Montag, 22. April 2013

Was ist des Lebens wert?



Wie sollte ICH jemals Disziplin aufbringen, wenn es Gunnar ebenso wenig vermag und derartigen Interessen folgt? Zudem des Öfteren nicht bei mir ist, um mich zu unterstützen und mich gegebenenfalls auf meine Fehler hinzuweisen. Wie er es eigentlich gern tut, und wie ich es ebenso gern lächelnd annehme. Immerhin zumeist.
Weshalb sollte ICH mich meiner inneren Problematik stellen, wenn ich bei Gunnar  Ungereimtheiten sehe und Weitere entdeckte?
Ist er in der Tat so „reif“ wie er sich gibt? Bisher sah ich in ihm meinen spirituellen Meister.
Wie oft zelebrierten wir anregende Unterhaltungen. Aus Gunnar sprach stets ein reicher Schatz an Erkenntnis, sodass ich ihn auf ein transzendentes Potest erhob.
Woher kamen seinen „Weisheiten“? Die durchaus ihre Berechtigung haben.
Sind seine Einsichten, seine Wahrheiten einzig der Sekte entsprungen? Was ich jedoch nicht für wahrscheinlich halte. Benutzt er sie nur? Benutzt er mich? Wenn ja, wofür?
Ist es ein „Komplott“ mit seiner Mutter, dass sie möglicherweise nach meinem schnellen Abgang mit Felicio während der Trauung ersonnen? Ist es seine Rache?  Ist alles nur eine Farce? Seine Liebe, seine Schwüre, das Leben mit ihm? Unsere Ehe? Ist es SEIN Vergeltungsplan?
War es Magie? Hat er mich tatsächlich verhext?  Räumt er seine Konkurrenten, einen nach dem anderen aus dem Weg? Tötet er sie? Auf magische Weise? Kevin? Es war nicht meine Schuld!
Alles sei möglich. Ist seine beständige Rede.
S –T- O – P - P!
Was tue ich hier eigentlich hier? ALLES in Frage stellen? Mein gesamtes Leben?
Ohnehin war ich in meiner Unterhaltung mit Troels bereits zu dem Schluss gekommen, dass es für mich keine Wahl mehr gibt.
Wohin mit mir kränklichen Frau?
Man(n) hat mich in der Hand.

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Am Ende stellt sich nicht die Frage, was ich dagegen tun kann. Sondern, in wie weit ich alles tolerieren, beziehungsweise ignoriere kann?
Wie gut ist mein schauspielerisches Talent?
Eigentlich gleich Null!
Jedoch zwingt mich meine Resignation, meine Situation dazu die Augen zu verschließen. Die Welt zu verdrehen und gegebenenfalls einen anderen Standpunkt einzunehmen. Um meiner selbst Willen.
Oder sollte ich etwa doch Troels heiraten?

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Ich hatte Gunnar gebeten mich im Zentrum abzusetzen, was ohnehin auf halbem Weg nach Stockholm liegt. Er hatte eingeräumt, dass ich bei Erik bleiben könne. Ich jedoch entgegnete, dass wir so wie so am Sonntagabend zurück ins Zentrum hätten fahren wollen.
Gunnar dachte genau zu wissen, dass ich zu Troels gehen würde. Zudem ich noch zornig mit ihm war. Ein wenig. Zumindest. Im Inneren.
Er hatte mir während der Fahrt Sarah Sjögren oder Jason Anakeleas Frau Lisa offeriert. Ich jedoch, dachte viel mehr an Jason selbst. Was ich mir selbstredend in der Anwesenheit seiner Ehefrau niemals erlauben würde. Nicht einen einzigen herausfordernden oder zweideutigen Blick.
Gunnar hatte sich bis dahin beständig bei mir entschuldigt. War gefügig und gefällig gewesen. Liebkoste und schmeichelte mir beharrlich. Gab mir sein Versprechen sogleich nach dem Spiel zu mir zurückzukehren. Was ich nun wahrlich nicht glauben konnte. Männer, Bier und Fußball waren eine explosive, adrenalinreiche und Testosteron angereicherte  Mischung, welcher sich Gunnar gewiss nicht zu entziehen vermochte.
Nun, was blieb mir für eine Wahl als abzuwarten. Ob seinen zahlreichen Versprechungen gleichwohl Taten folgen würden.

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Im Zentrum angekommen orderte ich meine Speisen und ließ sie mir zum Veranstaltungsgebäude bringen.
Gunnar hatte in der Zwischenzeit offensichtlich Ryan über meine Ankunft informiert. Denn kaum das ich Platz genommen hatte, kamen Paul Bradley, Jason Anakelea, dessen Frau ihn begleitete, und Sarah Sjögren, als „Nachzüglerin“, eilends zu mir, um für meine Sicherheit zu sorgen. Was mir völlig entfallen war.
Während mein Ehemann mit Sicherheit die ersten Fußball-Hymnen anstimmte, speiste ich zu Gospel, Capoeira und Mantren aus aller Welt mit Lisa Anakelea, die sich zu mir gesellt hatte. Wir plauderten über unsere Männer unter den spitzen, hohen Töne der Klarinette, welche den jüdischen Klemzer spielten und mir den allen letzten Nervs raubten. Jedoch sprach ich mit Vorbehalt. Denn schon frühzeitig hatte man mir beigebracht nicht zu vertrauensselig mit dem Personal zu schwatzen. Es ist stets wesentlich die Distance zu wahren, um bestimmt aber höflich die Hierarchie aufzuzeigen. Klatsch und Tratsch gab es ohnehin schon genug. 

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In den Stunden der Einsamkeit, in denen ich Troels nur kurz aufsuchte und anschließend auf Auktionen bot, hatte ich über Gunnar nachgedacht. Mich, wie so oft, in die ungeheuerlichsten Szenearien hinein gesteigert. Lamentiert. Mit der Welt gehadert und mit mir selbst. Wurde wütend und traurig. Jedoch bevor ich weinte, sagte ich:
N – E – I – N!
Ich bin Gunnar nicht böse, und es gibt nichts zu verzeihen. Er ist schließlich in der Tat nur ein Fußballspiel und ER mein Ehemann. DER Mensch, welchen ich am meisten Vertrauen schenke. Der immer für mich da ist. Der mich hält, streichelt, küsst, liebt und fickt. Der mir Geborgenheit gibt, so wie ich mich bemühe es ihm gleich zu tun. Mit IHM vermag ich über alles zu reden. Sogar über manche Grenzen hinaus zu schreiten. In seiner Gegenwart kann ich mich zuweilen gehen lassen. Ohne Etikette die Füße auf den Tisch legen und laut rülpsen und vor allem ich selbst sein.
Nichtsdestotrotz glaube ich an Gunnars Liebe zu mir.
Nichtsdestotrotz ist er beinahe (!) beständig bei mit.
Nichtsdestotrotz achtet er auf mich.
Nichtsdestotrotz liebe ich ihn.
Nichtsdestotrotz ist er ein Magier und gleichsam ein Mensch.
Nichtsdestotrotz ist er mein Seelenpartner.  

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Gunnar hielt am Ende sein Versprechen. Gleichwohl sein Atem nach Bier roch (stank), war er sogar noch mit seinem Wagen zu mir zurückgekommen. Eins, nein zwei wären es gewesen. Gestand er mir lachend. Küsste und umarmte mich. Worauf noch eine schnelle „Bett-Geschichte“ folgte, bevor er mit mir viel zu spät zu Abend speiste.
Seine Neigungen kurz erwähnend, was ich beflissen überging, schlief ich diese Nacht vergleichsweise unruhig in Gunnars Armen.