Gunnar war nirgendwo anders.
Ausschließlich mit mir bei Christine. Dann im Restaurant.
Nun ist es hier schon so weit
gekommen, dass man am schönsten Nachmittag von betrunkenen, unverschämten und
anmaßenden Männern schamlos angepöbelt wird. Dieser wunderschöne Ort verkommt
in der Tat zu einer Rotlichmeile.
Wird alles Schöne dieser Welt von der
männlichen Machtgier, dem Testosteron geschwängertem Kampftrieb und infolgedessen
dem Konkurrenzverhalten, also der bloßen Präsenz von Männern zerstört?
Weil....sie einfach sind, wie sie sind!
Gunnar war zu dieser Zeit nicht bei
mir. Ich hatte mich allein auf den Weg zum See gemacht. Hatte auf der Bank am
Ufer Platz genommen, für einen kurzen Augenblick, als ich sah, wie einige
Männer, unweit unseres Hauses, Steine zu einem Kreis zusammen legten und
Holzscheide hineinstapelten. Offensichtlich sollte das ein Lagerfeuer werden.
Ein dritter Mann brachte Gläser und ein Vierter Flaschen mit Wodka oder einem
andern klaren Schnaps. Zwei weitere Männer steuerten auf mich zu. Sie grinsten
unverschämt und gaben mir zu verstehen, dass sie die Bank auf der ich saß für
sich brauchen würden und ich könne ja auch mit ihnen feiern.
Ich lehnte dankend ab und verzog mich
rasch ins Haus.
Es dauerte eine Ewigkeit bis
Sicherheitsbeamte kamen, um nachzusehen, was dort vor sich ging. Zu meiner
großen Überraschung taten sie jedoch nichts dagegen. Sondern ließen die Männer schlicht
und einfach gewähren. Schienen ausschließlich mit ihnen zu sprechen und auf
irgendetwas hinzuweisen. Dann gingen sie wieder fort.
Was sollte ich tun? Ich hatte nicht
mehr die Befugnis Ryan anzuweisen, diese Situation zu „bereinigen“. Was ich am
liebsten getan hätte. Also rief ich Gunnar an, der noch immer bei seiner Mutter
und Thomas war, und erklärte ihm die Situation.
„Wir können nichts tun.“
„W-A-S?!“, rief ich entsetzt in mein
iPhone. „Kannst du nicht den Sicherheitsdienst....“
„Nein. Kann ich nicht. Wir sind
selbst hier nur noch geduldete Gäste, und als diese, genau als dieser kann ich
versuchen die Männer zu späterer Stunde darauf hinzuweisen, dass es hier auch
noch andere Gäste gibt, die schlafen wollen. Mehr kann ich nicht tun.“
Ich schluckte. „Nun, wenn das so ist,
macht es mir den Abschied von diesem Ort um vieles leichter.“
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Gunnar holte mich zum Dinner ab. Es
war verhältnismäßig früh.
„Soll ich denn nicht ....“, begann
ich zaghaft. Gunnar jedoch ließ mich nicht ausreden, alldieweil er bereits das
Ende des Satzes in meinen Gedanken gelesen hatte.
„Nein. Der Russe.....“, und ich wies
ihn jetzt nicht darauf hin, dass Wanja genau genommen ein Ukrainer ist,
„....wird diesen Misserfolg mit diesem weggelaufenen Zeugen nicht hinnehmen. Er
wird anderes versuchen, mich aus dem Weg zu räumen. Für den Augenblick mögen
wir mit Eriks Hilfe ein Gefecht gewonnen haben, jedoch die gesamte Schlacht
noch längst nicht.“
Ich saß da, mit offenem Mund und
wagte angesichts dieser Ansprache kaum zu atmen. Dennoch war mir durchaus
bewusst, dass er die Wahrheit sprach.
„Und was sollen, was können wir
tun?“, fragte ich fast befangen nach einer Weile.
„Kämpfen.“ Gunnar sah mich prüfend
an. „Gemeinsam, wenn du magst.“
Ich griff nach seiner Hand und
drückte sie. Er lächelte und zwinkerte mir mit beiden Augen nickend zu.
Als ich dann für einige Minuten
allein war, dachte ich trotz aller Loyalität noch einmal kurz darüber nach,
dass alles so einfach sein könnte, WENN ich zustimmen würde, Wanjas Frau zu
werden.
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Gunnar hatte mich während des Dinners
überredet mit ihm zu Hjalmar zu fahren. Was mir angesichts der Ereignisse an
diesem Tag ausnahmsweise sogar einmal nicht unrecht war. Allerdings vermochte
ich dort eben sowenig zu schlafen. Die Nachbarn waren lauter, als Gunnars
Brüder. Und vom nahen Bahnhof kam ein andauerndes lautes, übles und permanentes
Pfeifgeräusch, welches mir ständig in den Ohren hing. Infolgedessen wurden erneut
die Ohren verschlossen.
Nun, alles in allem war es keine wirkliche
Party. Da waren nur Gunnars Brüder Hjalmar, Carsten und Sven. Hjalmars Freund
Magnus, Jessica vom Revier und Gunnars Schwester Stine. Wie erfreulich!
Ich achtete nicht weiter auf Jessica,
die ihre Augen nicht von Gunnar lassen konnte. So wie sie es immer tat. Denn
Gunnar schien (dieses Mal?) keinerlei Ambitionen zu haben, was sie betraf. Er
beachtete sie kaum. Nur wenn sie ihn direkt ansprach, erwiderte er ihre
Freundlichkeit. Die meiste Zeit kümmerte er sich um mich. Wie erfreulich!
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Zumindest schliefen wir aus.
Nach einem späten Frühstück fuhren
wir nach Hause. Bevor wir jedoch dort ankamen, unterbreitete Gunnar mir den
Vorschlag doch gleich zu Erik „durch-zu-fahren“. Woraufhin wir uns entschlossen
genau DAS zu tun. Überdies glaube ich das Motiv seiner Anregung zu kennen. Denn
nur kurz zuvor hatte Gunnar Sivs Geburtstag erwähnt und mich gefragt, ob ich
ihn begleite. Meine Antwort war selbstverständlich NEIN.
Genau genommen ist der Tag, an
welchem sie sechsundzwanzig wird, erst am Montag. Allerdings gedenkt man
offenkundig vom Sonntag aus in ihn „hinein-zu-feriern“.
Da ich nun erneut im Zauberwald bei
Erik, Viggo, Taylor, Derek und auch Joseph bin, weiß mich Gunnar in jedem Fall......sicher.
Vor allem vor Wanja, in dessen Nähe ich hier nicht kommen kann. Was aller
Wahrscheinlichkeit nach auch besser ist.
Und so manches Mal spiele ich noch
immer mit dem Gedanken......mit Wanja schlicht und einfach zu reden.
Andererseits ist mir schon im Voraus bewusst, was er mir sagen wird. Auch weiß
ich, dass ich genau darauf nicht eingehen kann.
Die Zauberlehrlinge hatten mich alle
drei ausgiebig begrüßt. Bis auf Taylor. Er blieb recht kühl.
„Wenn Du Rea hier alleine lässt“,
wandte sich Viggo an Gunnar, „kann ich doch mit ihr schlafen.“ Er grinste ihn
an.
„Ich denke, Rea wird selbst
entscheiden was sie tut.“ Gunnar grinste zurück.
Viggo sah mich auffordernd an.
Ich schüttelte leicht, aber dennoch
unmissverständlich mit dem Kopf und lächelte schief. Viggo lehnte sich
demonstrativ zurück und gebärdete sich wild. „Ahhhh! Du schläfst mit Derek. Ich
weiß.“
Nun legte ich den Kopf etwas schief
und verzog das Gesicht zu einer entschuldigenden Grimasse.
„Dränge sie nicht.“, schob Gunnar
noch mahnende Worte an Viggo hinterher. Der grinste nur. Dann kam er auf mich
zu. „Du musst Hunger haben. Was magst du denn?“
„Ach! Schau her. Er kann kochen.“,
spottete Taylor in üblicher Manier. Manchmal denke ich, er mag mich nicht
leiden. Wer weiß, warum......