Mittwoch, 13. April 2016

„Wir müssen reden“



Gunnar und ich trennten uns am gestrigen Morgen ohne ein gemeinsames Frühstück. Gleich nach dem Aufstehen, ging, bew. fuhr jeder in sein Büro. Da im Augenblick nichts Wichtiges weiter zu tun war, erledigte ich meinen Post.
Als ich gerade damit in den letzten Zügen lag, kam Derek herein. Kevin war schon längst da gewesen und wir hatten uns recht zugetan (mit einem Kuss) begrüßt. Vielleicht war es sogar besser, dass es Derek nicht sah. Es hätte ihn womöglich irritiert (grins).
Aber Spaß beiseite.
„Wir sollten reden?“, sagte ich zu Derek, nachdem er mich so la, la ebenfalls mit einem Kuss auf den Mund begrüßt hatte. „Meinst du nicht?“
Er nickte schweigend und mit einem kurzen Blick war er zu Kevin hinüber geschweift.
„Gehen wir ins Restaurant.“, sagte ich zu ihm. Was genau genommen kein Bitte, sondern ein Aufforderung war, die keinen Widerspruch duldete.
Kevin sah uns hinterher und grinste.

„Weißt du, mein Vater......es tut mir so leid.“ Derek schnaufte nach seiner eingehenden Entschuldigung. „Im Augenblick habe ich alle Hände voll zu tun, die beiden auseinander zu halten. Sonst gibt es Streit.“, suchte er sich in Erklärungen zu winden. „Ich dachte, mit der Reise wäre alles geklärt und mein Vater hatte mir versprochen nach dieser von hier fort zu fliegen. Allerdings gefällt es ihm hier. Nun wird er vermutlich auch noch Naoko hier her nachholen. Samt meiner Geschwister.“
Ich räusperte mich und legte die Stirn in Falten. Blieb jedoch still, sah ihn an und hörte ihm weiterhin aufmerksam zu (bevor ich Fragen stellte).
„Keine Angst. Ich mach’ das schon.“, sagte er rasch. Da er meine bedenkliche Miene bemerkte. Und genau genommen wollte ich nichts von seiner Familie hören. Sondern doch eher, wie es um uns beide stand. Liebte er mich noch? Oder hatten seine Eltern gesiegt? Oder stand er tatsächlich nur unter enormen Druck?
Ich ließ ihn noch eine Weile lang von der anderen Seite seiner Familie erzählen. Dann griff ich nach seiner Hand und wechselte abrupt das Thema. „Können wir diese Woche womöglich ein wenig Zeit und eine Nacht zusammen verbringen? Oder geht das nicht?“, fragte ich ihn. Alldieweil mir Gunnar bereits angekündigt hatte, dass er wenigstens eine Nacht mit Alexa zusammen sein wollte (?), und womöglich eine andere mit seinem Halbbruder Taylor dessen Geburtstag nachzufeiern es galt.
Derek schien bestürzt. „Wie kannst du das nur fragen? Aber natürlich geht das, mein Herz.“
„So natürlich ist das nicht. Angesichts deiner Familie und deren Einfluss auf dich.“ Blieb ich recht kühl/unberührt und kam damit zum Kern unseres Problems. „Manchmal denke ich, deine Liebe zu mir ist am erkalten.“, konfrontierte ich ihn knall hart mit meinen Gedanken.
Meine Worte schienen ihn zu schockieren. Seine Augenlieder zuckten. Die Pupillen huschten hin und her und es brauchte eine Weile, bevor er mir antworten konnte.
„Rea, WIE kannst DU DAS nur denken?“
„Wie nicht?“, fiel ich ihm ins Wort.
Er schluckte. Gestikulierte mit den Armen. „Es tut mir leid, wenn du das denkst. Aber das ist nicht so.“
„Wie dann?“
„Ich habe nur derzeit viel um die Ohren.“, erklärte er sich weiter, ohne explizit auf meine Frage einzugehen. Aber dann doch: „Versteh’ doch bitte. Es ist schwer, mich dem Willen meiner Eltern zu widersetzen und dabei noch ohne Streitereien auszukommen. Denn DAS will ich nicht. Ich bin froh, dass meine Mutter bei mir ist und ich ihr helfen kann. Bei meinem Vater liegt die Sache ein wenig anders. Aber beide sind der Meinung, dass ich mit einer verheirateten Frau keine ernsthafte Liaison, oder Bindung haben, oder mich ganz und gar in sie verlieben sollte. Nur läuft das meinen Gefühlen zu wider. Meine Eltern, speziell meine Mutter, will ich jedoch auch nicht verletzen. Rea, versteh’ doch. Ich weiß NICHT, was ich machen soll.“
Oh! Oh! Die Sachlage schien ernst. Derek war in einem Zwiespalt geraten. Saß zwischen zwei Stühlen. Oder besser....Drein. Allerdings vermochte ICH ihm in diesem Fall gleichwohl NICHT zu helfen. Trotz alledem fragte ich: „Kann ich irgendetwas für dich tun?“
Derek schnaufte. „Um Verständnis bitte ich dich. Wenn nicht alles so läuft, wie wir, oder du es dir vorstellst.........im Moment. Was wirklich NICHT bedeutet, dass meine Liebe zu dir erkaltet wäre. NEIN!!!! DAS ist sie NICHT! Glaube mir bitte! Ich weiß nur nicht, wie ich im Augenblick die ganze Situation handeln soll.“
„Das heißt, du bist.....überfordert.“ Ich musste grinsen. Und Derek nun ebenfalls......ein wenig......erleichtert. Allerdings übte er sich noch in Zurückhaltung mit einem all ZU sichtbarem Zukunftsoptimismus und einem offenen Lachen aus vollem Herzen.
„Ja. Offensichtlich hast du die Lage völlig richtig eingeschätzt.“ Ich empfand es als so überaus angenehm, ihn endlich, in meiner Gegenwart, wieder lachen zu sehen.
Ich war (nicht nur in diesem Augenblick) gern mit ihm zusammen. Fühlte mich seit je her wohl mit ihm zusammen und wäre am aller liebsten, gleichwohl seinem Vater, mit ihm für einige Tage verreist. Abstand gewinnen, von all den Sorgen und Widrigkeiten, die uns im Wege standen.
Mein Blick muss so sehnsüchtig gewesen sein und so liebevoll, dass Derek ebenso voller Liebe aus seinem Herzen sprach. „ Rea, wenn DU nur willst, schaffen wir das. Fall’ mir bitte nicht in den Rücken. Steh’ zu mir. Ich könnte Hilfe gebrauchen. Tust du das für mich?“ Derek hielt nach wie vor meine Hand und drückte sie.
Ich sah tief in seine Augen und schüttelte leicht mit dem Kopf. „Und WIE soll ich das tun?“
„Sei mir einfach nicht böse, wenn ich gelegentlich missgelaunt bin und ich nicht immer sofort Zeit für dich habe, wenn es gerade bei dir passt. Dazu muss ich meinen Eltern, speziell meinem Vater, noch trotzen.“ Eine kurze Pause entstand. Derek senkte seinen Kopf und hob ihn wieder. „Hier wäre“, nun sah er mich durchdringend, mit großen Augen an,  „hier IST DEIN liebevoller Beistand gefragt. Auch du musst unbeirrt bleiben und mir vor allem vertrauen. Verstehst du das? Ich liebe dich Rea! Ich liebe dich wirklich. Daran hat sich NICHTS geändert.“ (Diese Worte kannte ich doch vom Tag zuvor und von mir, ihm gegenüber ausgesprochen, im Büro.)
Uff! Dachte ich so.  „Okay.“, sagte ich.  „Dann werde ich das tun, so gut ich es vermag.“
Derek setzte nun ein doch eher zufriedenes Lächeln auf.
„Weißt du was?“, fragte er nach einer Weile. „Auch ich dachte schon, dass es aus ist mit uns beiden.“
„Weil du in Gedanken bereits ganz woanders warst“, führte ich seinen (eventuellen!) Gedanken weiter.
Derek zog die Brauen hoch. „Wo denn?“
„Giselle, Rice Golding, Padine Gander, oder wie sie alle heißen, die deine Mutter für dich auserkoren hat.“
„Hey! Hey. Nein.“, widersprach er mir und wurde ernster. „Nein. Soweit dachte ich tatsächlich noch nicht.“
„Ach komm’. Sei still. Oder gib es zu.“
Er schnaufte. „Meinetwegen. So ein paar irrige Gedanken hatte ich tatsächlich nach einem Gespräch mit meiner Mutter. Es tut mir leid.“
„Ja. Eben. Der Einfluss der Eltern auf dich ist in der Tat immens.“
„Ja. Das kann schon sein?“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und bat noch einmal um Verzeihung.
 „Wie wollen wir das ändern?“, fragte er nach einer Weile der Stille.
Ich zuckte mit den Schultern. Aber Derek schien die Antwort bereits zu kennen.
„Indem wir öfters zusammen sind. Uns nicht beirren lassen.....und damit demonstrieren, dass es uns ernst mit unserer Liebe ist.“
„Gute Idee!“ Ich schmunzelte.....und setzte ein zufriedene Lächeln auf.
Geht doch! Dachte ich so........

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„Na? Wieder versöhnt?“, fragte Kevin, als ich mit Derek zurück ins Büro kam.
Wir beide nickten gleichzeitig und grinsten. Kevin räusperte sich. ER hätte es womöglich sogar lieber gesehen, wenn ich mich ihm, anstatt Derek zugewandt hätte.
Ich blieb bis vier im Büro, wo, unter anderem, noch einmal die Flüchtlings - Angelegenheit erörtert wurde, welche wir, dank unserer Anwälte, zu unseren Gunsten entschieden hatten, und ging dann gemächlich zurück zu meinem Haus. Selbstredend begegneten mir viele Leute. Aber ist es nicht so, dass man nur DIE sieht, wahrnimmt, welche man sehen möchte? Wie beispielsweise Jason Anekelea. Troels oder auch diesen hünenhaften Neuen. Wie hieß er doch gleich? Clive Gråbøl. Sogar dieser russische Jude, Sasha Fliess, begegnete mir. Er ist, mit seinen 1,93, nicht weniger hünenhaft und kaum zu übersehen. Ja nun, wie gefällt er mir? Wird sich jetzt manche fragen. Hier kommt ein klares JEIN. (JEIN’s sind nicht klar. Ich weiß. Genau das meinte ich ja!) Einerseits spricht er mich durch seine Größe und seinen muskulösen Körperbau an. Hässlich ist er ebenso nicht. Aber andererseits........(gehen mir hier etwa die Argumente aus??? DAS ist bedenklich!) Aber genug davon.

Ich blieb allein bis zum Abend. Wartete auf Gunnar. Er kam jedoch nicht und rief ebenso wenig an. Was nun nichts Ungewöhnliches war.
Als mein iPhon läutete, war ich erstaunt, dass es Derek anstatt Gunnar war.
Unter einem geschäftlich, fadenscheinigen Grund rief er an und kam allerdings nach zwei, drei Sätzen sogleich zur (eigentlichen) Sache.
„Ist Gunnar bei dir?“
„Nein.“
„Nein?“
„Wieso fragst du denn?“
„Weil ich seinen Wagen sah.“
„Wo denn und wann?“, fragte ich ihn.
„Als ich so gegen halb sechs das Bürogebäude verließ, stand sein Wagen ein wenig abseits, gleich dahinter.“
Ich tat einen tiefen Atemzug und räusperte mich hörbar. Derek schien meine Antwort jedoch abzuwarten. „Dann weiß ich wo er ist und vor allem WAS er tut.“ Und ich vermute Derek rief just genau aus diesem Grunde an, um mich darauf hinzuweisen.
Wir redeten noch eine Weile. Schmiedeten Pläne und er fragte, warum Gunnar so oft hier im Zentrum war.
„Wegen seiner Kinder, sicherlich.“
„Ah. Ja. Natürlich stimmt. Da hast du selbstverständlich Recht.“

Ich wartete, und wartete. Die Zeit wurde mir lang. Denn Gunnar erschien erst gegen halb zehn. Anrufen (und stören), wollte ich ihn nicht. Er kam zur Tür herein, entschuldigte sich, der Verspätung wegen, und wollte mich küssen. Ich verweigerte es ihm. (Was weiß ICH denn, WEN seine Lippen gerade vorher berührt hatten?!)
Gunnar stutze und schien in meinem Kopf zu forschen.
„Ah. Du weißt es also schon. WER hat es dir erzählt?“ er lächelte mich an. „WER hat mich verraten?“
„Dein parkender Wagen. Derek hat ihn beim Verlassen des Gebäudes gesehen.“
„War ja klar, dass er mich verrät. Er ist ja auch ein so unbescholtener Netter, der kein Wässerchen trüben kann. Und Berechnung unterstelle ich ihm hier selbstverständlich nicht.“ Gunnar zwinkerte mir zu und ich wusste, was er dachte und auch, dass es Derek gegenüber nicht böse gemeint war. Denn es war genau DAS, was ich selbst bereits vermutet hatte. (Zwei Männer, die konkurrieren.) Dass der Eine doch, so ein kleinwenig, auf den anderen eifersüchtig war.
Gunnar sah, was ich dachte und nickte mir zu. „Genau.“
„Ihr Männer müsste immer nur konkurrieren.“, bemerkte ich noch, bevor ich dazu überging, (wieder einmal!) die Eifersüchtige zu mimen. Aber ich mimte nicht nur. Ich fühlte mich in der Tat nicht gut bei dem Gedanken, dass mein Ehemann von wer weiß wem kam.
Wir diskutierten trotz alledem (erneut) eine Weile darüber und ich erfuhr, WER die drei Frauen waren, mit denen er die letzten (drei?) Stunden zusammen war. Lara, Ailin Zai, die kindliche Chinesin und die junge, Schokoladen braune Waris. (Das selbe Trio, mit welchem ich ihm das letzte Mal schon sah.)
„Rea, du kennst mich doch nun nicht erst seit heute. Du weißt um meine Leidenschaften und Begierden. Aber auch, dass ich mir große Mühe gebe, sie zu überwinden. Oder sie zumindest einzuschränken.“ Gunnar buhlte und buhlte und am Ende hatte er mich wieder einmal überzeugt, nicht weiter böse mit ihm zu sein und die ganze Sache so rasch wie möglich zu vergessen. Ein schales Gefühl, blieb allemal.

Vor dem Ende unserer Debatte, hatte Gunnar mich gefragt, WIE OFT wir das noch durch kauen müssten. Ich wüsste doch Bescheid und auch, dass es unsere Beziehung, unsere Ehe nicht im Geringsten tangiere. Und schon gar nicht seine Gefühle zu mir. Die blieben doch die Gleichen. Es wäre doch NUR SEX!
Mir war durchaus bewusst, was er da sagte und auch, dass er Recht damit hatte. Nur war es jedes Mal, wenn ich von derlei hörte, wie ein Stick in mein Herz. (Derek oder nicht.) Was mich darin bestätigte, dass ich Derek mitnichten aufgeben darf (und werde!). Was das Kämpfen (um ihn) allerdings betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Ich tut, was ich kann, damit er mir nach wie vor treu und loyal verbunden ist. Nicht mehr und nicht weniger. Und ich denke, es wird mir gelingen. Einen Besseren wie Derek, werde ich, aller Wahrscheinlichkeit nach, ohnehin nicht mehr finden. Er ist in der Tat ein herzensguter Mensch.
Da wir nicht wirklich gestritten, sondern uns ausschließlich unterhalten hatten, gingen wir beide, so gegen halb zwölf, mit einem Gefühl der innigen Liebe zueinander zu Bett.

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Da Gunnar seinen Kindern am gestrigen Abend dem Sex mit drei Frauen vorgezogen hatte, ging er am heutigen, frühen Morgen, sogleich nachdem Aufstehen, zu Marie hinüber, noch bevor er sich in seinen Wagen setzte und wieder davon fuhr nach Stockholm.
Mir ganz persönlich war es der Morgen zu früh, um aufzustehen. Ich blieb noch eine Weile liegen und schlief noch einmal ein. Mein iPhone weckte mich. Es war Derek.
„Wo bleibst du denn. Es ist bereits halb zehn.“
„Oh Gott! Ich habe wohl verschlafen.“, erschrak ich mich. „Gibt es etwas Wichtiges, was meine Anwesenheit erfordert?“
Ich hörte Derek lachen. „Kevin vielleicht. Er hat schon das X-te Mal nach dir gefragt. Und am liebsten wäre er wohl, anstatt meiner, losgegangen, um nach dir zu sehen.“
So kurz nach dem Erwachen vermochte ich nur mühsam seinen Worten zu folgen. Daher dauerte es einige Sekunden bevor ich begriff, dass Derek vor meiner Haustür stand.
Er klopfte.
„Komm herein.“
Und NEIN, wir schliefen NICHT miteinander. Wir frühstückten nur und unterhielten uns.
„Weißt du was?“, sagte ich dann zu ihm. „Wenn heute nichts weiter Wichtiges anliegt, nehme ich mir frei.“ Ich zwinkerte ihm zu und lächelte. „Als Chefin darf ich das.“