Donnerstag, 14. November 2013

Stille Wasser



Gunnars Hang zur Unbefangenheit und zum Nudismus, sind mir genau genommen nur wenig verständlich. Ich dachte sein Vater sei ein gestrenger, selbstsüchtiger Mann. Hat er womöglich ebenso seine „geheimen“ Vorlieben und Gelüste, die er niemandem verrät? Denn meist ist es die Erziehung und das kindliche Umfeld, was Menschen prägt.
Jedoch schien Nacktheit und ungezügeltes, sexuelles Verhalten innerhalb der Sekte, zu der Gunnar damals in New Orleans gehörte, in gleichem Maße „normal“ zu sein.
Hatte Gunnar etwa im Teenie- Alter die Flucht vor etwas ergriffen und kam vom Regen in die Traufe? Hatte ICH da etwas völlig falsch gedeutet und miss-verstanden? Mit mir spricht man auch nicht wirklich über derartige Familiengeheimnisse.
Aber, wozu sich den Kopf zerbrechen? Es ändert ohnehin nicht daran. Weder an Gunnar, noch an seinen Vorlieben oder seinem Verhalten.
Er ist nun einmal wie er ist.

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Mir fehlt, wie ich des Öfteren feststellen konnte, eine „beste Freundin“, mit welcher ich so mancherlei besprechen könnte.
Natürlich ist da Sarah Sjögren. Aber sie ist immerhin nur eine Angestellte.

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Müsste ich meine Gefühle im Augenblick beschreiben, wäre Unsicherheit das oberste von allem.
Da ist so viel was mich ängstigt. Krankheit, Zukunft, ja sogar mein Ehemann. Zuweilen Wanja, da ich nie weiß, was sein nächster Schritt sein wird. Unerfüllte Liebe kann in manchen Fällen zu gesteigerter Unberechenbarkeit führen.
Die unglückselige Unerreichbarkeit von Kevin. Aber was will ich schon mit ihm? Eine Allianz der Versehrten? Wo der eine den anderen nicht zu stützen vermag? Oder täusche ich mich?
Der sichtliche Egoismus und die scheinbare Ignoranz von Ian?
Im Gegensatz dazu die Gleichmütigkeit von Troels. Wie hält er das aus? Mich beständig bei Gunnar zu wissen.

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Dahl Lundqvist statte mir einen eher inoffiziellen Besuch ab, bei welchem er mich darüber in Kenntnis setzte, dass eine gewisse Alicia Rice das Studio blockiere, ohne auch nur einen müden Penny dafür zu zahlen. Gunnar hätte ihn aufgefordert darüber still zu schweigen. Was er angesichts seines Jobs jedoch nicht könne. Seine Mutter, Christine würde aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso darüber Bescheid wissen.
Es schien mir, als würde er ganz bewusst diese Information an mich weiter geben.
Ich bedankte mich höflich und er ging.

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Die Gerüchteküche des Zentrums vermeldet mir durch Sarah Sjögren, dass mein Ehemann eine Affäre mit einer gewissen Ellen Parker hätte. Sie wurde Anfang November von Dahl Lundqvist eingestellt, nachdem zwei andere gefeuert wurden, um die Kosten mindestens einer Stelle einzusparen. Sie wäre mit weniger als einem Gehalt der beiden zufrieden und glücklich einen Job gefunden zu haben.
Man hätte Gunnar vor einigen Tagen in ihre Hütte gehen sehen.
Würde ich jedem Gerücht auch nur im Mindesten einen gewissen Wahrheitsgehalt zugestehen, sollte ich mich besser scheiden lassen. Oder, nicht mehr darüber nachdenken und mich ebenso durch die Reihen des Personals ficken. Nur hatte ich vor kurzem erst beschlossen genau DIES eben nicht zu tun. Weil es sich schlicht und einfach nicht gehört!

Wer ist diese Frau überhaupt?
Ist sie auch nur eine Sekunde meiner Aufmerksamkeit wert?
Bislang nahm ich sie noch nicht einmal wahr.
Jedoch sind es zuweilen viel mehr die stillen, unscheinbaren Frauen,  die Geheimnisse hüten und denen man es mit Nichten zutrauen würde Ehen zu zerstören oder ein ausschweifendes Leben zu führen.

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Am Nachmittag hatte Gunnar grinsend gewitzelt und darüber geredet, mich am Abend zufrieden stellen zu wollen. So wie ich ihn am Tag zuvor. Möglicherweise hatte er diesbezüglich ein „schlechtes Gewissen“. Jedoch war er am Abend für einige Zeit wer weiß wo unterwegs, und als er zurückkam, war ICH zu müde. Demzufolge vermochte ich ausschließlich den „Kuschelfaktor“ zu genießen, der gleichermaßen nicht zu verachten ist.
Und heute Morgen kamen die „vampiristischen Schwestern“ samt Arzt. Erneut keine Gelegenheit dafür.

Ja natürlich beeinflussten mich am gestrigen Tag noch immer die Fotos dieser vermaledeiten Mail. In gewisser Weise und für einige Zeit hatte sie ihr Ziel erreicht.
Jedoch am Ende sprach ich doch mit Gunnar über alles. Die Gerüchte, die Fotos und ich war letztendlich glücklich darüber es getan zu haben.
Das Wichtigste sei Vertrauen zueinander. Betonte er wieder und wieder. Schließlich  würde er mir sogar darüber berichten, wenn er zu Siv gehen würde, um eine Session mit ihr zu veranstalten. Denn seine Neigungen könne er nicht mehr leugnen. Und da ich sie nun bedauerlicherweise nicht zu befrieden vermag, wäre diese doch schließlich eine akzeptable Lösung, für welchen ich nun selbstverständlich Verständnis aufbringen müsse. So zumindest seine bittende Frage und sein flehender Blick.

In welchem Maße kann ich Gunnar wirklich vertrauen?