Gegen sechs Uhr abends der Anruf von Gunnar.
„Ich bin bei
Hjalmar. Wir feiern hier ein bisschen. Komm‘ doch her.“
Mit einem
widerwilligen JA sagte ich zu und legte auf, obwohl ich mir NICHT sicher war,
ob ich es auch tat. Denn genau genommen war es mir zuwider. Ich hatte nicht vor
mir mit betrunkenen Männern die Nacht um die Ohren zu schlagen UND ich hatte so
inständigst darauf gehofft und gewartet, dass Gunnar zurückkommen würde, wie er
es versprochen hat.
Männer eben. Und
was konnte ich ihm schon abschlagen, wenn es doch sein Geburts-Tag war.
Infolgedessen stieg ich in meinen Wagen und fuhr zu ihm.
Warum hatte ich
ihm nicht einfach erklärt, dass ich mich unwohl fühlte. Schwach und krank.
Immer wieder ließ ich mich auf derlei Dinge ein und überschreite damit meine
Grenzen der Zumutbarkeit. Verdammt noch mal! Aber okay. Es ist Gunnars
Ehrentag. Und noch einmal wurde eine Ausnahme gemacht.
Als ich in
Hjalmars Wohnung ankam war die Party bereits im vollen Gange. Siv hatte mir die
Tür geöffnet und ich hörte, wie jemand Gitarre spielte. Es muss ein Freund von
Hjalmars Geliebten Magnus gewesen sein. Siv grinste, als sie mich sah und bat
mich herein. Und wie immer fühlte ich mich dort fehl am Platz, obwohl ich noch
nicht einmal das Wohnzimmer betreten hatte.
Meine Füße
blieben automatisch im Türrahmen stehen. Gunnar winkte mir freudig zu mit einer
Flasche Bier in der Hand und neben ihm saß Alexa, deren immer dicker werdender
Bauch gut zu sehen war.
Sie stand auf
und kam Freude strahlend auf mich zu. Umarmte mich. Ein Küsschen links und
Eines rechts. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich zu Gunnar hin. Wir
beide setzten uns jeweils auf eine Seite von meinem Ehemann, der mich ein wenig
grob begrüßte. Aber okay. Das musste ich an diesem Tag schon tolerieren.
Wenn ich so in
die Runde sah, fühlte ich mich flau. Zudem ging es mir in der Tat nicht
wirklich gut. Meine Bauch- und Rückenmuskulatur verkrampfte immer heftiger. Was
Gunnar mit zunehmendem Alkoholpegel ohnehin nicht bemerkte. Oder nicht bemerken
wollte.
Ich hielt Stunde
um Stunde aus. Die Stimmung wurde immer schriller und so nach und nach trafen
auch die meisten von Gunnars andere Brüder ein. Eine halbe Stunde nach
Mitternacht hatte ich mich dann, nach langwierigem Hin und Her in meinem Kopf,
dazu durchgerungen, zurück ins Zentrum zu fahren. Es erschien mir, für
mich, als das Vernünftigste.
Gunnar wollte
mich selbstredend nicht gehen lassen.
„Ich mag hier
nicht schlafen.“, monierte ich. „Es ist mir zu laut. Zudem geht es mir nicht
gut.“ Ich muss mich dem allen nicht aussetzen. Dachte ich noch so. Sprach es
jedoch nicht aus, damit es nicht noch mehr Diskussionen gab.
„Und da willst
du fahren.“, argumentierte er und torkelte schon.
„Lass gut sein.
Sieh‘ es doch bitte ein. Ich kann nicht mehr. Und ich bin tot müde.“
Gunnar
schüttelte den Kopf. Wollte mich umarmen und vergoss dabei sein Bier.
„Tut mir leid.“,
sagte ich. Gab ihm einen Kuss und stieg in meinen Wagen. Schließlich war Alexa
auch noch hier. Aber DAS vermochte ich ihm nicht zu sagen. Dann hätte er nur
noch weiter diskutiert. Und wer brauchte das schon?
Gerade, als ich
den Wagen starten wollte, deutete Gunnar an, ich solle noch einmal das Fenster
öffnen.
„Rea, ich vergaß
dir zu sagen, dass wir am Wochenende alle nach Gotland fliegen. Du kommst mit.
Die Familie feiert.“
Ich nickte nur.
Bis dahin konnte noch wer weiß was geschehen, damit ich mich dieser Lästigkeit
entziehen kann. Strömte es in meine Gedanken und ich fuhr los. Lies ihn
schlicht und einfach stehen.
Ich war mir
nicht wirklich sicher, ob ich es bis ins Zentrum schaffen würde. Denn ich
kämpfte gegen die Müdigkeit an. Hatte immense Mühe die Augen offen zu halten.
Mit letzter
Kraft, schlich ich mich in mein Haus und noch augenblicklich in mein Bett.
Dachte noch einmal über alles nach und……..fühlte mich allein. Niemand war
da….……
Im Halbschlaf
kam mir Jason in den Sinn. Mit ihm hätte ich jetzt gern diese Nacht verbracht.
Aber da waren seine Frau und seine Kinder. Schade eigentlich!
An Troels hatte
ich nicht einmal mehr gedacht. Und an Kevin ebenso wenig. Jedoch fiel mir
(selbstverständlich!) Derek ein.
Ich schnaufte.
War bereits am Einschlafen. Konnte ich es wagen ihn anzurufen? So
niederträchtig, wie ich ihn (aus Eifersucht!) die letzten zwei Tage behandelt
hatte. Noch heute Mittag hatten wir eine Diskussion, in welcher ich mich
gebieterisch und unnachgiebig dieser Giselle und auch ihm gegenüber gab. Welche
Inkonsequenz von mir, ihn jetzt anzurufen! (….und ihn anzubetteln, mich nicht
allein schlafen zu lassen….)
Ach, was soll‘s.
Egal. Ich tu‘s ganz einfach!!! Und ich tat’s……….
Derek scheint
mir ein Phänomen im Verarbeiten von Kränkungen zu sein. Ich hoffe nur, sie
fliegen mir nicht eines Tages um die Ohren, wie die Babys derzeit. Jason hat
seine Kinder. Mein Ehemann und mein Geliebter werden Väter mit jeweils einer
anderen Frau. Baby-Boom oder was?
(Ach, könnte ich sie doch
nur samt ihrer Bälger töten. Alle beide. Alexa, wie diese Giselle!!!)
Nun ja,
vielleicht gibt es Möglichkeiten, über die ich bislang ausschließlich nachgedachte.
Allerdings steht Giselle kurz vor der Geburt. Das Baby würde in jedem Fall
überleben. Denke ich. Keine Angst! Niemand muss sich jetzt sorgen, dass ich zur
Mörderin werde. Nein. Ich lasse
gleichwohl nicht morden. Da gibt es ganz andere Wege, die ich gehen kann,
bzw. gehen könnte. Magie ist immer ein probates Mittel gegen, oder für,
alles, was man beschleunigen, beseitigen, oder in die Wege leiten will.
Während ich so
im Dämmerzustand Dereks Nummer wählte, lotete ich die Optionen aus. Es läutete
und läutete. Er nahm nicht ab. Ich versuchte es noch einmal und lies es
schlussendlich bleiben. Muss ich mich eben damit begnügen allein zu sein.
Egal.
Und bereits im
nächsten Moment läutete mein iPhone. Es war Derek und……er kam zu diese späte
Stunde.
Ein Seufzer der
Erleichterung entfuhr meinem Mund.
Derek schien
nicht mehr böse mit mir zu sein. Aber was konnte ich überhaupt noch wahrnehmen
in meiner kränklichen Beschaffenheit, und so müde wie ich war.
Er entkleidete
sich rasch und legte sich zu mir ins Bett. Ich sah seine nackte Haut im
Mondlicht glänzen. Ahhhhh…….Es zauberte mir ein zufriedenes Lächeln ins
Gesicht.
Und noch kurz
bevor ich im Land der Träume verschwand, hörte ich Derek Stimme nach Giselle
fragen.
„Du entlässt sie
doch nicht wirklich. Oder?“
„Vielleicht. Ich
weiß noch nicht.“
„Versprich es
mir, dass du es nicht tun wirst.“, suchte er mir einen Eid abzuringen.
„Sch….zzzz…..“
Ich schlief.
------------------------
Ein rasches
Aufstehen heute Morgen und noch einmal die gleiche Frage vom Abend zuvor wie
ein Déjà-vu. Und wieder umging ich eine klare Antwort. Redete
mich heraus. Äußerte nichts
Verbindliches.
„Versprich
es mir.“ Derek ließ nicht locker.
Ich
wurde wütend. „Ist sie dir tatsächlich so derart wichtig?“
Es
war gerade so, als schreckte er zurück. Seine Augen hatten sich vergrößert und
sein Mund stand ein wenig offen. Er sah mich an. Schüttelte mit dem Kopf.
„Darum
geht es doch nicht.“, sagte er dann. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du
so unmenschlich bist.“
Ich
veränderte, ob dieser offensichtlichen (und
ausschließlichen???)Hilfsbereitschaft, meine Mimik noch in der Sekunde. Setzte
ein Lächeln auf. Griff nach seinem Arm.
„Aber
natürlich nicht. Was denkst du nur von mir.“ Noch ein Augenaufschlag. Dann
wartete ich auf Dereks Reaktion.
Er
sah mich durchdringend an. Ich hielt stand mit meinem aufrichtigem Blick (der
ein wenig geflunkert war!). Und siehe da, Dereks Gesicht formte sich zu einem
zaghaften Lächeln, welches immer strahlender wurde.
„Ich
habe es gewusst. So unbarmherzig kannst du einfach nicht sein.“
Ich
erwiderte nichts. Lächelte nur freundlich weiter.
Eine kleine
Unaufrichtigkeit,
und die Welt schien für Derek wieder in Ordnung zu sein.
---------------------------------
Der Vormittag im Büro
„Ihr vertragt
euch wieder, wie ich sehe.“, stellte Kevin fest und zwinkerte mir zu.
„Ja. Ich brauche
ihn eben.“ Ein kapitulierendes Lächeln umschmeichelte meine Lippen. „Ab und
zu.“
Kevin lachte.
Derek war selbstredend nicht zu gegen. Ich hatte ihm einen Auftrag erteilt und
ihn gebeten sich um etwas zu kümmern, was Kevin wegen der Treppen nicht
erledigen konnte und ich hatte schlichtweg keine Lust dazu. Denn ich gedachte
einen Augenblick mit Kevin allein zu sein. Es ist so angenehm (und zuweilen
sogar sinnlich) mit ihm zu flirten. IHM gefällt es ebenso. Dessen bin ich mir
sicher und sehr wohl bewusst. Ich empfinde es als ungefährlich, eben weil es
unverbindlich ist. (Zumindest noch im Moment, wo es für ihn noch eine
Lebensgefährtin gibt.) Keine Verpflichtung hernach. Kein Muss. Keine Lügen.
Kein Bedauern. Ausschließlich ein wenig flirten. Das tut gut und trägt nicht
nur zum eigenen Wohlbefinden bei. Gleichwohl die heitere Atmosphäre, die wir
beide versprühen, mehr als angenehm und zuträglich für alle Anwesenden ist.
Kevin wurde
ernster und seine Augen fixierten mich. Er atmete schwer. „Kannst du dir
vorstellen, mit MIR das Zentrum zu leiten, als dein Ehemann. Wir wären so ein
tolles Team. Meinst du nicht?“
Ich nickte
zustimmend und…..seufzte. „Ja. Ich glaube, du hast Recht.“
Nun wurde die
Atmosphäre noch gesetzter. Ein wenig Wehmut zog auf. Welche sogleich durch
Dereks Rückkehr beendet wurde.
Derek blieb
stehen, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte und sah von einem zum
anderen.
„Gibt es etwas,
was ich wissen sollte?“
„Nein.“, tönten
wir beide im Chor und mussten lachen.
Derek war nun
etwas näher gekommen und setzte sich hin. Kräuselte die Stirn. „Was brütet ihr
beiden denn aus?“
„Nichts,
nichts.“, entgegnete Kevin. „Wir schwelgten nur kurz in Erinnerungen.“
„Ahhh.“ Derek
lächelte verlegen und setzte eine wissende Mine auf.
Als Derek wieder
nach draußen gegangen war, fragte mich Kevin noch, ob ich nun Giselle entlasse
oder nicht.
Ich hob die
Schultern. „Ich kann es nicht sagen. Entscheide es noch.“
„Tue es nicht.“
Ich stutzte und
sah Kevin fragend an. „Was meinst du damit?“
„Kündigst du ihr
aus fadenscheinigen Gründen, wird sich Derek ihr nur noch mehr verpflichtet
fühlen und sie hat ihn damit erst recht gebunden.“
Oh mein Gott! Er
hatte Recht! DAS hatte ich bis dahin noch nicht bedacht.
-------------------------
Gunnar wird
heute nicht kommen. Trifft sich mit Siv und wird langersehnte Dinge mit sich
tun lassen, welche ICH ihm nicht zu geben vermag.
Allerdings
wünschte ich, ich könnte die morgigen Reise nach Gotland vermeiden. Wäre es mir
doch nur möglich zu wissen, ob Alexa uns begleiten wird oder nicht. Vergaß ich
doch bedauerlicher Weise gestern Nacht zu fragen. Wie säumlich von mir! Nur war ich viel zu
müde und erschöpf gewesen.
Andererseits,
WIE könnte ICH mich der Geburtstagsfeier meines Mannes entziehen? Das schickt
sich schlicht und einfach nicht.
Insgeheim suche
ich weiterhin einen Vorwand, eine Entschuldigung, eben NICHT zu gehen. Plan A,
Plan B, Plan C……..