Gunnar verlor keine Zeit. Gerade so, als hätte er die
plötzliche Abreise von Wanja initiiert und wüsste, dass er nicht zurückkommen
würde. Er kam, nur eine Stunde, nachdem Wanja gegangen war, mit Taschen und
Gepäck und stellte den „Urzustand“ wieder her, was er Augen zwinkernd mit
seinem Jungfrau geborenen Ordnungssinn begründete.
„Ist dir dein neuer Liebhaber bereits davon gelaufen?“ Er
schmunzelte spitzbübisch. Trat vor mich hin und wies auf das Bett. „DAS ist
immer noch mein Platz. Schließlich bin ICH dein Ehemann.“, sagte er mit
ruhiger, beinahe sanfter Stimme.
Ich vermochte ihm nicht einmal in die Augen zu sehen. Mein
Mut schwand mit jeder Sekunde. Scham, Schuld und Reue stellten sich ein.
„Ich verzeihe dir diesen kleinen Ausbruch. Schließlich sind
wir Seelenpartner. Gehören zusammen und ich liebe dich viel zu sehr, um dich
einfach so gehen zu lassen.“
Gunnar griff zaghaft nach meiner Hand und zog mich zu sich
heran. „Ich weiß, du warst verletzt wegen Kate. Aber darüber kann man doch
reden. Da muss man nicht gleich trotzig eine Ehe beenden. Eine Seelenverbindung
zerreisen.“ Er schloss mich in seine Arme. Drückte mich fest an sich und ich
vermochte mich in keinster Weise dagegen zu wehren. Und im nächsten Augenblick
übernahm ER die Geschehnisse wie gewohnt.
Alles schien wieder wie vorher zu sein. Gerade so, als wäre
Wanja nie passiert.
Ich stand nur da und sah zu, wie er seine Sachen in die
Schränke legte.
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Kurz darauf rief mich Wanja an und ich vermochte ihm
mitnichten zu gestehen, was geschehen war. Ich begründete meine Schweigsamkeit
und das Unvermögen Worte zu finden mit der Traurigkeit und Enttäuschung
darüber, dass er mich in einer derartigen, für mich wichtigen Phase so rasch
verlassen hatte. Natürlich bekundete ich ebenso mein Verständnis. Aber schwieg
darüber, dass Gunnar bereits wieder bei mir war.
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Zum Lunch speisten wir bereits gemeinsam. Am Nachmittag war
jedoch keine Zeit zum reden. Gunnar und ich fuhren nach Stockholm, wo ich
einige Termine wahrzunehmen hatte, auf welche ich mich konzentrieren musste.
Nein. Es ging NICHT um eine Scheidung.
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Miteinander reden?
Genau genommen hatten Gunnar und ich nicht mehr darüber
gesprochen, dass ich mich von ihm trennen wollte und gedachte mit Wanja zu
leben. Er schien das nicht „für wahr“ zu nehmen. Benahm sich gerade so, als
wäre das alles ausschließlich ein Versehen gewesen, nach welchem ich reumütig
zu ihm zurückkehrte, damit alles so
weiter ginge wie bisher.
Ich war wie Hirn gelähmt. Hatte das Gefühl in der Schwebe
zu hängen. Nicht zu wissen wann und wohin ich fiel. Gunnar gab sich als loyaler
Ehemann. Hatte mich begleitet und war bei mir geblieben.
In der Tat hatte ich keine der „anderen Frauen“ an diesem
Tag bis dahin gesehen. Hatte er sie instruiert? War das alles (s)ein Plan? War
erneut Magie im Spiel? Wenn ja, WAS geschieht dann mit Wanja.
Natürlich! Wie konnte ich nur denken, dass Gunnar meinen
(derzeitigen?)Wünschen folgt und sich ihnen kampflos ergibt?
Im selben Augenblick erfasste mich eine heftige Panik und
Bilder von schreienden Menschenmassen, prügelnden Polizisten und Verhaftungen
rollten an meinem inneren Auge vorüber wie eine Vision von kommenden
Ereignissen.
Gunnar nahm mich in seine Arme und drückte mich fest an
sich. „Hab keine Furcht. Ich bin bei dir.“
Ich atmete schwer und seine Worte zogen wie in einem Traum
an mir vorüber.
„Es ist keine Panik-Attacke. Du hattest eine Vision. Ich
sah die Bilder ebenfalls.“, hörte ich Gunnar sagen.
„Aber was bedeuten sie?“, hauchte ich leise aus mir heraus.
„Es ist eine mögliche Wahrheitsebene und aller
Wahrscheinlichkeit nach genau DAS, was passieren wird.“
„Passieren wird?“ Ich löste mich aus Gunnars Armen und
schüttelte verständnislos den Kopf.
„Gibt es einen Aufstand hier? Werde ich verhaftet? Verletzt? In Ereignisse
gezogen....“
Gunnar nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und küsste
mich auf die Lippen. „Nein, mein Dummchen. Nicht hier und nicht du. Es
geschieht dir nichts. Das verspreche ich dir.“
Ich sah ihn noch immer besorgt, ängstlich und ohne wirklich
zu verstehe in die Augen.
„Was bedeutet es dann?“
Gunnar räusperte sich und strich sich mit der Hand über das
Kinn. Ich sah, wie sich die Muskeln seines Gesichtes bewegten. Dann lächelte
er. „Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Warten wir es ab.“
Ich bemerkte, wie sich meine Brauen zusammen zogen. Ich
fragte jedoch nicht weiter. Alldieweil sich erstaunlicher Weise Ruhe, wie ein
Schleier des Vergessens über meinen Verstand legte, welcher mich sogar lächeln
ließ.
Aber aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass
Gunnar mir einen wesentlichen Teil der Wahrheit vorenthielt. Andererseits
folgte ich dem Impuls Wanja anzurufen. Nahm mein iPhone, zog mir den Mantel
über und ging nach draußen. Aber ich erreichte ihn nicht und ging zu Gunnar
zurück ins Haus.
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Nach dem Dinner kamen Kate, Marie und die Zwillinge zu uns.
Ich starrte sie fragend an und schwieg.
„Gunnar sagte, wir träfen uns hier zum reden.“, sprach
Marie und wiegte Inula Castanea in ihrem Arm.
„Er ist noch im Office, und wird sicher bald kommen.“,
bemerkte Kate und sah mich verlegen lächelnd an.
Ich setzte mich schweigend auf einen Stuhl, ein Stück weit
weg von den anderen beiden und sah ihnen zu, wie sie sich gemeinsam um die
Kinder kümmerten.
„Ihr scheint glücklich zu sein als Gunnars Frauen?“,
rutschten meine Gedanken aus meinem Mund.
Beide sahen mich nun an. Lächelten und nickten zustimmend.
„Weißt du“, richtete Marie das Wort an mich, „er hat dich
nicht aufgegeben. Hat ständig an dich gedacht und dich vermisst.“
Ich wusste nicht, was ich ihr hätte antworten sollen und
biss mir verlegen auf die Lippe.
Nun fiel Kate ebenso mit ein. „Gunnar hat stets betont,
dass du seine Frau bist, die er über alles liebt und es auch bleiben wirst. Und
wir habend das auch akzeptiert.“ Kate sah zu Marie, die ihr zunickte. Dann sah
sie wieder zu mir und wurde verlegen. „Ich dachte mir nichts dabei, als ich die
Woche über hier mit Gunnar verbrachte. Du warst doch nicht da. Wenn ich gewusst
hätte, dass du böse wirst....“ Sie hielt inne und ihre Stimme klang beinahe
verlegen, als wolle sie sich für ihr Verhalten rechtfertigen oder ganz und gar
entschuldigen. Was ich ihr jedoch nicht abnahm. Und just im selben Augenblick
betrat Gunnar das Zimmer. Sah uns alle vereint und lächelte.
Mir hingegen war mitnichten nach Lächeln zumute. Ich
gedachte den Prozess des miteinander Redens zu beschleunigen, alldieweil mein
Bestreben sich dahingehend richtete, die beiden alsbald wieder los zu werden
und warf Gunnar sogleich eine Frage entgegen: „Was meinest du, müssten wir denn
so dringlichst besprechen?“
Gunnar setzte sich auf die Couch zu Marie und Inula
Castanes und klopfte mit der Hand neben sich auf das Polster. Kate wiegte Óðinn Aron und saß neben ihm auf dem Sessel.
„Komm Rea. Setzt dich zu uns.“ Ich folgte eher widerwillig seiner Einladung.
Hatte ohnehin ein flaues Gefühl im Magen. Was war ich eigentlich? Eine Frau,
die sich aus guten Gründen (?) von ihrem Ehemann trennen wollte? Oder eine
Frau, die bereits reumütig zu ihrem Ehemann zurückgekehrt war, nachdem sie ihn
mit einem anderen betrogen hatte? Ich war mir nicht mehr sicher.
Gunnar ließ keinerlei Zweifel daran, dass ich, Rea, seine
Ehefrau war, die er über alles liebt UND welcher er großmütig ihren kleinen
„Ausflug“, oder „Urlaub“, wie er es nannte, verzieh. Schließlich wäre für ihn
daraus ebenso ein kleiner Urlaub mit Kate geworden, und Marie, und den Kindern
natürlich.
„Die beiden akzeptieren das ich nur gelegentlich mit ihnen
zusammen bin.“, sagte Gunnar zu mir, nachdem wir die wesentlichen Parameter für
„unser aller Zusammensein“ festgelegt hatten. Es würde sich also nichts ändern.
Möglicherweise würde Gunnar nur ein wenig diskreter im Umgang mit Kate und
Marie oder anderen Frauen, von welchen nicht gesprochen wurde umgehen. Es würde
alles subtiler ablaufen, sodass ich kaum etwas bemerken würde. Er hätte ohnehin
viel zu arbeiten und könne nicht in jeder einzelnen Minute bei mir sei, und er
setzte voraus, dass ich das alles genauso akzeptierte wie er es bereits
reglementiert hatte.
Natürlich würde er sich in jedem Fall liebevoll um mich
kümmern und bemüht sein, mir in jedwede
Hinsicht zu helfen und zur Seite zu stehen. Das wäre doch eine
Selbstverständlichkeit für einen Menschen, der einen anderen wahrlich liebt.
„Was ist mit Alicia, Ellen, Siv und Elena?“, fragte ich ihn
vorwurfsvoll.
Gunnar schien diese Frage mürrisch zu stimmen.
Infolgedessen antwortete er nur widerwillig. Jedoch mit ruhiger Stimme. „Was
soll mit ihnen sein? Alicia sehe ich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
wieder. Sei denn, sie besucht uns hier. An Ellen habe ich kein Interesse. Ich
arbeite ausschließlich mit ihr. Siv sehe ich nur gelegentlich, und Elena
ebenso. Schließlich lernt sie hier.“
Es würde sich tatsächlich nichts verändern. Stellte ich
fest, und meine Gefühle waren widersprüchlich der Situation und Gunnars
Dekreten gegenüber.
„Können wir nicht schlicht und einfach nur zusammen leben?Wozu
alles verkomplizieren?“, fragte Gunnar in meine Richtung. „Ich wünsche mir
nichts Sehnlicheres als ein Leben mit Dir Rea als meine Ehefrau und ein wenig
Verständnis Marie und Kate gegenüber. Elena, dachte ich, wäre ohnehin bereits
deine Freundin. Und ebenso wäre ich glücklich darüber, wenn du mit allen gut
auskämest. Weniger feindselig oder eifersüchtig wärst und dich vor allem mehr
für die Zwillinge begeistern könntest“
„Das ist eine ganze Menge, was du dir wünschst.“,
antwortete ich ihm ein wenig pikiert. „Wie wäre es denn damit“, wurde ich
mutiger, „wenn es neben mir keine anderen Frauen mehr gäbe? Kate verschwindet
wieder dorthin, von wo sie gekommen ist und Marie geht zu Adam, ihren Ehemann
zurück, und lebt mit ihm in meinem Haus in New Orleans. Alicia siehst du
tatsächlich nie wieder und Elena könnte in der Tat zu meiner Freundin werden,
wenn sie dich in Ruhe lässt. Siv muss ich bedauerlicher Weise deiner Neigungen
wegen, die nun offensichtlich nicht weg zu therapieren sind, gelegentlich
ertragen.“ Ich sah Gunnar, der neben mir saß, direkt in die Augen und hatte mit
meiner Hand sein Bein fest im Griff.
In diesem Augenblick schien mir, als hätte ich von
irgendwoher moralische Unterstützung bekommen und meinen Mut wieder gefunden.
„Okay.“, sagte Gunnar zu meinem Erstaunen. „Nur im
Augenblick ist die Situation so wie sie nun einmal ist und wir alle müssen mit
ihr leben.“
„Wir können in jeder Sekunde andere Entscheidungen treffen.
DAS hast DU mir beigebracht.“, sagte ich scharf und musste innerlich lächeln.
„Das stimmt.“, gab er zu. „Aber Marie würde lieber bei mir
bleiben und Kate gedachte ich im Büro arbeiten und eine Ausbildung als Betriebs-
und Wirtschaftswissenschaftlerin machen zu lassen. Ich dachte, wir wollten ihr
alle helfen aus der Sekte heraus und in die Welt zurück zu finden? Es wäre nun
nicht für die Ewigkeit. Sie wird sicher alsbald ihren Weg gehen und braucht uns
womöglich nach einiger Zeit nicht mehr. Auch mich nicht.“ Nun sah Gunnar zu
mir. Er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und begann mich zu
streicheln. „Hab’ ein wenig Geduld Rea und alles wird gut. Man muss nicht
gleich alles wegwerfen und eine Seelenpartnerschaft zerstören, nur, wenn es für
einige Zeit problematisch wird.“
Ab und an, so zwischendurch kam mir der Gedanke, wie
skurril diese Situation eigentlich war, in welche ich bereit war, mich erneut
zu begeben. Und war da nicht noch Wanja? Wanja, der immer weiter von mir weg
rückte, umso länger ich mich in Gunnars Gegenwart befand/befinde.
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Natürlich schlief ich mit Gunnar. In zweifacher Hinsicht.
Er hat nach wie vor seinen Charme, dem ich erlegen bin und er ist in der Tat
sinnlicher als Wanja.
Wie hätte ich ihm auch widerstehen können. Denn ich leugne
nicht, dass ich ihn noch immer liebe.
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Gleichgültig, wie lange und wie gründlich ich über mich,
meine Situation und Gunnar Wünsche nachdenke, komme ich zu keinem wirklichen
Resultat und ergebe mich der derzeitigen Lebenslage. Denn Wanja meldet sich
nicht und ich vermag ihn nicht zu erreichen????? Was ich nun in keinster Weise
verstehe.
Allerdings sprach ich heute Morgen noch einmal mit Gunnar
über Kate, Marie und andere Frauen, bevor er mich zur Physiotherapie
begleitete.
Schnaufend und mit knirschenden Zähnen sagte er
schließlich: „Ich werde ein Lösung zu deiner, oder besser zu unser aller
Zufriedenheit finden. Das verspreche ich dir. Möglicherweise gib sich Marie mit
einem anderen Nordländer“ zufrieden. Hatte sie nicht bereits ein Auge auf
Henrik Espen Olafson geworfen. Man könnte ihr Interesse an ihm reaktivieren.“
„Ich musste bei
diesem Gedanken lächeln. „Und sie wäre mit deinen Kindern noch immer hier.“
Gunnar nickte. Tat jedoch einen tiefen Seufzer und ich wusste, dass er dabei an
Kate dachte.
„Was ist ihr? Liebst du sie?“
„Ich mag sie schon auf irgendeine Art ganz gern.“
„Sie tut alles was du sagst. Nicht wahr? Sicherlich ebenso
im Bett.“
Gunnar lächelte. „Ja.“, sagte er leise. „Jedoch weiß ich
nicht, ob ihr das alles wirklich gefällt.“
„Warum tut sie es dann?“
„Sie hat nie gelernt ihre eigenen Bedürfnisse zu
erforschen. Ist darin trainiert die Wünsche der Männer zu erfüllen. Sie kennt
es nicht anders, „Gunnar sah mich nun herausfordernd an, „und wenn ich es mir
recht überlege, gibt es Millionen Frauen auf dieser Welt, die ihr ähnlich sind,
ohne ein Mitglied einer Sekte gewesen zu sein.“
In der Tat. Gunnar hatte Recht!
Wie viel Frauen kennen ihren Körper wirklich, der ihnen
meist entfremdet wurde und wissen über ihre eigenen sexuellen Wünsche Bescheid?
„Aber“, riss mich Gunnar aus meinen Gedanken, „ich denke
auch sie wird hier, oder anderswo, einen netten Mann finden, der sie wirklich
liebt und sich um sie sorgt und
kümmert.“