Mittwoch, 3. April 2013

Contenance



Ich will mich der Angst nicht stellen.
Ich will mich überhaupt nichts stellen.
Aber ich weiß sehr wohl, dass dies ohnehin nicht möglich sein wird.
Alldieweil ich täglich meinen eigenen Kampf ausfechte.
Mich stellen muss.
Den Schmerzen. Der Erschöpfung.
Ob ich es nun will oder nicht.
Es bleibt mir keine Wahl.
Und trotz alledem habe ich auf  irgendeine Weise die Contenance zu wahren.
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Bevor wir gestern Morgen das Haus verließen um zu meiner physiotherapeutischen Behandlung zu gehen übermannte mich die Angst. Panik ergriff mich und Wut. Ich steigerte mich in das Thema des wieder verlassen Werdens derart hinein, dass ich hysterisch wurde. Schrie und weinte, sodass mich  Gunnar, gegen den ich mich anfangs sogar noch zur Weh setzte indem ich um mich schlug, beruhigen musste. Er hielt mich ganz fest. Drückt mich an sich. Streichelte mich. 
Ohnehin hatte ich am Morgen bereits genug damit zu tun mich aus dem Bett zu quälen.
Anfangs gingen wir schweigend. Jedoch vermochte ich es nicht meine Gefühle in mir zu behalten und es entstand erneute eine heftige Diskussion, bis ich schlussendlich auf der überfrorenen Nässe stürzte.
Gunnar trug mich zurück zum Haus. Ich hatte Glück. Es war nichts weiter geschehen. Außer einem dicken Knie, das gekühlt werden muss.

Mit einem Mal, so schien es mir, hörte ich „neue“ Töne.
„Beachte deine Schmerzen, die Symptomatik und wie weit sie sich verändert. Um das Knie kümmere ich mich. Das wird schon wieder.“ Gunnar zwinkerte mir zu um mich zu ermutigen.
Hatten sich seine Gedanken gewendet? War der Sturz ein „Zeichen“?
„Nimmst du mich endlich ernst?“, fragte ich noch immer meiner Gefühle weder sicher noch Herr.
Gunnar schüttelte mit dem Kopf. „Was denkst du nur? Ich nehme dich immer ernst.“
„Oder denkst du vielleicht, ich will dich mit Krankheit an mich binden. Derartiges liegt mir in der Tat überaus fern. Ich will kein Mitleid. Ich brauche DICH an meiner Seite, und nicht in New York oder anderswo!“
Gunnar senkte betreten den Kopf. „Ich weiß, dass du mich nicht an dich binden willst.“ Er sah mich beinahe schuldbewusst und abwartend an. Gerade so, als müsse ich nun eine Schlussfolgerung ziehen. Oder eine Erkenntnis gewinnen. Und just in diesem Augenblick erinnerte ich mich an das Gespräch zwischen ihm und Christine im Office, wo es um das „Binden“ ging. Das Binden von mir an ihn.
Ich verwarf den Gedanken jedoch sogleich. Wusste nicht, was ich damit anfangen, oder daraus schlussfolgern sollte. Welchen Sinn kann es haben jemanden an sich zu binden? Nein. Ich reimte mir da sicherlich abermalig etwas zusammen.
Ich denke viel mehr, das Gunnars fortwährenden Hinweisen auf meine Schmerzen und meine Kränklichkeit eher dazu dienen, mich zum Nachdenken zu bewegen. Es auszusprechen. Mit ihm darüber zu reden. Mich DEM „zu stellen“, was ich nicht zu ändern und wessen ich nicht auszuweichen vermag.
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„Lass dich fallen. Gib dich den Düften, der Massage und den Klängen hin. Ich werde es dir heute Abend leicht machen. Dich verwöhnen. Dir deine Sorgen nehmen. Für einen Augenblick zumindest.“, sagte Gunnar und zwinkerte mir viel sagend zu.
„Was ist nun mit New York?“, ließ ich nicht locker. Wollte Klarheit. Bedrängte ihn.
„Lass das meine  Sorge sein.“ Gunnar nahm meinen Kopf zwischen seine Hände. „Ich weiß, dass ich eine Entscheidung treffen muss. Vertraue mir.“
Seine Worte beruhigten mich. Das er bei mir war, noch viel mehr. Nun mag er sich nur noch „richtig“ entscheiden.
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Die „Beschützer“ wechseln noch immer im Schichtrhythmus. Was ich kaum noch wahrnehme. Mein Fokus liegt auf Gunnar, meinem verkrampften Körper und meinem dicken Knie.
Christine kam vorbei. Berichtete uns über die Themen der Dienstberatung.
Mir war nicht nach trivialer Konversation, banalen Telefonaten oder belangloser Gesellschaft zu mute. (Gleichwohl ich Christine niemals als belanglos ansehen würde. Sie ist immerhin meine Schwiegermutter.)
Ich wollte ausweichen. Mich zurückziehen. Nur wohin?
„In dich!“, antwortete mir Gunnar meine Gedanken lesend. „Und ICH helfe dir dabei.“
Hatte er seine Entscheidung bereits getroffen?