Dienstag, 28. Mai 2013

Geduld bewahren, zahlt sich aus



Ich war nervös. Ein wenig aufgeregt, als ich mit Gunnar nach Stockholm fuhr. Aus diesem Grund verspürte ich das dringende Bedürfnis nach Nahrung. Essbares in Form von Fast Food. Obgleich ich doch erst vor knapp einer Stunde diniert hatte.
Gunnar schmunzelte, als ich begann den Burger heißhungrig zu verschlingen, welchen er mir kurz zuvor in einer Tüte gereicht hatte. Er schloss die Wagentür und ging, um die veränderten Bedingungen mit wem auch immer auszuhandeln.
Während ich auf seine Rückkehr wartete, dachte ich über Kevin nach. Warum hatte er noch nicht angerufen? Es hätte mit Sicherheit einige Möglichkeiten gegeben. Scheut er sich? Schämt er sich?  Das Treffen mit ihm hatte einen so merkwürdigen Eindruck bei mir hinterlassen. So unvollkommen. Als wäre noch lange nicht alles gesagt, besprochen, getan worden. Da war ein Fleck der Leere. Etwas Unausgefülltes, was noch kommen musste. Jedoch vermochte ich mit Nichten zu ergründen, um was es sich dabei handelte.
Ian kam mir in den Sinn.  Ich entferne mich emotional immer mehr von ihm. So ästhetisch schön, oder überaus attraktiv erscheint er mir beinahe gar nicht mehr.
Merkwürdig. Außerordentlich eigenartig.
Da war so viel Liebe, Lust und Leidenschaft. Wo ist sie hin?
Natürlich würde ich mich ihm noch immer mit großer Freude hingeben. Mit ihm ficken. Allerdings lag diese Vorstellung irgendwo nebulös hinter tausend Gedankenschleiern.
Gunnar öffnete die Tür des Wagens und holte mich in die Wirklichkeit zurück.
Er erzählte mir, dass die Verhandlungen nervenaufreibend gewesen seien. Gefährlich obendrein. Im Austausch für unser vollständiges Sicherheitsteam, was zu uns ins Zentrum zurück kommen, jedoch weiterhin von der Privat Placement Holding Gesellschaft  bezahlt werden würde, wäre es nun bedauerlicherweise nötig, uns  die „Prozente“ am Verdienst der Mädchen (Models/Huren)  zu streichen. Somit würden wir zugunsten unserer Sicherheit und der Menschlichkeit eine Menge Geld einbüßen.
„Auf alle Fälle fühle ich mich damit viel wohler, KEIN Zuhälter zu sein. Meinst du nicht auch?“
Gunnar atmete tief ein, während er den Wagen startete. „Ich hätte es vorher sehen müssen.“
„Was? Die Unruhen?“
„Nein. Die gesamte Entwicklung. Um rechtzeitig dagegen vorzugehen.“
In diesem Augenblick platzte mir der Kragen. „Du musstest nun eilends in den Tagen meiner Abwesenheit alles verändern. Mit Abschaum über unakzeptalbe Geschäfte debattieren und dich obendrein noch einigen.  Diesen verschissenen Begleitservice in unser Zentrum holen. Diese Girlies und Models, die nichts anderes sind als Huren. Was hast du dir nur dabei gedacht. Puta mierda! Maldito sea!“
Mit einem Mal kwitschten die Bremsen. Die Schwerkraft ließ mich ruckartig nach vorne fliegen. Ich sah meinen Kopf bereits an der Frontscheibe kleben.
Gunnar fuhr rechts ran.
„Bist du verrückt geworden!“, polterte ich weiter. „Willst du uns umbringen?!“
„Genau DAS habe ich verhindert!“, schrie Gunnar zurück. „Verstehst du nicht? Sie hätten nie Ruhe gegeben. Es war ein Anschlag geplant. Auf dich Rea. Sie wollten dich töten. Du warst ihnen im Weg und völlig gleichgültig! Kein Sicherheitsteam der Welt hätte dich auf Dauer davor schützen können. Irgendwann, während einer unaufmerksamen Sekunde, wäre ein Schuss aus der Ferne gefallen und DU mit ihm.“ Gunnar atmete schwer. Sah mich beinahe schon verzweifelt an. Mit seinem Blick bettelte er verstanden zu werden. Und ich verstand. Schluckte. Senkte den Kopf.
Stille.
Gunnar fuhr weiter.
„Wir müssen noch zu dem Großhändler wegen der Waren für das Restaurant.“, sagte er nach einer Weile. Indes ich noch immer mit dem Gedanken meines geplanten und beschlossenen Todes kämpfte.
Kapitulation. Dachte ich. Wir kapitulieren tatsächlich vor einer kriminellen Organisation, die offensichtlich so viel Macht besitzt, sogar Menschen wie mich schlicht und einfach töten zu lassen, wenn es ihnen gerade in den Kram passt.
Unglaublich!
„Meinst du nicht, dass dies alles von Anfang an so geplant gewesen war. Das wir überhaupt keine Chance hatten.“, kam mir die Erleuchtung.
„Ja. Unglücklicherweise unterschätzte ich ihre Macht. Ihre Beharrlichkeit. Ihr kompromissloses, inhumanes Planen und Handeln, wo es ausschließlich um Profite geht.“
„Kann man da auf magischem Wege nichts tun?“, fragte ich arglos.
Gunnar räusperte sich.
„Ja. Möglicherweise. Allerdings eins nach dem anderen. Die Sommersonnenwende steht bevor. Das hat Vorrang und dann, sehen wir weiter. Ich werde das mit Erik besprechen.“ Gunnar blickte einigermaßen ernst drein.  Sein verschwörerischer Blick traf mich, als er zu mir herüber sah. „Denn ich bin mir sicher, dass diese Leute noch einige Zugeständnisse unsererseits planen, mit denen wir nicht einverstanden sein werden.“
Selbst ich atmete nun laut und hörbar einige Male durch. „Zumindest verspüre ich eine gewisse Erleichterung.“ Ich sah Gunnar an und lächelte. Meine Stimme war ruhig und klar. Weich und sanft. „Wir sind nicht mehr an der Zuhälterei beteiligt. Was mich immens beruhigt. Bekommen unsere Männer zurück, die nicht mehr in Bordellen oder an anderweitig kriminellen Orten arbeiten, und was weiß ich für Anordnungen befolgen müssen. Ich scheiß auf das Geld. Mein Gewissen ist rein. Das ist mir bei Weitem das Wichtigste.“
Gunnar lachte. „Ja. Ich weiß. Du gütige, warmherzige und unendliche  Menschenseele. Ich hoffe nur, wir kommen trotz alledem aus den roten Zahlen.“

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„Ist das tatsächlich der Weg nach Hause?“, fragte ich als wir den Großhändler verlassen hatte und Gunnar Mitten in die Stadt fuhr.
„Nein. Ist er nicht.“ Gunnar grinste.
„Jetzt sei nicht böse. Es wird nicht lange dauern. Ich wollte noch kurz bei Elena vorbei schauen, um zu sehen, wie weit sie mit der Wohnung ist.“
Ich hielt die Luft kurz an bevor ich etwas sagte. Denn genau genommen würde ich nun auf unkomplizierte Weise erfahren, wo sie wohnt. Was mir indes gelegen kam.
„Okay.“, sagte ich.
Gunnar stutzte. „Ahhhh. Ich weiß. Du wolltest wissen, wo sie wohnt. Nicht wahr?“ Er lachte. „Ich hätte es dir gesagt. Du hättest mich nur fragen müssen. Ich habe nichts zu verbergen.“
„Tatsächlich?!“
„Was um der Götter Willen denkst du nur von mir? Ich will, gleich dir Rea, nur helfen. Die andere Geschichte, war Erpressung.“
Ich entschloss mich ihm Glauben zu schenken.

Ursprünglich gedachte ich im Wagen sitzen zu bleiben, während Gunnar bei dieser Elena weilte. Ich entschied mich indes kurzerhand anders und ging mit ihm die Treppen bis nach oben, unter das Dach, wo sich ein komfortables kleines Loft befand.
Elena Stutzte, als sie mich sah. Sagte jedoch nicht und bat uns herein.
Überall standen offene oder verschlossene Kisten. In der einen waren zahlreiche Kleidungsstücke. In der anderen Schuhe und kleine Taschen.
Sie zeigte und das Badezimmer, das bereits vollständig eingerichtet war.
Ich dachte darüber nach, ob es Gunnar bereits kannte. Oder möglicherweise sogar benutzt hatte. Bei diesen Gedanken atmete ich schwer. So allmählich bemächtigte sich mir ohnehin eine Art Beklemmung. Je mehr Zeit ich in Elenas Wohnung verbrachte. Minuten schienen zu Stunden zu werden. Atemnot. Panik.
Ich drückte es nieder. Verbannte es in die letzte Ecke meines Körpers. Lächelte. Obgleich mein Atmen noch immer unregelmäßig und stoßweise ging.
Ich musste mich schlicht und einfach beherrschen. Mich unter Kontrolle halten. Die Fassung wahre. Diese Schwäche zu zeigen, wäre ein weiteres Zugeständnis meinerseits gewesen und ein Triumph für sie, welchen ich ihr mit Nichten gönnte.
Gunnar bemerkte zwar, dass es mir nicht gut ging. Jedoch in gleichem Maße, dass ich dagegen ankämpfte. Er sagte nichts und ich bin ihm dankbar dafür.
Ich will nicht die Schwache, Schutzlose oder Zerbrechliche sein. Es käme einem Machtverlust gleich. Elena gegenüber. Auf dem Schlachtfeld der Konkurrentinnen, die wir schließlich waren.
Der Aufenthalt in Elenas Loft war glücklicherweise von kurzer Dauer.
Gunnar nickte ihr zum Abschluss freundlich zu. Sie küssten sich auf die Wange. Rechts und links. Ich nahm diese Geste des Abschieds nicht in Anspruch. War bereits auf dem Weg zur Tür, als ich sie flüstern hörte: „Wieso bringst du sie hier her.“
„Wieso nicht.“, antwortete Gunnar in normalem Tonfall, kam zu mir, legte seinen Arm um meine Schulter und wir gingen.

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Auf der Rückfahrt noch ein kurzer Zwischenstopp. Wir speisten im Restaurant des Zentrums, und dann zurück zu Erik, Mary und Rodney.
Ich war erschöpft von den Ereignissen des Tages und wir gingen sogleich zu Bett.
„Ist das okay für dich, wenn ich dich begleite?“, fragte ich Gunnar.
Er lächelte. Küsste mich und drückte mich an sich. „Ja. Natürlich. Ich liebe dich auch.“