Sonntag, 7. Juni 2015

Auf dünnem Eis




Per iPhone klage ich Wanja mein Leid, und dass ich doch am liebsten mit ihm geflogen wäre. Hatte eben nur keinen Mut.
„Auf was hättest du Lust?“, fragte er mich.
„Keine Ahnung. Was schlägst du vor?“
„Ich komme noch einmal zurück und hole dich in Stockholm ab. Wir fliegen nach Frankreich und sehen uns die Finals der French Open an. Was meinst du dazu?“
Ich dachte nicht lange nach und sagte zu. Denn ich wusste genau, dass es ihm mehr als ernst damit war. Gunnar kam so wie so erst am Sonntag, oder ganz und gar am Montagmorgen zurück. Denn ich vermute einmal, dass er seine geliebt Alexa noch zum Flugzeug bringen wird.
So nun. Und wie stelle ich das mit Derek an?

„Ich fahre nach Stockholm in die Wohnung. Vielleicht ist Gunnar dort.“, sagte ich so beiläufig wie möglich in Dereks Gegenwart.
Er horchte auf. „Soll ich dich begleiten?“
Ich wandt mich ihm zu. Legte meine Arme strahlend um seinen Hals und küsste ihn. „Nicht nötig. Ich schaff das schon.“
So suggerierte ich ihm, ohne zu lügen, dass ich doch zu Gunnar fuhr. Oder zumindest nach Stockholm, um ihn zu suchen.
Warum sollte ich diese (zweite) Chance nicht nutzen? Wenn sie mir schon geboten wurde.
Dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen Derek gegenüber.

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„Jetzt reißt du mir aber nicht mehr aus!“, sagte Wanja und kam im Airport auf mich zu. Nahm mein Gesicht zwischen seine Hände, küsste mich und drückte mich an sich. „Ich muss die Chance doch nutzen. Wer weiß, wann ich einmal wieder alleine hier sein kann.“

Wir flogen nach Paris, sahen uns gestern das Finale der Frauen, zumindest das, was noch davor übrig war, und das Herren-Doppel Finale an. Speisten, redeten, kuschelten.....fickten. Keiner von uns beiden vermochte sich mehr zu beherrschen. Wir sehnten uns beide so sehr danach! Das der Eine in der Anderen ist.
Wir sahen uns an, so verliebt, wie lange nicht. Wanja ist in der Tat ein überaus attraktiver Mann. Seine Reh braunen Augen sind so sanftmütig und stehen in der Divergenz zu seinen „Beruf“. Wo er doch genau genommen ein eiskalter und draufgängerischer Kämpfer sein müsste. Ein Kämpfer ist er allemal. Jedoch mit Esprit und Intelligenz.

Wanja schnauft und sieht mir verzehrend in die Augen. „Es ist vielleicht noch nicht zu spät, wenn du magst.“
Erstaunt sah ich ihn an. „Ich dachte, der Zug ist abgefahren?“ Ich lächelte warmherzig und blickte forschend in seine Augen.
„Vielleicht noch nicht ganz.“ Ein (Mut machendes) Strahlen überzog sein Gesicht.
„Hmm. Bist du vielleicht jetzt doch nicht der Vater des Kindes?“
Wanja stotterte. „Ja schon. Denke ich. Sie hat es mir zumindest so gesagt.“
„Wie kannst du denn wirklich sicher sein, dass nicht auch andere Männer in Frage kämen? Vielleicht solltest du einen Vaterschaftstest machen lassen.“
„Na ja. Ich weiß nicht. Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich ihr nicht vertraue. Aber ich denke darüber nach.“ Wanja senkte den Kopf und schien nachdenklich zu werden.
„Was ist jetzt mit dem ZUG,....der noch nicht abgefahren ist?“, erinnerte ich ihn lächelnd und legte so viel abwartende Hoffnung in meine Worte wie ich nur konnte, um Wanja zu suggerieren, dass ich Interesse an seiner Antwort hatte.
„Hast du denn überhaupt noch so viel Verlangen nach mir?“
Und in diesem Moment sah ich in seine fragenden, flehenden Augen und.....oh! Verdammt! „Ich liebe dich!“
Wanja starrte mich an. Sein Mund stand offen und ich sah, wie sich die Muskeln seines Gesichts bewegten. Offensichtlich wusste er nicht, was er sagen sollte. Aber dann doch: „Meinst du das auch wirklich ernst?“
„Ja.“ Hauchte ich.
„Ich dachte, du liebst deinen Mann?“, wich er noch einmal aus und legte für einen Moment den Rückwärtsgang ein.
„Ja. Das tue ich. Zweifellos. Nur mit seinem Verhalten zerstört er Stück für Stück meine Liebe zu ihm.“
Ich sah, wie es in Wanja arbeitete. Da keimte offenbar erneut die Hoffnung auf ein Zusammensein mit mir.
„Aber das haben wir doch schon einige Male festgestellt. Du bist immer wieder zu ihm zurückgekehrt.“
Wanja zweifelte. Und das sicherlich zu Recht. Denn bisher war es schließlich stets so gewesen, dass ich mich letztendlich immer wieder für Gunnar entschied.
„Meinst du wirklich, es gibt noch Hoffnung für uns?“ Wanjas Augen durchdrangen forschend die Meinen.
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ich denke schon.“
„Das ist mir zu wage.“, warf er ein. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn. Schien nervös zu sein. Setzte einige Male zum Reden an. Stoppte dann jedoch wieder und räusperte sich.
„Keine Lügen mehr! Keine Eventuelles. Keine Ungewissheit. Verstehst du?“ wurde er ernst und fordernd. „Ich will eine Entscheidung. Und diese Entscheidung muss endgültig sein. Ich will, dass du dir sicher bist. Wenn ich JETZT etwas ändere und Helena vor den Kopf stoße, gibt es kein zurück mehr für dich. Also, überlege gut, was du tust.“
„Selbst wenn ich mich jetzt für dich entscheide, steht sie dann, mit dem Kind, nicht immer zwischen uns?“
Wanja schien verzweifelt. Dem Ersehnten so nahe und doch unerreichbar.
„Vielleicht ist es tatsächlich NICHT dein Kind.“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
„Dann warten wir, bis es da ist und entscheiden dann. Sonst gibt es wieder nur Probleme und Verwicklungen wie damals, als du mich das erste Mals verließt.“
Ich senkte den Blick. Wanja schob seine Hand zu mir herüber und griff nach der Meinen. „Jetzt haben wir so lange gewartet. Da sind sechs Monat ein Kinderspiel. In der Zeit, können wir uns sehen, wann immer du willst. Ich komme! Versprochen!“
„Und was ist nach diesem halben Jahr? Wenn es doch dein Kind ist?“
„Wenn du mich dann wirklich und immer noch ernsthaft willst......“
„Und ich stehe in dieser Zeit in der Warteschleife.“
„So wie ich, die letzten Jahre.“
Er hatte Recht.
Würde ich JETZT „JA“ sagen......Aber das Kind war mir ein Dorn im Auge. Wenn es tatsächlich Wanjas ist, hätte ich keine Chance und wäre womöglich und letztendlich, sagte ich JA, wieder nur die „zweite Frau“, oder eine Konkubine. Womöglich gleichwohl....gar nichts mehr.
Es steht und fällt alles mit dem „Kind“.
„Nun gut.“, versuchte ich mich heraus zu winden. „Wir warten ab. Ist es zweifellos DEIN Kind, dann wirst du so wie so zu ihm und somit auch zu ihr stehen. In dieser Hinsicht kenne ich dich doch. In diesem Fall, hätte ich an deiner Seite nichts verloren.“
Wanja zuckte mit den Schultern. „Ich freue mich auf das Kind.“
„Ja. Ich weiß. Ein Kind verändert ALLES. Ebenso in diesen, unseren Fall.“
Eine kurze Weile der Stille trat ein, bis Wanja die Unterhaltung mit einem Impuls der Beschleunigung des Verfahrens fortsetzte. „Es gibt die Möglichkeit des pränatalen Vaterschaftstestes. Dann hätten ich, hätten wir Sicherheit. Nur würde ich dies anberaumen, gäbe es mit Sicherheit Zank und Streit.“
„Und ist es dann dein Kind. Was dann?“, brachte ich meinen übergeordneten Gedanken zum Ausdruck.
„Okay. Wir legen jetzt fest, dass du ernsthaft an mir interessiert bist, mich liebst und mit mir zusammen sein willst. Stimmt das so?“
Ups!! Ich schluckte. Nägel mit Köpfen? Nein. Dazu war ich, ungeachtet der derzeitigen Gefühlswelle FÜR Wanja, noch immer zu unentschlossen. Aber sagte dennoch „JA.“
Wanja blieb ernst. Es schien gerade so, als bohrten sich seine Augen in meinen Kopf, um zu erfahren, was dort tatsächlich vor sich ging.
„Wenn ich jetzt zu ihr zurück fliege, bestehe ich auf den pränatalen Vaterschaftstest.“
„Und was dann.“, unterbrach ich ihn.
„Bin ich nicht der Vater, lasse ich dich noch am selben Tage zu mir bringen und sie darf gehen. Bin ich der Vater......“, Wanja Atmete schwer und ich sah, wie er mit sich rang. „....übernehme ich die Verantwortung und wir, werden uns besser nicht mehr wieder sehen.“
Jetzt schnappte ich nach Luft. Dennoch war mir mehr als bewusst, dass Wanja diese Variante wählte. Denn, er ist ein „Ehrenmann“.
„Und ich.....bleibe bei meinem derzeitigen Ehemann.“, beendete ich, eher kleinlaut, diese aufreibende Debatte.
Wanja sah mich so liebevoll an, dass ich am aller liebsten aufgesprungen und ihn um den Hals gefallen wäre. Was nicht ging, heute Morgen im Restaurant.
Was führen wir auch so eine wichtige Diskussion in einer so reservierten, verhaltenen Umgebung?! Wo man keine emotionalen Ausbrüche zeigen darf. Dies war mir schon immer unheimlich und verhasst,.... in dieser „gehobenen“ Gesellschaft.

Well, nun wird es Zeit für den Lunch und das Herrenfinale.
Und Gunnar, hat sich bis jetzt nicht gemeldet........