotz schlechtem Wetter und einer holprigen, langen Fahrt, erreichten wir nach einigen Stops unser Ziel. Allerdings neigte sich der Tag bereits dem Ende und ich hatte schon mehrere Male angemerkt, dass wir doch besser zurück zum Motel fahren müssten, bevor die Nacht anbricht. Denn ich verspürte keinerlei Verlangen bei diesem Wetter durch die Berge zu ziehen.
Gunnar schnaufte immer wieder. Folgte jedoch Rodneys Wagen tiefer und tiefer in die Wildnis hinein.
Nun gut, dachte ich, warum nicht die Natur erkunden. Es gab sicherlich eine Übernachtungsmöglichkeit hier in der Nähe.
Und in der Tat. DIE gab es.

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Die beiden, Rodney und Mary, hatten dort, mitten in den Black Hills eine kleine Hütte, wo wir uns allesamt in den letzten Tagen aufhielten. Und natürlich schufen sie mir die Voraussetzung für (m)eine Vision. Denn sie alle, auch Gunnar, wussten, dass ich in „speziellen“ Situationen, wie damals am Fluss in New Orleans, oder am Feuer bei Sara Black Moon Feather, die besten Konditionen hatte, meine spirituelle Seite herauszukehren und vor allem zu erkunden. Sie kam meist urplötzlich. Das heißt, ich falle unter „bestimmten Umständen“ vorzugsweise in Trance.
In den Black Hills geht das Thermometer in den Nächten bereits unter Null Grad. Also wurde draußen, auf einem Platz vor der Hütte und nahe am Wasser, ein Feuer entzündet. Rodney hatte Meter große Holzscheite aufgestapelt und das Erstaunlichste war, dass der Regen aufhörte, sobald er das Feuer entfachte. Ein untrügliches Zeichen, dass die Geister mit uns waren, dachte ich noch und musste lächeln. Also, was konnte mir hier noch passieren? Mary und Rodney waren gleichwohl in meiner Nähe und Gunnar ebenso. Zudem kannten sich die beiden hier aus und ihre Hütte war einfach traumhaft schön. Sowie dieses ganze Szenario. Also, warum nicht bleiben? Es ist nett und recht abenteuerlich hier zu sein. Zudem der Komfort der Blockhütte mir entgegenkam. Allerdings bemerkte ich rasch, dass es hier keine Elektrizität gab. Infolgedessen auch nichts, was damit betrieben werden konnte. So wurde jede Tasse Tee, jede Speise zu etwas Besonderem.
Wärme erzeugte ein einziger großer Kamin in der Mitte der Hütte, um welchen offensichtlich alle Zimmer herum gebaut worden waren, sodass alle Räume auf diese Weise beheizt wurden. Die Küche war mit einem Herd und einem Gasherd ausgestattet. Auch die Speisen, die Mary kochte, waren schmackhafter und reichhaltiger als damals bei Sara. In einem kleinen Schrank fand ich sogar Chips und Salzstangen. Wer hätte das gedacht? Selbstredend gab es Bier, welches sich in einem „natürlichen Kühl(schrank)lager außerhalb des Hauses befand. Oder besser, gleich an der Außenwand. „Wand“ ist hier ebenso wenig der korrekte Begriff. Es war doch eher eine Luke, ein Verschlag, in dem man durch eine mit Brettern verdeckte Öffnung auf einer Wendeltreppe hinab in die Erde gelangen konnte. Dort befand sich eine Art Vorratsraum mit Obst in Gläsern, Gemüse und Kartoffeln in Kisten und weiter hinten auch Eingelegtes- und Trockenfleisch. Obendrein konnte man bei Bedarf im See fischen. Einige Eisen, also Tierfallen, in einer alten Kiste standen dort ebenfalls. Gewehre hatte ich bereits im Hauptzimmer an der Wand erspäht. Konnte, durfte man hier tatsächlich für den Eigenbedarf jagen?
Für die Nacht gab es Kerzen, Petroleum- und Taschenlampen mit Batterie. Die Toilette war im Haus. Nur duschen oder baden konnte man ebenso ausschließlich, wenn man den dafür vorgesehenen Ofen anheizte. Bei Adams Familie am Dog Lake, war das nicht anders.  

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Mary und Rodney setzten mich indes keinerlei Gefahren aus. (So wie damals Sara.) Ließen mich nicht hungern, frieren oder ganz und gar im eisigen Wasser baden, und ich konnte essen was und so viel ich wollte. Man gab sich Mühe, meinen Bedürfnissen nachzukommen. Die Teller waren, wie ich fand, sogar viel zu reichlich gefüllt.
„Eigentlich sollte man immer ein wenig hungrig vom Tisch aufstehen und auf dem Teller etwas zurücklassen, als Opfer für die Geister.“, sagte Rodney und nickte lächelnd in die Runde.
Man gab mir Zeit und Schlaf zur Genüge. Denn DAS sei überaus wichtig für mich. Sagte Mary.
Am Morgen erfreuten wir uns alle, wie bei Erik im Zauberwald, an frisch gebackenen  Brötchen, wofür Mary zeitig aufgestanden war.
Sie achteten allesamt auf mich. Wollten offensichtlich nicht riskieren, mich kränker zu machen, wie ich ohnehin bereits bin. Was ebenso meine psychische Verfassung betraf. Stets war jemand bei mir. Man ließ mich nirgendwo allein. Ebenso wenig an diesem Abend, draußen am Feuer, während ich visionierte.

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Angesichts der zeitraubenden Vorbereitungen hatte ich ein imposantes Ritual erwartet. Rodney hatte jedoch nur eine Rassel und Mary die Trommel zur Hand genommen. Beide sangen, während sie die Instrumente „bedienten“. Beide hatten die Augen geschlossen und so nach und nach wiegten sie immer intensiver ihre Körper hin und her. Dieser Rhythmus erfasste nicht nur mich, sondern Gunnar ebenso. Was ich gerade noch so bemerkte......bevor mir die Sinne schwanden und ich mich selbst im Körper einer Bärin fand. Dieses Mal kam nicht die Bärin unerwartet auf mich zu gerannt und sauste durch mich hindurch. Sondern ich selbst WAR die Bärin und sah mich als Rea da am Feuer sitzen. Neben mir ein heller Schein. Er hatte Flügel. Schien ein Engel zu sein (???). Was später, als ich darüber berichtete, als „Gabriel“ = Gunnar gedeutet wurde. (Von allem abgesehen, frage ich mich immer noch, wie Gunnar als Engel (??) gedeutet werden kann?)
Ich als Bärin saß ganz ruhig neben Mary und Rodney am Feuer. Sah immer wieder hinüber durch die Flammen und knurrte Rea an. Mein Brummen als Bärin wurde immer lauter. Aber Rea hörte mich nicht.
Ich nahm mich als denkende Bärin wahr, die darüber nach sinnierte, wie sie Rea auf sich aufmerksam machen konnte. Allerdings war mir gleichwohl bewusst, dass ich pfleglich und behutsam mit dieser Frau umgehen muss, damit ich sie nicht (v)erschreckte. Außerdem wusste ich, dass sie trotzig, zornig oder ganz und gar abweisend werden konnte. Infolgedessen musste ich bedacht und sorgsam vorgehen.
Ich dachte daran sie anzuspringen. Mich mit ihr zu vereinen. Nur könnte dies zu „starke Medizin“ für sie sein. Ich konnte den Schmerz dieser Frau fühlen. Die ewige Sehnsucht nach Geborgenheit. Zumindest war da ein Engel, der ihr zur Seite stand. Trotz seiner nur all zu menschlichen Züge. Und es schien sogar, als würden sich die beiden hervorragend ergänzen. Gerade so, als wären sie Eins.
Sollte ich die beiden als „Einheit“ betrachte? Überlegte ich als Bärin und sah mir Rea und Gunnar genauestens an. Da entdeckte ich ein silbernes Band zwischen den beiden. Nein. Es waren mehrere und sie schwangen wie Wellen auf und ab. Waren in ständiger Bewegung und kleine Lichtblitze tanzten auf ihnen, wie ausgetauschte Energie.
Nun schienen die Flammen des Lagerfeuers vor mir zu einem Spiegel zu werden, indem das Bild der Bärin, die ich war, Rea überdeckte.
Waren wir bereits Eins? Und gehörte Gunnar zu dieser „Einheit“ dazu?


Die gesamte Vision war zum Glück für mich weniger spektakulär als damals bei Sara. Die ganze Zeit über saß ich mit den anderen am Feuer. Summte in Trance und wiegte meinen Körper zusammen mit den anderen im Rhythmus der Trommel, der Rassel und des Gesangs hin und her.
Allerdings war ich die Letzte, die aus dieser Entrücktheit erwachte.
Gunnar hatte mich in eine Decke gehüllt, als ich mein diesseitiges Bewusstsein wieder erlangte. Sein Arm lag um meine Schulter und mein Kopf ruhte auf der Seinen. Ich hatte mich nicht weiter bewegt. War jedoch trotz alledem verhältnismäßig erschöpft.
„Wir haben noch etwas zu tun.“, sagte Mary und nickte mir zu. „Komm. Wir gehen nach drinnen.“
Gunnar begleitete uns und ich legte mich im Wohnzimmer auf die Couch, wo mich Mary „scannte“.
Während ich mich zur Ruhe begab und in Gunnars Armen einschlief, wertete Mary ihre Informationen aus. Rodney indes war draußen noch mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt.
Am nächsten Morgen präsentierte mir Mary die Ergebnisse des „Scans“.  Sie hatte nur wenige Stunden geschlafen. War schon frühzeitig für das Backen der Brötchen zusammen mit Rodney, der den Kamin anheizte, aufgestanden.
„Du hast dir einen Keim eingefangen.“, sagte sie unvermittelt.
Ich erschrak.
„Ein Heliocobacter Pylori nennt man das in der modernen Medizin. Er sitzt am Ausgang des Magens zum Zwölffingerdarm. Und wenn wir nichts dagegen tun, kann er dort Geschwüre verursachen.“
Einstweilen Mary mir  erklärte, wie wir diese Angelegenheit auch ohne Antibiotika angehen könnten, dachte ich darüber nach, WO ich mir dergleichen aufgelesen haben konnte. Da gab es in der Tat zahlreiche Gelegenheiten. Schließlich hatte ich gerade in letzter Zeit genug in Hospitälern gelegen.
„Es ist nicht wichtig, wo er her kommt. Viel wesentlicher ist es ihn zu beseitigen.“, mahnte mich Mary und riss mich mit ihrer Berührung aus meinen Gedanken, welche sie selbstredend gelesen hatte. „Wir werden es mit natürlichen Mitteln angehen. Ich werde sie dir besorgen. Du nimmst sie dann genau SO ein, wie ich es dir sage.“
Ich nickte schweigend und sah in ihre braunen Augen, die mich freundlich fixierten.
„Überdies brauchst du mehr Vitamin D. Auch einen B-Komplex. B6, B12 und Folsäure. Zusätzliches Vitamin C nimmst du gleich auch noch dazu. Außerdem ist dein Säure-Basen-Haushalt im Ungleichgewicht. Dafür gibt es ein Basenpulver, dass ich dir mitgeben werde.“
Am aller besten wäre es“, schaltete sich Rodney mit ein, “wenn dir Gunnar eine Vitamin B 12 Kur per Injektion verabreichen würde.“
„Spitzen?“, monierte ich sofort.
„Kein Problem.“, sagte Gunnar und zwinkerte mir zu. „Ich mach’ das schon.“
„Du musst disziplinierter imaginieren.“, wendete Rodney noch ein. Ja. Das wusste ich, dass ich zuweilen eine untätige Vernachlässigerin war.
„Und da, an deiner rechten Halsschlagader sind einige Ablagerungen in den Gefäßen.“, stellte Rodney fest und Mary nickte dazu.
„Ich sehe da auch noch eine Nierenbeckenentzündung in der Vergangenheit.“
„Ja. Natürlich.“, stimmte ich zu. „Vor etwa vier Wochen hatte ich da ein Blasenleiden. Eine Entzündung aller Wahrscheinlichkeit nach.“
„Nun, zumindest hast du deine Magenprobleme im Griff. Aber auch die Zyste am rechten Eierstock ist kleiner geworden. Selbst das Herz hat sich erholt.“
„Eigenartig.“, erwiderte ich laut denkend und wusste nicht, wie dies geschehen war.
„Mag sein, da ist immer noch die Neigung zu anfallartigen Herzschmerzen. Sicherlich aufgrund der Panik-Attacken. Aber DAS liegt im psychischen Bereich und muss anders angegangen werden. Außerdem ist da ist noch eine leichte Leberentzündung, beginnende Osteoporose und trockene Haut.“
“Ja. Das sind offenkundig Nebenwirkungen der Chemotherapie.“, warf ich besonnen ein.
„Und die Schilddrüse hat auch eine kleine Unterfunktion.“
„Genug! Genug.“, pustete ich und lächelte verlegen.
„Keine Angst. Das ist nichts Ernstes, das sogleich behandelt werden muss.“, beruhigte mich Rodney und Mary griff nach meiner Hand.
„Gibt es nicht immer Dinge, die der Körper fortwährend Regeln muss?“, fragte ich noch zum Abschluss. Denn ich war erschöpft und Gunnar wollte mich schon zu Bett bringen, damit ich mich dort ausruhen konnte bevor der Lunch aufgetragen wurde, der an diesem Tag aus einer Art „kalten Platte“ mit Salat bestand. Alldieweil keine Zeit war zum Kochen.
Nachmittags, bis zur Dämmerung, begaben wir uns in die Natur. Am Abend, als wir in der Hütte zurück waren, gab es ein schnelles und unkompliziertes Dinner, welches aus Käse, Trockenfleischwürfeln und Brot bestand. Gurkenscheiben und geviertelte Tomaten dazu.

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Der folgende Tag begann mit Übungen, die nicht nur ich absolvierte.
Gunnar war joggen, während Mary die Brötchen buck. ICH war draußen am See. Atmete tief ein und aus. Arme nach oben und dann nach unten. Stehen auf einem Bein. Ein kleiner Yoga-Gruß und noch ein wenig Dehnen der Sehnen und Gelenke.
„Wir gehen ein kleines Stück und ich erkläre dir, was wir anschließend tun.“, sagte Mary und trank einen Schluck aus ihrer Tasse, als wir beim Frühstück saßen. Ich nickte und genoss meinen Kaffee.
„Gunnar wird mit mir das Mittagessen fangen.“, sagte Rodney, der offensichtlich meinen besorgten Blick in Richtung Gunnar bemerkt hatte und grinste dabei. „Keine Angst, wir sind hier allein.“ Hatte Tate’ ogna nita pehin etwa auch meine Gedanken gelesen?? War mein Kopf für alle hier ein offenes Buch? Aber genau genommen sollte ich selbst in der Lage sein, auch die Gedanken der anderen zu lesen.
(Um es noch einmal anzumerken: Rodney = Tate’ ogna nita pehin – sein Lakota Name. Was soviel bedeutet wie „Wind in seinem Haar“. Denn er hat langes, schwarzes Haar, welches ihm bis auf die Hüften reicht. Und nein. Er wurde nicht nach der Figur in Kevin Kostners Film benannt. Obgleich er dem Actor schon etwas ähnlich sieht.)

Mary hatte den restlichen Morgen mit der Reinigung meiner Aura zu tun, während Rodney und Gunnar angelten und das Mittagessen zubereiteten.
Den Rest des Tages ließen wir es ruhig angehen. Kartenspiele und ein wenig ungezwungene Unterhaltung. Tee und Konfekt. Nicht mehr und nicht weniger.

Am nächsten Tag wurde eingelegtes Fleisch gegrillt und das schon zum Mittag.
Der Nachmittag wurde für mich dann etwas unangenehmer. Denn die beiden stocherten in meinem Kopf herum. Plagten mich mit Psycho-Fragen und versuchten den Ursachen der Panik-Attacken auf den Grund zu gehen. Was aber nicht gelang. Mary schwenkte dann um und erzählte mir/uns von ihrer Vision, die sie hatte, als wir draußen am Feuer saßen.
„Der 29. Juli ist nicht wirklich dein Geburtsdatum.“ Sie musterte mich und wartete auf meine Reaktion. Ich hatte indes Gunnar fragend angesehen, der die linke Augenbraue nach oben zog. So wie er es stets zu tun pflegte, wenn er nicht wusste, was er entgegnen sollte.
„Das kann nicht sein.“, sagte ich schließlich. „Wie kommst du darauf?“
„Deine Schwester ist eine Bärin. Was auf den August oder September schließen lässt. Welchen Stein magst du gern?“
Ich überlegte nicht lange und sagte: „Amethyst.“ Erst dann setzte das Denken ein und räusperte mich. „Nun, vielleicht auch noch den Türkis und die Spitzen des Bergkristalls.“ Denn ich wusste, dass man mit ihrer gebündelten Energie so Einiges anfangen konnte.
Mary lächelte. „Amethyst. Das dachte ich mir. Infolgedessen gehörst du zum Clan der Schildkröten. Wie stehst du zu ihr?“
„Zu wem?“
„Zur Schildkröte.“
Jetzt ging mir doch ein Licht auf! In einer etwas erzwungenen Vision hatte ich immer wieder eine Schildkröte gesehen, die vor meinem inneren Auge hin und her schwimmt. Ich hatte mir einige Zeit später einen goldenen Anhänger einer Schildkröte gekauft.
Wissendes Lächeln von den Leuten, die mir gegenüber saßen und auch von Gunnar strahlten mir entgegen.
„Aber was bedeutet das nun?“, fragte ich in die Runde.
„Vielleicht hat es mit der Ungereimtheit, dass Marie deine Schwester sein soll zu tun?“, warf Gunnar ein. „Du hättest deinen Vater fragen müssen. Denn auch Marie würde gern Klarheit darüber haben wollen.“
Ich schnaufte. „Ja. Du hast selbstverständlich Recht. Das hätte ich tun sollen.“ Ich senkte den Kopf und hob ihn wieder. „Aber selbst wenn, hätte mein Vater mir aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Wahrheit gesagt. In unserer Familie ist alles ein großes Tabu. Da wird nichts Preis gegeben und alles Unliebsame unter den Teppich gekehrt.“
Nun schnaufte Gunnar. „Konfrontiere deinen Vater damit. Oder willst du es nicht wissen?“
Ich versprach es zu tun.
Mary und Rodney klärten mich im Anschluss über den Mond (Monat) der Ernte auf, in welchem ich nun (angeblich) geboren sein soll. Alles, was Lakota darüber wissen. Und auch, das mein Verhalten, mein ganzes Wesen nicht zum Sternzeichen Löwe, oder dem Mond (Monat) der reifen Beeren, dessen Totem der Stör ist, passt.
„Da kann in der Tat etwas nicht stimmen mit dem Datum deiner Geburt.“

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„Jeder neue Tag ist wie ein neuer Anfang, an dem man immer wieder neu beginnen kann.“, sagte schon Gunnar, Christine und auch Erik zu mir. „Lerne ihn sinnvoll zu nutzen.“, fügten Rodney noch hinzu und Mary dies: „Ja. Es ist die Frage, was du mit ihm anfängst. Weißt du, die Zeit ist immer da. Sie fließt endlos dahin diesseits der Ewigkeit. Du musst sie mit Leben füllen, nicht mit Terminen. Leicht gesagt, ich weiß. Niemand von uns verfügt frei über die eigene Zeit. Das ist verknüpft mit einem anderen Phänomen, das zwar Menschengemacht ist, aber mindestens so viel Macht über uns hat wie die Zeit: Geld. Geld, das du benötigst, um von A nach B zu kommen, zu essen, ein Dach über dem Kopf zu haben und so weiter.
Auch Geld muss mit Leben aufgeladen werden, sonst ist es nichts. Das ist nicht unbedingt eine Frage der Geldmenge. Eben sowenig wie eine Frage von viel Zeit. Sondern immer eine Frage, was du mit dem anfängst, was du jetzt gerade hast. Es geht immer um heute.
Heute ist dein Tag. Immer ist heute dein Tag. Mir ist es immer noch nach so vielen Jahren meines Lebens eine Art Rätsel oder Wunder, dieses nächtliche Verschwinden aus der Welt in den Schlaf und dieses morgendliche neue Leben, das da wieder erscheint mit den Spuren von gestern und daraus entstandenen Aufgaben für heute. Ganz zu schweigen von den Plänen für morgen, denn das nächste Heute wird kommen.
Also, was ist heute dein Leben? Was wirst du heute tun, damit du sagen kannst, es ist ein Leben? Die Zeit wartet nicht auf dich. Sie fließt endlos dahin. Aber das Leben wartet auf dich. Oder besser gesagt: es hält so manches für dich bereit. Siehst du es? Nutzt du es? Stärkt es dich? Beschwert es dich? Kennst du deine Kräfte? Hast du Zugang zu deinen Ressourcen? So ein Tag ist ein großes Wunder. Es heißt Heute. Und wir brauchen ein Bewusstsein, ein Wissen über gestern und morgen. Erst das gibt dem Heute seine Bedeutung. Wir brauchen die Spuren, die das Gestern hinterließ und müssen den Ruf hören, den das Morgen ausschickt. Alles andere wäre Demenz und Depression. Und das wäre schrecklich. Das Heute ist die einzige Möglichkeit zu handeln, die du hast. Darauf kommt es an. Morgen wird es ein neues Heute geben. Und heute kannst du dafür sorgen, dass morgen ein gutes Heute sein wird. Was dir heute dafür zur Verfügung steht, ist das, was gestern war. Am Ende soll es wie ein Tanz gewesen sein.“
 
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Nun folgte ein Tag mit „positiven Mantren“, der mich lächeln ließ. Gunnar begleitet mich selbstredend auf dieser Reise.
„Glaube nie, eine Situation ist durch und durch negativ. Sie hat stets auch eine positive Seite. Suche danach. Greife danach und nutze sie. Sie wird das Negative verdrängen.“
Oder:
„Leben bedeutet Leiden. Wir glauben, es müsste umgekehrt sein, Leben sollte Leichtigkeit, es sollte Glück bedeuten. Danach suchen wir. Doch es ist eine unverrückbare, dunkle Tatsache, das Leben Leiden bedeutet. In welcher Form auch immer es geschieht. Und dieses Leiden zu bewältigen gibt dem Leben eine Bedeutung. Es ist das Leiden, dass uns unsere Stärke verleiht. Oder besser gesagt, die Erkenntnis, die wir daraus ziehen und wie wir damit umgehen.“ Tate’ ogna nita pehin machte eine kleine Pause und sann vor sich hin. Wir anderen waren still und warteten darauf, dass er weiter sprach.
„In schwierigen Zeiten werden uns unsere eigenen Stärken wieder bewusst und darin finden wir Frieden. Frieden bedeutet nicht die Abwesenheit von Konflikten. Frieden bedeutet die Fähigkeit, mit diesem Konflikt zurechtzukommen. Deshalb sollte man in den dunkelsten Momenten des Lebens nie die Tatsache aus den Augen verlieren, dass auch die Sonne wieder scheint.“ Rodney lächelte weise vor sich hin und der Blick seiner Augen ruhte so nach und nach auf jeden von uns.
„Also leben wir doch lieber hoffnungsvoll.“, sagte Mary. „Egal was geschieht und unter welchen Umständen es geschieht. Wir haben stets etwas, an was wir uns festhalten können. Und sollten wir nicht in der Lage sein ein Problem alleine zu lösen, gibt es immer jemanden der hilft.“ Nun sah sie mich mit glitzernden Augen an. „Ich lege mich dann immer auf Mutter Erde, die mich umfängt. Sie gibt mir Kraft und sagt: Schau zu Tunkasila. Sprich mit ihm und schütte ihm dein Herz aus. Er wird eine Antwort für dich haben.“
Kaum wagte ich mir zu sagen: „Warum nicht Großmutter anstatt Groß-Vater?“, als ein breites Lächeln mir entgegen sprang.
„Wie du es nennst ist nicht wichtig. Nenne es Göttin oder Gott. Universum oder Großer Geist. Es wird immer das Gleiche bleiben.“
„Und noch etwas. Ich wollte sagen, dass das Wichtigste in unserem Leben nicht die äußeren Umstände sind, sondern unsere Reaktion auf diese Umstände. Wie kommen wir mit Schwierigkeiten zurecht? Lehnen wir sie ab oder akzeptieren wir sie? Es ist gut, eine Situation anzunehmen. Denn es gibt immer einen bestimmten Grund, WARUM etwas geschieht. Denn auch aus dem Schlechten, was uns zustößt, lernen wir etwas.“
„Und wir sagen DANKE, nicht weil wir von einer Krankheit genesen sind, sondern weil wir nun mit allen anderen Menschen, die in ähnlichen Situationen sind, Mitgefühl empfinden können. DAS war die wahre Lektion, für die wir dankbar sind.“
„Wisst ihr“, begann Rodney seinen Weisheiten zu Ende zu führen, „Sobald man Schwierigkeiten bewältigen muss, wird die Kruste, der Egoismus weg gebrannt und das wahres ICH kommt zum Vorschein. Ob es nun das Beste oder Schlechteste ist, liegt an jedem selbst.“
„Auch deine Krankheit Rea“, fügte Mary noch hinzu, „ist keine Strafe für irgendetwas, wie es in euren Kirchen oft gelehrt wird. Mag sein, dass sich durch Jahre langes Denken und Fühlen dein Körper so entwickelt hat. So geworden ist. Was aber nicht bedeutet, dass du daran nichts ändern kannst. Ich glaube, das wollen dir auch die russischen Wissenschaftler vermitteln. Dazu muss ich hier nichts weiter sagen. Nur noch eins. Höre auf sie!“

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Tags über war der Vorsatz mit Gunnar zu schlafen oft geradezu übermächtig. Jedoch mit dem Abend kam ebenso die Müdigkeit (Fatik) und ich sank völlig erschöpft, in Gunnars Armen liegen, in den Schlaf, noch bevor ich bis zehn hätte zählen können.
Gestern jedoch vermochte ich selbst an nichts anderes mehr zu denken, als wir zu Bett gingen. Ich WOLLTE Gunnars Penis in mir fühlen. Sehnte mich nach diesem Empfinden!
Es war ein kurzes Ineinander. Gunnar kam schnell, was zu erwarten war, nach der  tagelangen Abstinenz. Aber dies war nicht wichtig. Ausschließlich seine sanften, liebevollen Zärtlichkeiten, mit denen er mich bedachte zählten. Und auch er schien, trotz der Kürze, zufrieden zu sein.
Amazing!
Noch während des Einschlafens dachte ich darüber nach, dass wir beide uns gegenseitig brauchten und uns doch eigentlich ganz gut ergänzten, in jedweder Situation.

Nachts träumte ich von Wanja.......

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Am darauf folgenden Tag, also heute Morgen, (und nach einem von mir gewünschtem Fellatio sogleich nach dem Aufwachen, worüber Gunnar schon einigermaßen verwundert war), fuhren die beiden Männer zum Motel, um Gunnars und meine Sachen von dort abzuholen und sie hier her zu bringen. Denn wir beschlossen einstimmig am Abend zuvor, noch bevor wir alle zu Bett gegangen waren, dass wir hier noch einige Tage bei Mary und Rodney bleiben würden.
Was Mary allerdings nicht gefiel, war die Tatsache, dass nun mein Notebook zu mir kam. Weil sie genau wusste, dass ich die verbleibende Energie der Batterie samt Surfstick nutzen würde. (Womit sie Recht behielt, wie man sieht.) Aus diesem Grund schreibe ich hier so effizient ich es vermag. Denn die Kapazität der Batterie ist für die zahlreichen Erlebnisse in der Tat begrenzt und wird nicht mehr lange halten.......