Dienstag, 10. Dezember 2013

Alles „auf Anfang“ - Ein Gefühl der Unbehaglichkeit?



Gunnar verlor keine Zeit. Gerade so, als hätte er die plötzliche Abreise von Wanja initiiert und wüsste, dass er nicht zurückkommen würde. Er kam, nur eine Stunde, nachdem Wanja gegangen war, mit Taschen und Gepäck und stellte den „Urzustand“ wieder her, was er Augen zwinkernd mit seinem Jungfrau geborenen Ordnungssinn begründete.
„Ist dir dein neuer Liebhaber bereits davon gelaufen?“ Er schmunzelte spitzbübisch. Trat vor mich hin und wies auf das Bett. „DAS ist immer noch mein Platz. Schließlich bin ICH dein Ehemann.“, sagte er mit ruhiger, beinahe sanfter Stimme.
Ich vermochte ihm nicht einmal in die Augen zu sehen. Mein Mut schwand mit jeder Sekunde. Scham, Schuld und Reue stellten sich ein.
„Ich verzeihe dir diesen kleinen Ausbruch. Schließlich sind wir Seelenpartner. Gehören zusammen und ich liebe dich viel zu sehr, um dich einfach so gehen zu lassen.“
Gunnar griff zaghaft nach meiner Hand und zog mich zu sich heran. „Ich weiß, du warst verletzt wegen Kate. Aber darüber kann man doch reden. Da muss man nicht gleich trotzig eine Ehe beenden. Eine Seelenverbindung zerreisen.“ Er schloss mich in seine Arme. Drückte mich fest an sich und ich vermochte mich in keinster Weise dagegen zu wehren. Und im nächsten Augenblick übernahm ER die Geschehnisse wie gewohnt.
Alles schien wieder wie vorher zu sein. Gerade so, als wäre Wanja nie passiert.
Ich stand nur da und sah zu, wie er seine Sachen in die Schränke legte.

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Kurz darauf rief mich Wanja an und ich vermochte ihm mitnichten zu gestehen, was geschehen war. Ich begründete meine Schweigsamkeit und das Unvermögen Worte zu finden mit der Traurigkeit und Enttäuschung darüber, dass er mich in einer derartigen, für mich wichtigen Phase so rasch verlassen hatte. Natürlich bekundete ich ebenso mein Verständnis. Aber schwieg darüber, dass Gunnar bereits wieder bei mir war.

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Zum Lunch speisten wir bereits gemeinsam. Am Nachmittag war jedoch keine Zeit zum reden. Gunnar und ich fuhren nach Stockholm, wo ich einige Termine wahrzunehmen hatte, auf welche ich mich konzentrieren musste.
Nein. Es ging NICHT um eine Scheidung.

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Miteinander reden?
Genau genommen hatten Gunnar und ich nicht mehr darüber gesprochen, dass ich mich von ihm trennen wollte und gedachte mit Wanja zu leben. Er schien das nicht „für wahr“ zu nehmen. Benahm sich gerade so, als wäre das alles ausschließlich ein Versehen gewesen, nach welchem ich reumütig zu ihm zurückkehrte, damit alles  so weiter ginge wie bisher.  
Ich war wie Hirn gelähmt. Hatte das Gefühl in der Schwebe zu hängen. Nicht zu wissen wann und wohin ich fiel. Gunnar gab sich als loyaler Ehemann. Hatte mich begleitet und war bei mir geblieben.
In der Tat hatte ich keine der „anderen Frauen“ an diesem Tag bis dahin gesehen. Hatte er sie instruiert? War das alles (s)ein Plan? War erneut Magie im Spiel? Wenn ja, WAS geschieht dann mit Wanja.
Natürlich! Wie konnte ich nur denken, dass Gunnar meinen (derzeitigen?)Wünschen folgt und sich ihnen kampflos ergibt?
Im selben Augenblick erfasste mich eine heftige Panik und Bilder von schreienden Menschenmassen, prügelnden Polizisten und Verhaftungen rollten an meinem inneren Auge vorüber wie eine Vision von kommenden Ereignissen.
Gunnar nahm mich in seine Arme und drückte mich fest an sich. „Hab keine Furcht. Ich bin bei dir.“
Ich atmete schwer und seine Worte zogen wie in einem Traum an mir vorüber.
„Es ist keine Panik-Attacke. Du hattest eine Vision. Ich sah die Bilder ebenfalls.“, hörte ich Gunnar sagen.
„Aber was bedeuten sie?“, hauchte ich leise aus mir heraus.
„Es ist eine mögliche Wahrheitsebene und aller Wahrscheinlichkeit nach genau DAS, was passieren wird.“
„Passieren wird?“ Ich löste mich aus Gunnars Armen und schüttelte verständnislos  den Kopf. „Gibt es einen Aufstand hier? Werde ich verhaftet? Verletzt? In Ereignisse gezogen....“
Gunnar nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und küsste mich auf die Lippen. „Nein, mein Dummchen. Nicht hier und nicht du. Es geschieht dir nichts. Das verspreche ich dir.“
Ich sah ihn noch immer besorgt, ängstlich und ohne wirklich zu verstehe in die Augen.
„Was bedeutet es dann?“
Gunnar räusperte sich und strich sich mit der Hand über das Kinn. Ich sah, wie sich die Muskeln seines Gesichtes bewegten. Dann lächelte er. „Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Warten wir es ab.“
Ich bemerkte, wie sich meine Brauen zusammen zogen. Ich fragte jedoch nicht weiter. Alldieweil sich erstaunlicher Weise Ruhe, wie ein Schleier des Vergessens über meinen Verstand legte, welcher mich sogar lächeln ließ.
Aber aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass Gunnar mir einen wesentlichen Teil der Wahrheit vorenthielt. Andererseits folgte ich dem Impuls Wanja anzurufen. Nahm mein iPhone, zog mir den Mantel über und ging nach draußen. Aber ich erreichte ihn nicht und ging zu Gunnar zurück ins Haus.

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Nach dem Dinner kamen Kate, Marie und die Zwillinge zu uns.
Ich starrte sie fragend an und schwieg.
„Gunnar sagte, wir träfen uns hier zum reden.“, sprach Marie und wiegte Inula Castanea in ihrem Arm.
„Er ist noch im Office, und wird sicher bald kommen.“, bemerkte Kate und sah mich verlegen lächelnd an.
Ich setzte mich schweigend auf einen Stuhl, ein Stück weit weg von den anderen beiden und sah ihnen zu, wie sie sich gemeinsam um die Kinder kümmerten.
„Ihr scheint glücklich zu sein als Gunnars Frauen?“, rutschten meine Gedanken aus meinem Mund.
Beide sahen mich nun an. Lächelten und nickten zustimmend.
„Weißt du“, richtete Marie das Wort an mich, „er hat dich nicht aufgegeben. Hat ständig an dich gedacht und dich vermisst.“
Ich wusste nicht, was ich ihr hätte antworten sollen und biss mir verlegen auf die Lippe.
Nun fiel Kate ebenso mit ein. „Gunnar hat stets betont, dass du seine Frau bist, die er über alles liebt und es auch bleiben wirst. Und wir habend das auch akzeptiert.“ Kate sah zu Marie, die ihr zunickte. Dann sah sie wieder zu mir und wurde verlegen. „Ich dachte mir nichts dabei, als ich die Woche über hier mit Gunnar verbrachte. Du warst doch nicht da. Wenn ich gewusst hätte, dass du böse wirst....“ Sie hielt inne und ihre Stimme klang beinahe verlegen, als wolle sie sich für ihr Verhalten rechtfertigen oder ganz und gar entschuldigen. Was ich ihr jedoch nicht abnahm. Und just im selben Augenblick betrat Gunnar das Zimmer. Sah uns alle vereint und lächelte.
Mir hingegen war mitnichten nach Lächeln zumute. Ich gedachte den Prozess des miteinander Redens zu beschleunigen, alldieweil mein Bestreben sich dahingehend richtete, die beiden alsbald wieder los zu werden und warf Gunnar sogleich eine Frage entgegen: „Was meinest du, müssten wir denn so dringlichst besprechen?“
Gunnar setzte sich auf die Couch zu Marie und Inula Castanes und klopfte mit der Hand neben sich auf das Polster. Kate wiegte Óðinn Aron und saß neben ihm auf dem Sessel. „Komm Rea. Setzt dich zu uns.“ Ich folgte eher widerwillig seiner Einladung. Hatte ohnehin ein flaues Gefühl im Magen. Was war ich eigentlich? Eine Frau, die sich aus guten Gründen (?) von ihrem Ehemann trennen wollte? Oder eine Frau, die bereits reumütig zu ihrem Ehemann zurückgekehrt war, nachdem sie ihn mit einem anderen betrogen hatte? Ich war mir nicht mehr sicher.

Gunnar ließ keinerlei Zweifel daran, dass ich, Rea, seine Ehefrau war, die er über alles liebt UND welcher er großmütig ihren kleinen „Ausflug“, oder „Urlaub“, wie er es nannte, verzieh. Schließlich wäre für ihn daraus ebenso ein kleiner Urlaub mit Kate geworden, und Marie, und den Kindern natürlich.
„Die beiden akzeptieren das ich nur gelegentlich mit ihnen zusammen bin.“, sagte Gunnar zu mir, nachdem wir die wesentlichen Parameter für „unser aller Zusammensein“ festgelegt hatten. Es würde sich also nichts ändern. Möglicherweise würde Gunnar nur ein wenig diskreter im Umgang mit Kate und Marie oder anderen Frauen, von welchen nicht gesprochen wurde umgehen. Es würde alles subtiler ablaufen, sodass ich kaum etwas bemerken würde. Er hätte ohnehin viel zu arbeiten und könne nicht in jeder einzelnen Minute bei mir sei, und er setzte voraus, dass ich das alles genauso akzeptierte wie er es bereits reglementiert hatte.
Natürlich würde er sich in jedem Fall liebevoll um mich kümmern und bemüht sein,  mir in jedwede Hinsicht zu helfen und zur Seite zu stehen. Das wäre doch eine Selbstverständlichkeit für einen Menschen, der einen anderen wahrlich liebt.
„Was ist mit Alicia, Ellen, Siv und Elena?“, fragte ich ihn vorwurfsvoll.
Gunnar schien diese Frage mürrisch zu stimmen. Infolgedessen antwortete er nur widerwillig. Jedoch mit ruhiger Stimme. „Was soll mit ihnen sein? Alicia sehe ich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wieder. Sei denn, sie besucht uns hier. An Ellen habe ich kein Interesse. Ich arbeite ausschließlich mit ihr. Siv sehe ich nur gelegentlich, und Elena ebenso. Schließlich lernt sie hier.“
Es würde sich tatsächlich nichts verändern. Stellte ich fest, und meine Gefühle waren widersprüchlich der Situation und Gunnars Dekreten gegenüber.
„Können wir nicht schlicht und einfach nur zusammen leben?Wozu alles verkomplizieren?“, fragte Gunnar in meine Richtung. „Ich wünsche mir nichts Sehnlicheres als ein Leben mit Dir Rea als meine Ehefrau und ein wenig Verständnis Marie und Kate gegenüber. Elena, dachte ich, wäre ohnehin bereits deine Freundin. Und ebenso wäre ich glücklich darüber, wenn du mit allen gut auskämest. Weniger feindselig oder eifersüchtig wärst und dich vor allem mehr für die Zwillinge begeistern könntest“
„Das ist eine ganze Menge, was du dir wünschst.“, antwortete ich ihm ein wenig pikiert. „Wie wäre es denn damit“, wurde ich mutiger, „wenn es neben mir keine anderen Frauen mehr gäbe? Kate verschwindet wieder dorthin, von wo sie gekommen ist und Marie geht zu Adam, ihren Ehemann zurück, und lebt mit ihm in meinem Haus in New Orleans. Alicia siehst du tatsächlich nie wieder und Elena könnte in der Tat zu meiner Freundin werden, wenn sie dich in Ruhe lässt. Siv muss ich bedauerlicher Weise deiner Neigungen wegen, die nun offensichtlich nicht weg zu therapieren sind, gelegentlich ertragen.“ Ich sah Gunnar, der neben mir saß, direkt in die Augen und hatte mit meiner Hand sein Bein fest im Griff.
In diesem Augenblick schien mir, als hätte ich von irgendwoher moralische Unterstützung bekommen und meinen Mut wieder gefunden.
„Okay.“, sagte Gunnar zu meinem Erstaunen. „Nur im Augenblick ist die Situation so wie sie nun einmal ist und wir alle müssen mit ihr leben.“
„Wir können in jeder Sekunde andere Entscheidungen treffen. DAS hast DU mir beigebracht.“, sagte ich scharf und musste innerlich lächeln.
„Das stimmt.“, gab er zu. „Aber Marie würde lieber bei mir bleiben und Kate gedachte ich im Büro arbeiten und eine Ausbildung als Betriebs- und Wirtschaftswissenschaftlerin machen zu lassen. Ich dachte, wir wollten ihr alle helfen aus der Sekte heraus und in die Welt zurück zu finden? Es wäre nun nicht für die Ewigkeit. Sie wird sicher alsbald ihren Weg gehen und braucht uns womöglich nach einiger Zeit nicht mehr. Auch mich nicht.“ Nun sah Gunnar zu mir. Er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und begann mich zu streicheln. „Hab’ ein wenig Geduld Rea und alles wird gut. Man muss nicht gleich alles wegwerfen und eine Seelenpartnerschaft zerstören, nur, wenn es für einige Zeit problematisch wird.“
Ab und an, so zwischendurch kam mir der Gedanke, wie skurril diese Situation eigentlich war, in welche ich bereit war, mich erneut zu begeben. Und war da nicht noch Wanja? Wanja, der immer weiter von mir weg rückte, umso länger ich mich in Gunnars Gegenwart befand/befinde.

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Natürlich schlief ich mit Gunnar. In zweifacher Hinsicht. Er hat nach wie vor seinen Charme, dem ich erlegen bin und er ist in der Tat sinnlicher als Wanja.
Wie hätte ich ihm auch widerstehen können. Denn ich leugne nicht, dass ich ihn noch immer liebe.

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Gleichgültig, wie lange und wie gründlich ich über mich, meine Situation und Gunnar Wünsche nachdenke, komme ich zu keinem wirklichen Resultat und ergebe mich der derzeitigen Lebenslage. Denn Wanja meldet sich nicht und ich vermag ihn nicht zu erreichen????? Was ich nun in keinster Weise verstehe.
Allerdings sprach ich heute Morgen noch einmal mit Gunnar über Kate, Marie und andere Frauen, bevor er mich zur Physiotherapie begleitete.
Schnaufend und mit knirschenden Zähnen sagte er schließlich: „Ich werde ein Lösung zu deiner, oder besser zu unser aller Zufriedenheit finden. Das verspreche ich dir. Möglicherweise gib sich Marie mit einem anderen Nordländer“ zufrieden. Hatte sie nicht bereits ein Auge auf Henrik Espen Olafson geworfen. Man könnte ihr Interesse an ihm reaktivieren.“
„Ich  musste bei diesem Gedanken lächeln. „Und sie wäre mit deinen Kindern noch immer hier.“ Gunnar nickte. Tat jedoch einen tiefen Seufzer und ich wusste, dass er dabei an Kate dachte.
„Was ist ihr? Liebst du sie?“
„Ich mag sie schon auf irgendeine Art ganz gern.“
„Sie tut alles was du sagst. Nicht wahr? Sicherlich ebenso im Bett.“
Gunnar lächelte. „Ja.“, sagte er leise. „Jedoch weiß ich nicht, ob ihr das alles wirklich gefällt.“
„Warum tut sie es dann?“
„Sie hat nie gelernt ihre eigenen Bedürfnisse zu erforschen. Ist darin trainiert die Wünsche der Männer zu erfüllen. Sie kennt es nicht anders, „Gunnar sah mich nun herausfordernd an, „und wenn ich es mir recht überlege, gibt es Millionen Frauen auf dieser Welt, die ihr ähnlich sind, ohne ein Mitglied einer Sekte gewesen zu sein.“
In der Tat. Gunnar hatte Recht!
Wie viel Frauen kennen ihren Körper wirklich, der ihnen meist entfremdet wurde und wissen über ihre eigenen sexuellen Wünsche Bescheid?
„Aber“, riss mich Gunnar aus meinen Gedanken, „ich denke auch sie wird hier, oder anderswo, einen netten Mann finden, der sie wirklich liebt und sich um sie sorgt und  kümmert.“