Donnerstag, 25. August 2016

Von Mordgedanken und kleinen Unaufrichtigkeiten



 Gegen sechs Uhr abends der Anruf von Gunnar.
„Ich bin bei Hjalmar. Wir feiern hier ein bisschen. Komm‘ doch her.“
Mit einem widerwilligen JA sagte ich zu und legte auf, obwohl ich mir NICHT sicher war, ob ich es auch tat. Denn genau genommen war es mir zuwider. Ich hatte nicht vor mir mit betrunkenen Männern die Nacht um die Ohren zu schlagen UND ich hatte so inständigst darauf gehofft und gewartet, dass Gunnar zurückkommen würde, wie er es versprochen hat.
Männer eben. Und was konnte ich ihm schon abschlagen, wenn es doch sein Geburts-Tag war. Infolgedessen stieg ich in meinen Wagen und fuhr zu ihm.
Warum hatte ich ihm nicht einfach erklärt, dass ich mich unwohl fühlte. Schwach und krank. Immer wieder ließ ich mich auf derlei Dinge ein und überschreite damit meine Grenzen der Zumutbarkeit. Verdammt noch mal! Aber okay. Es ist Gunnars Ehrentag. Und noch einmal wurde eine Ausnahme gemacht.

Als ich in Hjalmars Wohnung ankam war die Party bereits im vollen Gange. Siv hatte mir die Tür geöffnet und ich hörte, wie jemand Gitarre spielte. Es muss ein Freund von Hjalmars Geliebten Magnus gewesen sein. Siv grinste, als sie mich sah und bat mich herein. Und wie immer fühlte ich mich dort fehl am Platz, obwohl ich noch nicht einmal das Wohnzimmer betreten hatte.
Meine Füße blieben automatisch im Türrahmen stehen. Gunnar winkte mir freudig zu mit einer Flasche Bier in der Hand und neben ihm saß Alexa, deren immer dicker werdender Bauch gut zu sehen war.
Sie stand auf und kam Freude strahlend auf mich zu. Umarmte mich. Ein Küsschen links und Eines rechts. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich zu Gunnar hin. Wir beide setzten uns jeweils auf eine Seite von meinem Ehemann, der mich ein wenig grob begrüßte. Aber okay. Das musste ich an diesem Tag schon tolerieren.

Wenn ich so in die Runde sah, fühlte ich mich flau. Zudem ging es mir in der Tat nicht wirklich gut. Meine Bauch- und Rückenmuskulatur verkrampfte immer heftiger. Was Gunnar mit zunehmendem Alkoholpegel ohnehin nicht bemerkte. Oder nicht bemerken wollte.
Ich hielt Stunde um Stunde aus. Die Stimmung wurde immer schriller und so nach und nach trafen auch die meisten von Gunnars andere Brüder ein. Eine halbe Stunde nach Mitternacht hatte ich mich dann, nach langwierigem Hin und Her in meinem Kopf, dazu durchgerungen, zurück ins Zentrum zu fahren. Es erschien mir, für mich, als das Vernünftigste.
Gunnar wollte mich selbstredend nicht gehen lassen.
„Ich mag hier nicht schlafen.“, monierte ich. „Es ist mir zu laut. Zudem geht es mir nicht gut.“ Ich muss mich dem allen nicht aussetzen. Dachte ich noch so. Sprach es jedoch nicht aus, damit es nicht noch mehr Diskussionen gab.
„Und da willst du fahren.“, argumentierte er und torkelte schon.
„Lass gut sein. Sieh‘ es doch bitte ein. Ich kann nicht mehr. Und ich bin tot müde.“
Gunnar schüttelte den Kopf. Wollte mich umarmen und vergoss dabei sein Bier.
„Tut mir leid.“, sagte ich. Gab ihm einen Kuss und stieg in meinen Wagen. Schließlich war Alexa auch noch hier. Aber DAS vermochte ich ihm nicht zu sagen. Dann hätte er nur noch weiter diskutiert. Und wer brauchte das schon?
Gerade, als ich den Wagen starten wollte, deutete Gunnar an, ich solle noch einmal das Fenster öffnen.
„Rea, ich vergaß dir zu sagen, dass wir am Wochenende alle nach Gotland fliegen. Du kommst mit. Die Familie feiert.“
Ich nickte nur. Bis dahin konnte noch wer weiß was geschehen, damit ich mich dieser Lästigkeit entziehen kann. Strömte es in meine Gedanken und ich fuhr los. Lies ihn schlicht und einfach stehen.

Ich war mir nicht wirklich sicher, ob ich es bis ins Zentrum schaffen würde. Denn ich kämpfte gegen die Müdigkeit an. Hatte immense Mühe die Augen offen zu halten.
Mit letzter Kraft, schlich ich mich in mein Haus und noch augenblicklich in mein Bett. Dachte noch einmal über alles nach und……..fühlte mich allein. Niemand war da….……
Im Halbschlaf kam mir Jason in den Sinn. Mit ihm hätte ich jetzt gern diese Nacht verbracht. Aber da waren seine Frau und seine Kinder. Schade eigentlich!
An Troels hatte ich nicht einmal mehr gedacht. Und an Kevin ebenso wenig. Jedoch fiel mir (selbstverständlich!) Derek ein.
Ich schnaufte. War bereits am Einschlafen. Konnte ich es wagen ihn anzurufen? So niederträchtig, wie ich ihn (aus Eifersucht!) die letzten zwei Tage behandelt hatte. Noch heute Mittag hatten wir eine Diskussion, in welcher ich mich gebieterisch und unnachgiebig dieser Giselle und auch ihm gegenüber gab. Welche Inkonsequenz von mir, ihn jetzt anzurufen! (….und ihn anzubetteln, mich nicht allein schlafen zu lassen….)
Ach, was soll‘s. Egal. Ich tu‘s ganz einfach!!! Und ich tat’s……….

Derek scheint mir ein Phänomen im Verarbeiten von Kränkungen zu sein. Ich hoffe nur, sie fliegen mir nicht eines Tages um die Ohren, wie die Babys derzeit. Jason hat seine Kinder. Mein Ehemann und mein Geliebter werden Väter mit jeweils einer anderen Frau. Baby-Boom oder was?
(Ach, könnte ich sie doch nur samt ihrer Bälger töten. Alle beide. Alexa, wie diese Giselle!!!)
Nun ja, vielleicht gibt es Möglichkeiten, über die ich bislang ausschließlich nachgedachte. Allerdings steht Giselle kurz vor der Geburt. Das Baby würde in jedem Fall überleben. Denke ich. Keine Angst! Niemand muss sich jetzt sorgen, dass ich zur Mörderin werde. Nein. Ich lasse gleichwohl nicht morden. Da gibt es ganz andere Wege, die ich gehen kann, bzw. gehen könnte. Magie ist immer ein probates Mittel gegen, oder für, alles, was man beschleunigen, beseitigen, oder in die Wege leiten will.
Während ich so im Dämmerzustand Dereks Nummer wählte, lotete ich die Optionen aus. Es läutete und läutete. Er nahm nicht ab. Ich versuchte es noch einmal und lies es schlussendlich bleiben. Muss ich mich eben damit begnügen allein zu sein.
Egal.
Und bereits im nächsten Moment läutete mein iPhone. Es war Derek und……er kam zu diese späte Stunde.
Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr meinem Mund.

Derek schien nicht mehr böse mit mir zu sein. Aber was konnte ich überhaupt noch wahrnehmen in meiner kränklichen Beschaffenheit, und so müde wie ich war.
Er entkleidete sich rasch und legte sich zu mir ins Bett. Ich sah seine nackte Haut im Mondlicht glänzen. Ahhhhh…….Es zauberte mir ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht.
Und noch kurz bevor ich im Land der Träume verschwand, hörte ich Derek Stimme nach Giselle fragen.
„Du entlässt sie doch nicht wirklich. Oder?“
„Vielleicht. Ich weiß noch nicht.“
„Versprich es mir, dass du es nicht tun wirst.“, suchte er mir einen Eid abzuringen.
„Sch….zzzz…..“ Ich schlief.

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Ein rasches Aufstehen heute Morgen und noch einmal die gleiche Frage vom Abend zuvor wie ein Déjà-vu. Und wieder umging ich eine klare Antwort. Redete mich heraus.  Äußerte nichts Verbindliches.
„Versprich es mir.“ Derek ließ nicht locker.
Ich wurde wütend. „Ist sie dir tatsächlich so derart wichtig?“
Es war gerade so, als schreckte er zurück. Seine Augen hatten sich vergrößert und sein Mund stand ein wenig offen. Er sah mich an. Schüttelte mit dem Kopf.
„Darum geht es doch nicht.“, sagte er dann. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du so unmenschlich bist.“
Ich veränderte, ob dieser offensichtlichen (und ausschließlichen???)Hilfsbereitschaft, meine Mimik noch in der Sekunde. Setzte ein Lächeln auf. Griff nach seinem Arm.
„Aber natürlich nicht. Was denkst du nur von mir.“ Noch ein Augenaufschlag. Dann wartete ich auf Dereks Reaktion.
Er sah mich durchdringend an. Ich hielt stand mit meinem aufrichtigem Blick (der ein wenig geflunkert war!). Und siehe da, Dereks Gesicht formte sich zu einem zaghaften Lächeln, welches immer strahlender wurde.
„Ich habe es gewusst. So unbarmherzig kannst du einfach nicht sein.“
Ich erwiderte nichts. Lächelte nur freundlich weiter.
Eine kleine Unaufrichtigkeit, und die Welt schien für Derek wieder in Ordnung zu sein.

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Der Vormittag im Büro
„Ihr vertragt euch wieder, wie ich sehe.“, stellte Kevin fest und zwinkerte mir zu.
„Ja. Ich brauche ihn eben.“ Ein kapitulierendes Lächeln umschmeichelte meine Lippen. „Ab und zu.“
Kevin lachte. Derek war selbstredend nicht zu gegen. Ich hatte ihm einen Auftrag erteilt und ihn gebeten sich um etwas zu kümmern, was Kevin wegen der Treppen nicht erledigen konnte und ich hatte schlichtweg keine Lust dazu. Denn ich gedachte einen Augenblick mit Kevin allein zu sein. Es ist so angenehm (und zuweilen sogar sinnlich) mit ihm zu flirten. IHM gefällt es ebenso. Dessen bin ich mir sicher und sehr wohl bewusst. Ich empfinde es als ungefährlich, eben weil es unverbindlich ist. (Zumindest noch im Moment, wo es für ihn noch eine Lebensgefährtin gibt.) Keine Verpflichtung hernach. Kein Muss. Keine Lügen. Kein Bedauern. Ausschließlich ein wenig flirten. Das tut gut und trägt nicht nur zum eigenen Wohlbefinden bei. Gleichwohl die heitere Atmosphäre, die wir beide versprühen, mehr als angenehm und zuträglich für alle Anwesenden ist.
Kevin wurde ernster und seine Augen fixierten mich. Er atmete schwer. „Kannst du dir vorstellen, mit MIR das Zentrum zu leiten, als dein Ehemann. Wir wären so ein tolles Team. Meinst du nicht?“
Ich nickte zustimmend und…..seufzte. „Ja. Ich glaube, du hast Recht.“
Nun wurde die Atmosphäre noch gesetzter. Ein wenig Wehmut zog auf. Welche sogleich durch Dereks Rückkehr beendet wurde.

Derek blieb stehen, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte und sah von einem zum anderen.
„Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“
„Nein.“, tönten wir beide im Chor und mussten lachen.
Derek war nun etwas näher gekommen und setzte sich hin. Kräuselte die Stirn. „Was brütet ihr beiden denn aus?“
„Nichts, nichts.“, entgegnete Kevin. „Wir schwelgten nur kurz in Erinnerungen.“
„Ahhh.“ Derek lächelte verlegen und setzte eine wissende Mine auf.

Als Derek wieder nach draußen gegangen war, fragte mich Kevin noch, ob ich nun Giselle entlasse oder nicht.
Ich hob die Schultern. „Ich kann es nicht sagen. Entscheide es noch.“
„Tue es nicht.“
Ich stutzte und sah Kevin fragend an. „Was meinst du damit?“
„Kündigst du ihr aus fadenscheinigen Gründen, wird sich Derek ihr nur noch mehr verpflichtet fühlen und sie hat ihn damit erst recht gebunden.“
Oh mein Gott! Er hatte Recht! DAS hatte ich bis dahin noch nicht bedacht.

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Gunnar wird heute nicht kommen. Trifft sich mit Siv und wird langersehnte Dinge mit sich tun lassen, welche ICH ihm nicht zu geben vermag. 
Allerdings wünschte ich, ich könnte die morgigen Reise nach Gotland vermeiden. Wäre es mir doch nur möglich zu wissen, ob Alexa uns begleiten wird oder nicht. Vergaß ich doch bedauerlicher Weise gestern Nacht zu fragen.  Wie säumlich von mir! Nur war ich viel zu müde und erschöpf gewesen.
Andererseits, WIE könnte ICH mich der Geburtstagsfeier meines Mannes entziehen? Das schickt sich schlicht und einfach nicht.
Insgeheim suche ich weiterhin einen Vorwand, eine Entschuldigung, eben NICHT zu gehen. Plan A, Plan B, Plan C……..