Freitag, 29. April 2016

Von Familien, Müttern und Nichtmüttern



Trotz alledem das Gunnar sich frei genommen hat und hier im Zentrum ist, sahen wir uns gestern kaum. Jeder ging seiner eigenen Wege. Ich ließ mich in der Manie- und Pediküre pflegen. Die übrige Zeit war ich im Büro. Gunnar hingegen in der Sauna und schwimmen. Danach bei Marie und den Kindern. Den Lunch nahmen wir gemeinsam ein.

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Kurz bevor Gunnar mich zur Abfahrt nach Stockholm mahnte, um meine Eltern vom Airport abzuholen, hatten wir drei, Kevin, Derek und ich ein Gespräch in meinem Büro. Im Wesentlichen kreiste es um geschäftliche Belange. Doch dann wurde es ebenso privat. Begonnen hatte es damit, dass ich Derek fragte, ob ihn Marie bereits eingeladen hatte. Was er verneinte. Wir witzelten noch darüber, wie Kevin mit Anzug und Fliege aussah. Und er meinte, er hätte doch so wie so stets im Büro einen an. Er würde nicht viel anders aussehen. Wir lachten.
„Es wird für Marie sicherlich selbstverständlich sein, dass du kommst.“, sagte ich zu Derek und wendete mich dann wieder Kevin zu. „Was dich betrifft, steht es außer Frage. Du bist selbstverständlich eingeladen.“, ich zwinkerte ihm zu. „Schließlich gehörst du fast zur Familie. Meine Eltern kennst du sicher noch.“
Kevin nickte. „So la, la.“
Wir redeten noch ein paar Sätze über Deutschland, über Kevins und meine Familie und dann sprach ich noch einmal die Verschwiegenheitsklausel an, die jeder von uns einzuhalten hatte. Insbesondere Kevin mit seiner Frau und Derek mit seinen Eltern,  sowie seinen Freunden. (Bei Derek, fand ich, bestand die größere Gefahr, dass sich Informationen Fehlverbreiteten, welche nicht nach außen gehörten.) Was Gunnar betraf rechtfertigte ich mich damit, dass er so wie so vor geraumer Zeit der Boss hier war. Zudem sei er mein Ehemann und mir gehöre schließlich das Ganze. So liegt es in meinem eigenen Ermessen, wie viel ich ihm sage. Über geschäftliche Dinge rede ich mit Gunnar ohnehin nicht viel. Und auch wenn er für eine andere Firma tätig ist, ist es doch die meines Vaters. Genau genommen kann es in diesem Falle keine Sicherheitsrisiken geben. Es bleibt alles in der Familie.
Ich betonte noch einmal, dass ich Kevin, nicht nur in dieser Hinsicht absolut vertraue.
„Trotz alledem hat Janina nichts von dem zu erfahren, was wir hier besprechen.“
Und wenn sich Derek eines Tages doch für Giselle, aus den verschiedensten Gründen heraus, entscheidet“, und an dieser Stelle gedachte Derek mich zu unterbrechen. Jedoch ließ ich es nicht zu. „ist er ebenfalls angehalten darauf zu achten, was er ihr erzählt.
„Warum sollte ich mich denn für SIE entscheiden?“, kam seine Frage an mich ein wenig halbherzig heran. Wie mir schien.
„Du bist ein Ehrenmann“, argumentierte ich, „und sollte es tatsächlich dein Kind sein, dann wirst du sicherlich, aus deinem Gewissen heraus, eine Entscheidung treffen, die NICHT in unserem Sinne ist. Zudem bleibt unbestritten die Tatsache bestehen, dass ich verheiratet bin. Überdies werden dich deine Eltern nötigen, die Konsequenzen zu ziehen. Was der dritte Grund wäre.“, veranschaulichte ich ihm seine etwaigen Motive (mich letztendlich doch zu verlassen).
„Du wirst mich feuern, sollte ich mich jemals für eine andere Frau entscheiden.......müssen.“ (Seine Antwort sagte mir, dass er es tatsächlich bereits in Betracht, in Erwägung gezogen hatte.)
Ich lächelte milde. „Nein. Werde ich nicht. Auch DAS wird nichts an deiner Position ändern. Du bleibst wo du bist. Genau hier.“, versicherte ich ihm. Obwohl ICH selbst, diesbezüglich, noch im Zweifel mit mir lag.
Ich pustete die Luft durch meine Lippen und sah Derek an. „Es ist in mancher Hinsicht sicher schwierig für mich und wir sprachen schon einmal darüber, dass man genau genommen Geschäftliches von Privatem trennt. Aber das können wir trotz alledem weiterhin gut handeln. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür. Gerade in Familienbetrieben, wo niemand diese Stich geradlinig zu ziehen vermag.“
Späterhin kam das Gespräch auf Dereks Familie. Sein Vater sei noch immer hier und er gedenke vorerst nicht abzureisen. Im Gegenteil. Er hätte nun endlich seine japanische Frau soweit überredet, dass sie ebenfalls hier her kommen würde.
Ich erboste mich über das Unverständnis seines Vaters, was die Krankheit seiner Mutter betraf. War sie nicht gerade vor ihm weggelaufen und hier her zu Derek gekommen? Nun holte er sie bereits wieder ein. Unglaublich, der Mann.
In diesem Zusammenhange kam mir eine Idee.
„Solange Gunnar hier im Zentrum ist, könnte deine Mutter in unserem Apartment wohnen. Dann hätte sie zumindest Ruhe und Zeit für sich. Ohne andauernd von deinem Vater aufgewühlt zu werden. Vom Friseur bis zum Bäcker wäre alles innerhalb dieses Gebäudekomplexes. Sie müsste nicht einmal nach draußen gehen. Allerdings würde ich zuvor erst gern mit Gunnar darüber reden.“
Auch Derek sah anscheinend ein, dass die Anwesenheit seines Vaters, auf längere Zeit, für seine Mutter zu anstrengend war. Zumal beide in einer Hütte wohnten. Was offenbar in dem Gedankengut seines Vaters gewachsen war. Er schien zudem noch geizig zu sein. Was nun wahrlich nicht nötig war. Und obendrein sollte gleichwohl noch diese andere Frau hier wohnen? Ich wusste genau und vermochte es Magdalena nachzufühlen, wie unerträglich dies für sie sein musste.
„Mag sein, dass mich deine Mutter nicht mag“, sprach ich weiter,  „aber ich kann gut mit ihr fühlen, was es für sie bedeutet, wenn noch eine zweite Frau in ihr Haus einzieht. Vielleicht wäre es doch gut, wenn sie sich bis nächste Woche eine Auszeit von deinem Vater nimmt. Und dann sehen wir weiter. Es brächte allerdings wenig, sie hier im Zentrum, in einer anderen Hütte unterzubringen. In Stockholm ist sie weniger erreichbar für ihn. “
In diesem Augenblick hatte mein iPhone geläutet. Es war Gunnar.
„Kommst du mit zu Flughafen? Oder nicht?“
„Oh Gott!“ Ich schrak hoch. „Das hatte ich doch glatt vergessen. Ich komme sofort.“
Ein paar Sätze flogen noch zwischen uns dreien hin und her, bis ich mich eilends verabschiedete und da stand Gunnar bereits in der Tür und mahnte zur Eile.

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Auf der Fahrt zum Airport sprach ich kurz das Thema mit unserem Apartment und Dereks Mutter an. Gunnar zuckte mit den Schultern und hatte nichts dagegen, wie es schien.
„Wenn wir ihr so helfen können. Warum nicht.“, sagte er.

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Das eigenartige mit meinen Eltern, die nicht meine Eltern sind, denn eigentlich bin ich wohl mittlerweile ein Waisenkind, ist, dass sie sich mir nie wirklich (mit all ihren Gefühlen) zugewandt haben. Wie auch, wenn sie nicht wirklich meine Eltern sind. Ihnen war zumeist, oder beinahe immer, das System der Belohung wichtig. Gutes Kind bekommt. Böses Kind wird gemieden. Gestraft. Gut und Böse richteten und richten sich nach wie vor nach dem Ermessen meiner Eltern. Im Augenblick ist Marie die Begünstigte, die sie bisher nie wirklich als ihr Kind angesehen hatten. Wie auch? Sie ist Mulattin. Da hatte sich meine Tante Ellen, die eigentlich meine Mutter ist, mit einem Schwarzen einzulassen und obendrein noch ein Kind von ihm zu bekommen. Selbstredend wurde das Kind (der Schande) evakuiert. In den tiefsten Süden. Nach New Orleans. Ihre Herkunft wurde verleugnet, verschleiert und ihr eine andere, passendere Ziehmutter, Ruby Jane, gegeben. Als Kinder spielten wir so oft zusammen und wussten doch nicht, dass wir Schwestern sind.
Infolgedessen dreht sich nun alles um Marie und spielt sich alles bei ihr ab. Sie ist glücklich darüber, dass sie mir endlich einmal überlegen ist und für eine kurze Zeit in der absoluten Gunst meiner Eltern steht. Daher bekommt sie alles, was sie sich wünscht. Die Hochzeit wird selbstredend von meinen Eltern ausgerichtet. DAS sind sie Tante Ellen, meiner eigentlichen Mutter, offenbar schuldig. Ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, kann und konnte ich jedoch nie in meiner Eltern Handlungen und Absichten entdecken. Stets wurde Ellen, wenn überhaupt erwähnt, ausschließlich als verruchte Person dargestellt, die sich nicht um ihre Kinder kümmert und stattdessen lieber ihr Leben genießt. Sprich Party feiert. Vom Arbeiten hielt sie offenbar ebenso nicht viel. (DAS muss an mir hängen geblieben sein!) Meinen Eltern jedoch war und ist die Arbeit stets das Wichtigste. Wie Deutsche nun einmal, im Allgemeinen, sind.
Im Grunde bin ich glücklich damit. Weil es mich entlastet. So habe ich doch die Muse anderes zu tun. Denn selbst Gunnar ist im Haus von Marie.
Die Kinder sind ebenso ein Mittelpunkt. Enkelkinder, die ICH ihnen niemals mehr schenken kann und werde. Daher noch ein Plus für Marie, die nun endlich anerkannt ist, in unserer Familie. Was sie über glücklich macht.

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Mit Gunnar sprach ich noch einmal über Alexa.
„Hast du sie eingeladen?“, fragte ich ihn unverblümt und einen scharfen Ton.
Gunnar antwortete nicht. Sah mich stattdessen Schuld bewusst an und grinste.
Ich schnaufte. „Was sagt Marie dazu?“
„Was soll sie dazu sagen? Sie kennt sie schließlich. Und alle anderen doch auch. Derek wird, meines Wissens, sicherlich ebenso anwesend sein.“
„Ich weiß es nicht. Hier lasse ich Marie entscheiden.“, die sich tatsächlich kurze Zeit später bei mir meldete und sagte, dass ich doch bitte all ihre und meine Bekannten  einladen soll.
„Du weißt aber schon, dass auch Alexa kommen wird?“, fragte ich noch einmal nach.
„Eine Person mehr oder weniger. Darauf kommt es doch nun auch nicht mehr an. Meinst du nicht?“, erwiderte sie lapidar.
„Darum geht es nicht?“
„Ich weiß. Aber Gunnar hat.....“
„Ahhhhh. So ist das also. Okay. Dann wird Derek ebenfalls anwesend sein.“
„Sage ich doch.“ Sie lachte.
Und gleich darauf rief ich Derek an und überbrachte ihm die frohe Kunde.
„Aber ich hätte eine Bitte.“, hörte ich Derek sagen.
„Sprich sie aus.“, kam ich umgehend und gerade heraus zur Sache.
Räusper, hüstel usw... „Meine Mutter und.......“
„.....dein Vater“,  sprach ICH an seiner statt weiter, „würdest du ebenso gern dabei haben wollen?“
Räusper, hüstel, usw.... „Wenn es keine Umstände macht. Und wenn sie Marie und Henrik willkommen wären?“
„Aber selbstverständlich!“, erwiderte ich frei heraus. „Sie sagte ohnehin, dass all ihre Bekannten eingeladen wären und es auf ein, oder zwei Personen mehr nicht ankommen würde. Also dann. Warum nicht? Aber bitte“, nun wurde meine Stimme noch ein wenig fester und gebieterischer, wie sie ohnehin bereits war, „Dein Vater soll sich mäßigen. Ist das klar?“
Ich hörte Derek pusten. „Pffffff....Huuuu WOW! Du bist heute sehr direkt und klar.“
Ich lachte. „Du meinst rigoros und despotisch? Sprich es ruhig aus.“
„Okay. Ich werde es ihm sagen.“
„Hat deine Mutter sich schon wegen des Apartments geäußert?“
„Oh! Ja. Sie meint, es sei nicht nötig.“
„Nun gut. Der Grund dafür, mag bei ihr bleiben. Sie wird schon wissen, was sie tut.“

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Ich hatte ohnehin den ganzen Abend und gleichwohl am Morgen, an Derek gedacht. Hätte am aller liebsten bei IHM sein wollen. Seine attraktive Erscheinung kreiste in meinen Gedanken und sein schönes Gesicht schwebte mir unaufhörlich vor meinem inneren Auge umher. Gunnar hatte es selbstredend bemerkt.
„Wieso denkst du an Derek? Ich dachte du bist froh darüber, dass ich endlich hier bei dir bin.“
„Ja! Bin ich doch auch. Aber es ist mir zu viel Trubel. Diese andauernden Unkonstanten wachsen mir über den Kopf. Bringen mich aus dem Gleichgewicht. Maries Hochzeit und alles, was damit zu tun hat, einschließlich, oder vor allem, dem Besuch meiner Eltern, ist für mich wie auf glattem Eis zu gehen.“
„Du bist doch nicht wesentlich involviert. Man lässt dich doch weitestgehend in Ruhe. Da man weiß, wie krank du bist.“
„Meidet man mich deshalb? Lässt man mich aus diesem Grund außen vor?“, wurde ich fast noch hysterisch. Und ich konnte selbst nicht verstehen warum.
Gunnar stutzte. Zog die linke Augenbraue hoch. „Ich dachte, du bist froh darüber?“
„Ja! Bin ich doch auch!“
„Pffhhuu!“ Er breitete die Arme aus und hob die Schultern. „Also, WAS willst du denn nun?“
Gunnar lenkte jedoch umgehend ein. Kam auf mich zu und wurde leiser. Umarmte mich und drückte meinen Körper an den Seinen. Strich mir über den Rücken und küsste meinen Hals. „Ich weiß. Es liegt an der Art deiner Eltern, die dich immer wieder verletzt.“
Es tat so gut jemand zu haben, der einen versteht..........
Entsprang etwa der Gedanke, bei Derek sein zu wollen, meinem Bedürfnis, dem allen zu entfliehen? Vertraute ich ihm tatsächlich so sehr, dass ich ihn als Anker für mich sah?
Nun, zumindest gelegentlich wird das wohl so sein.
Was nicht bedeutet, dass Gunnar es minder wäre. Gleichwohl in seinen Armen finde ich die ersehnte Geborgenheit. Nur in diesem Fall ist ER gleichermaßen involviert. Diese Hektik, dieser Druck, den ich verspüre, bereitet mir Kopfschmerzen.
Aus diesem Grunde mag ich dergleichen nicht!