Eine Einladung zu einer Vor-Sylvester-Party von Gunnars
favorisiertem Fußballteam für den heutigen Abend flatterte uns gestern ins
Haus.
„Du kommst doch mit?“, fragte er, als er bemerkte, dass sie
mir in die Hände gefallen war.
„Nein.“
„Die sind alle mit ihren Frauen dort.“ Ein kurzer, prüfender
Blick traf mich.
„Hier im Zentrum wird es ebenso am Sylvesterabend eine Party mit Champagner,
Musik und Feuerwerk.“
„Kennst du auch alle Akteure?“
„Nein.“
„Alicia wird dabei sein.“
Der Atem stockte mir bei diesem Namen. „Ich dachte du
siehst sie NIE wieder!“
„Wie war das mit dir und Ians Liebenschwur vor einem Jahr?“
Ich schnaufte. „Wie viel Frauen hast du in der Zwischenzeit
vernascht?“
„Wir könnten jetzt fortwährend darüber streiten. Uns
gegenseitig wer weiß was vorwerfen. Aber wäre es nicht besser das Vergangene ruhen
zu lassen?“ Gunnar sah mich beinahe herausfordernd an. „Schauen wir in die
Zukunft und leben die Gegenwart. Nicht mehr und nicht weniger.“
„Du vermochtest schon immer gute Sprüche zu klopfen.“,
sprang es aus mir heraus.
Gunnar lachte kurz, sah mich an und zog seine linke
Augenbraue nach oben. „Und du scheinst auf Konfrontation aus zu sein.“
„Nein. Ich sage nur die Wahrheit.“
„Deine Wahrheit.“
„Und welche ist die deine?“
„Das ich jeden Tag lebe mit dem was ist.“ Er neigte leicht
den Kopf zur Seite. „Das riet ich dir doch ebenso.“
„Ich weiß.“
„Und? Tust du es?“
„Ich denke schon.“
„Du denkst? Was hindert dich noch?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Furcht? Konventionen? Alte Muster? Standesdünkel? „
„Es reicht!“, wurde ich laut. „Sollte ich tatsächlich in
jeder Minute tun, wonach mir ist?“
„Wie sähe das denn aus?“, fragte er herausfordernd.
Ich biss mir auf die Lippe. Jedoch sah Gunnar ohnehin, was
ich dachte.
„Du bist viel zu anständig und idealisiert, um dich durch
alle Betten zu schlafen. Zudem ist es krankheitsbedingt ohnehin nicht möglich.
Und obendrein würdest du in Vorwürfen ersticken, wenn du deine Ideale verletzt.
Es wäre wie Selbstbetrug.“
„Du kennst mich gut.“
„Und du denkst an Troels. Er ist der Ersatz für alles, was
du nicht tun kannst und überdies weißt du, dass ich es, IHN billige.“
„Weil du mit wer weiß wem alles deine Neigungen
befriedigst.“
„Sollte ich jetzt noch nach dem Russen fragen?“
Wanja! Mein Herz tat einen Sprung.
„Er ist zweifelsohne der ritterliche Beschützertyp mit
hohen Idealen und jede Menge Disziplin. In gewisser Weise würde er schon zu dir
passen.“
„Dann kann ich ohne weitere Bedenken um deinetwillen zu ihm
fliegen.“, bemerkte ich eher verhalten, als dass es eine Frage gewesen wäre.
„Du könntest es nicht.“, sagte Gunnar beinahe schon
unverschämt.
„Sei dir nur nicht so sicher!“
„Drohst du mir etwa?“, fragte er schmunzeln, gerade so, als
ob er mich nicht erst nehmen würde.
Mir gingen in so allmählich die Argumente aus. Ich wusste
nicht mehr, was ich noch hätte sagen sollen. Also pustete ich laut hörbar die
Luft durch meine Lippen und funkelte ihn an.
Gunnar räusperte sich und drehte sich lächelnd von mir ab.
„Haben wir uns jetzt alles gesagt?“
Ich schnaufte vor Wut.
„Es ist mir nur nicht nach streiten zu mute. Verstehst du
Rea?“
Er hatte selbstredend Recht! Wozu sich gegenseitig
fortwährend Vorwürfe machen? Es würde ohnehin nichts ändern.
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„Marie will sich von Adam trennen.“, sagte Gunnar, als er
nach Stunden am Abend zu mir zurückkam. Was offensichtlich besagen sollte, dass
er gerade von ihr und den Zwillingen kam.
„Wo warst du?“, fragte ich, anstatt auf seine Bemerkung
einzugehen.
Gunnar stöhnte. „Ficken.“
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Nach dem Frühstück, heute Morgen, wo uns unerwarteter Weise
Ellen, unsere Kultur- und Presseagentin des Zentrums Gesellschaft leistete,
alldieweil sie mit Gunnar noch einiges zu besprechen hatte, fuhren wir nach
Stockholm. Ich begleitete Gunnar zu seinen geschäftlichen Verabredungen.
Anschließend speisten wir wie gewöhnlich in der Sushi-Bar und gingen shoppen.
Da seine Brüder am Abend zuvor von ihrer Reise
zurückgekommen waren, hielten wir bei Hjalmar, der sich gerade aus dem Bett
geschält hatte und noch einigermaßen verschlafen klang und aussah. Sein Freund
Magnus hatte die Tür geöffnet und uns herein gebeten.
„Du bist aber früh dran.“, sagte er und schien MICH nicht
wahr zu nehmen. „Die Party ist doch erst heute Abend.
Gunnar und Hjalmar unterhielten sich eine Weile. Jedoch
vermochte ich kein einziges Wort zu verstehen. Sie waren nebenan ins
Schlafzimmer gegangen.
Magnus hatte mir einen Platz auf der Couch angeboten
(zugewiesen) und ich hatte mich gesetzt.
Da es länger zu dauern schien, fragte ich, ob ich kurz ins
Bad gehen dürfe. Ich hatte gerade jede Menge Papier auf den Rand der Toilette
platziert, als es an der Tür läutete. Als ich eine Frauenstimme hörte, die mir
bekannt schien, hielt ich inne. Es war Siv. Ich hörte, wie sie von Gunnar
begrüßt wurde. Jedoch nicht mehr. Woraus ich schloss, dass Gunnar Siv zu
verstehen gegeben hatte, dass ich mich im Bad befand.
Als ich diesen verließ, nickte ich Siv kurz zu und nahm
meinen Platz auf der Couch wieder ein. Sie setzte sich nach einer Weile neben
mich und begann ein Gespräch.
„Bist du heute Abend dabei?“
„Nein. Aber du.“
Sie sah mich an. „Ja. Bin ich. Mit meinen Schwestern.“
Dann würde ich Gunnar sicherlich heute Abend nicht mehr
zurück erwarten brauchen. Dachte ich so.
Da ich ohnehin nicht wusste, was ich mit ihr hätte reden
sollen, stand ich auf und stellte mich ein wenig Abseits. Im Nebenzimmer hörte
ich Gunnar, Hjalmar, Carsten und Magnus lachen. Sven hatte ich bislang noch
nicht gesehen. Er war sicherlich in seiner eigenen Wohnung und würde noch
schlafen.
Ich holte mein iPhone aus der Manteltasche und rief Troels
an. Es läutete und läutete, aber ich erreichte ihn nicht. Gleichgültig. Und
wozu „anmelden“. Ich besaß schließlich einen Wohnungsschlüssel.
Auf dem Rückweg kehrten wir bei Elena ein, die gerade ihren
Dienst im Zentrum beendet, und bei sich angekommen war. Sie fiel Gunnar
postwendend um den Hals, als sie die Tür öffnete und mich begrüßte sie ebenso
überschwänglich.
„Sie darf mich doch heute Abend begleiten?“, richtete
Gunnar die Frage an mich. „Wenn du schon nicht mitkommst?“
Warum fragst du mich überhaupt? Du tust ohnehin, was dir
beliebt. Hätte ich am aller liebsten geantwortet. Warf ihm jedoch stattdessen
einen abfälligen Blick entgegen. Allerdings waren Gunnar meine Gedanken sicherlich
nicht entgangen.
Auf der Rückfahrt bemerkte er nur, so ganz beiläufig: „Ich
hätte dich gleich bei Troels Wohnung absetzen können. Meinst du nicht?“ Als wäre es das Normalste dieser Welt.
Einen kurzen Augenblick lang wusste ich nicht ob er
scherzte, oder ob es ihm ernst damit war. Antwortete aber dann überaus mutig:
„Dann wende den Wagen und fahre zurück.“
Gunnar setzte das Blinklicht, wendete tatsächlich und fuhr
mich zu Troels Wohnung, wo er mich mit den Worten: „Ich komme dich morgen hier
abholen“, verabschiedete.
Es war mir nicht nach Streit oder scharfen Wortgefechten
zumute. Alsdann gab ich mich völlig „normal“. Küsste Gunnar auf Mund und
Wangen. Sog noch einmal seinen Geruch durch meine Nase in mich ein, was ihn
lächeln ließ. Ging ins Haus, die Treppen nach oben und schloss die Tür zu
Troels Wohnung auf. Es war niemand da.
Ich streifte Schuhe und Mantel ab, ging in die Dusche und
machte es mir auf der Couch bequem. Reflektierte noch einmal über den
vergangenen angenehmen und liebvollen Abend mit meinem Ehemann und über meine
intuitive Steinmagie und schüttelte lächelnd den Kopf.
Wie närrisch kann (m)ein Leben eigentlich sein? Ein
Ehemann, welcher mich beim väterlichen Freund abliefert, wenn er zu einer Party
oder wer weiß wohin gehen will. Ich
verstand Gunnar nicht. Hatte andererseits in diesem Augenblick gleichwohl keine
Verlangen mehr, weiter darüber nachzudenken. Vielleicht später.
Es war nun einmal wie es war.
Was hätte ich JETZT daran ändern können?