Mittwoch, 28. Mai 2014

„Darf ich dir unsere Frau entführen?“



Nein. Ich ließ mich nur für einen Nachmittag von Kevin entführen. Und es war unspektakulär. Wir saßen nebeneinander und sahen schlicht und einfach fern.

Beim Lunch, im Restaurant, war Kevin an unseren Tisch gekommen. Hatte Scherze gemacht und ich fühlte, dass er ein Anliegen hatte. Denn er sah immer öfter zu Gunnar hinüber und räusperte sich. Was ein untrügliches Zeichen gewesen war, dass ihm etwas auf dem Herzen lag. Dennoch bezog sich seine vorläufige Bitte ausschließlich auf die Stunden des Nachmittags.
„Darf ich dir unsere Frau entführen?“, fragte er Gunnar grinsend, und auch ich musste lachen. Was ohnehin viel zu selten geschieht. Kevin hat so wie so ein Talent dafür mich zum Lachen zu bringen.
Gunnar verhielt sich gespielt theatralisch. Räusperte sich, tupfte demonstrativ seinen Mund mit der Serviette und legte sie auf den Tisch. „Hm. Wenn ich sie danach wieder haben darf?“
Kevin grinste noch immer und wiegte bedächtig den Kopf. „Na ja. Vielleicht. Ich überlege es mir noch.“
So verbrachte ich den gestrigen Nachmittag mit Kevin, seinem Pfleger Max und Tennis im Fernsehen. Nur einmal ging ich nach draußen, um per SMS bei den beiden Detektiven anzufragen, wo Gunnar sich aufhielt und was er tat. Sie bestätigten mir, dass er tatsächlich im Office sei, wie er angegeben hatte, und arbeitete. 
Nachdem ich mit Kevin und Max zu Abend gegessen, kam Gunnar, so gegen acht zu uns, um mich abzuholen.
„Verzeih.“, entschuldigte ich mich postwendend, „Wir haben bereits gemeinsam gespeist.“
Gunnar schien ein Lächeln zu unterdrücken. „Das dachte ich mir bereits.“
„Und du? Diniertest du bereits? Oder wolltest du jetzt mit mir zum Restaurant gehen?“, fragte ich beflissen.
„Nein. Ich war mit Lara essen.“
„Aha.“
Gunnar schickte sich an mich mit sich nach Hause zu nehmen, was Kevin nun nicht wirklich zu gefallen schien. „Wie wäre es“, begann er zügig zu fragen, bevor wir die Tür ereichten, „wenn ich dir unsere Frau auch noch für diese Nacht entführte?“
Nun wandten wir uns beide wieder Kevin zu.
„Dann frage sie, ob sie will.“, forderte Gunnar Kevin auf.
Kevins Augen blickten nun wieder in meine Richtung. „Willst du bleiben, heute Nacht?“, fragte er sanft und leise.
Augenblicklich wurde ich nervös. Sah Gunnar an und dann wieder Kevin. Denn genau genommen wollte ich das eigentlich nicht. Aber WIE das Kevin beibringen? Vor allem, ohne ihn zu verletzen.
Ich schnaufte kurz durch und begann dann zu stottern: „Es geht mir nicht so gut, und ich will dich nicht mit meinen kränklichen Problemen belasten. Denn du hast genug eigene.“, wandt ich mich doch eher die Wahrheit umgehend. Obwohl dies nun nicht zur Gänze gelogen war. Ich hatte den Nachmittag über meine Schmerzen und mein Unwohlsein mutig und ohne zu murren ertragen, weil ich dachte, Kevin hätte Freude daran, dass ich bei ihm war. Was gleichwohl so gewesen sein mochte. Aber nun auch noch die Nacht, und ich wusste, wie es war und was ich dabei empfand mit ihm in einem Bett zu liegen. Nur vermochte ich ihm dies keinesfalls auch nur anzudeuten. Denn es war in der Tat so, dass ich mich bei diesem Gedanken nicht wirklich wohl fühlte. Was nun mitnichten bedeuten soll, dass ich Kevin nicht mehr liebe, und es mag sicherlich eine Sache der Gewohnheit sein, mit einem behinderten Menschen zu Bett zu gehen. Aber im Augenblick, vermochte ich es nicht zu ertragen und ich wusste das genau. Jedoch ging es nicht darum, dass er behindert war, sondern darum, dass es mein KEVIN war. Es machte mich unendlich traurig ihn so hilflos zu sehen!
Im selben Augenblick meines Zögerns sah ich Kevins Mundwinkel nach unten sinken und ich wusste, ich hätte womöglich doch seiner Einladung freudig zustimmen sollen. Was nun nicht mehr rückgängig zu machen war. Infolgedessen versuchte ich meine noch nicht ausgesprochene Entscheidung/Absage zu rechtfertigen. „Ich bin in der Tat ein wenig unpässlich Kevin. Und Gunnar weiß was zu tun ist. Selbst meine Nerven gälte es zu beruhigen.“
„Dann sage mir, was ich tun soll!“
Ich biss mir auf die Unterlippe und wusste kaum mehr, was ich noch erwidern sollte. „Dafür habe ich jetzt echt nicht den Nerv. Bitte verzeih. Es wird noch andere Abende und Nächte geben.“
„Na ich dachte nur, zwei versehrte gemeinsam in einem Bett. Und Du“, nun war jedweder Rest von Freundlichkeit aus Kevins Gesicht gewichen und er sah Gunnar beinahe herausfordernd an, „weißt genau, dass ICH nicht mehr mit Rea ficken kann. Obwohl sie allen Grund hätte mit anderen Männern zu ficken, wenn du schon vier andere Frauen hast. Aber ich weiß, dass sie dich nur nicht verärgern will und deshalb mit dir geht.“ Kevin wendete trotzig seinen Rollstuhl und warf, mit einem lauten Knall, die Schlafzimmertür hinter sich zu. 
Ich schnaufte und es tat mir so Leid........

Den Rest des Abends war meine Laune nicht die Beste und wir schwiegen uns an.
Wir sahen gemeinsam bis etwa elf Uhr fern und gingen dann zu Bett.
„Bleibst du heute Nacht?“, fragte ich Gunnar mit zurückhaltender Stimme.
„Ich weiß noch nicht.“,  wiche er meiner Frage mit dieser nicht zufrieden stellenden Antwort aus.
„Was weißt du nicht?“, wurde ich ein wenig ärgerlich. „Ich dachte, du triffst deine Vorkehrungen, wenn du planst des Nachts mit einer deiner anderen Frauen zu schlafen.“
„Ja. Schon.“, war Gunnars erneut zögerliche und undeutliche Erwiderung.
„Geht es vielleicht etwas genauer?“, wurde ich trotz meines aufkeimenden Zorns wieder ein wenig ruhiger, um keinen Streit zu provozieren und die Harmonie zu wahren.
Gunnar stöhnte. „Ja. Eigentlich versprach ich Lara, während unseres gemeinsamen Abendessens, heute Nacht für ein, zwei Stunden zu ihr zu kommen.“
Ich suchte meine Enttäuschung mit einem etwas verunglückten, und doch eher zynischen Lächeln zu verbergen. Was hatte ich denn erwartet? Ohnehin wäre jedes weitere Wort nun zu viel gewesen. Also schwieg ich und legte mich in Gunnars Arme, so, wie ich es immer tat, um einzuschlafen.

Als ich heute Morgen so kurz vor sechs erwachte, war Gunnar noch nicht zurück. Also schloss ich noch einmal die Augen und schlief weiter.
Gegen halb acht wurde ich dann von ihm wach geküsst und er lag neben mir.
Allerdings brach er bereits kurz nach dem Frühstück nach Stockholm auf und Hannes informierte mich per SMS, dass er nicht allein gefahren wäre. Natascha war bei ihm gewesen. Und da wäre noch etwas, was er mir mitteilen müsse.
Also ging ich, kurz bevor ich begann diesen diary Eintrag zu schreiben, zu den Detektiven, um mir berichten zu lassen.
Sie bestätigten mir noch einmal, dass Gunnar tatsächlich bis halb sechs im Office gewesen war, wie er angegeben hatte, um zu arbeiteten. Anschließend sei er allerdings eine Stunde bei einer gewissen Snezana He gewesen, um sich zu vergnügen. Dann hätte er mit Lara De Witt im Restaurant zu Abend gegessen und gleich anschließend sei er umgehend zu Kevins Hütte gegangen, um mich abzuholen. Nachts war Gunnar dann noch einmal von Mitternacht bis fünf Uhr Morgens bei dieser Lara.
„Wollen sie die Aufzeichnung sehen?“, fragte Hannes.
„Geben sie mir die DVD, wenn sie eine haben.“
Er grinste. „Ich dachte mir, dass sie das sagen.“, sprach es und reichte mir, wonach ich verlange.
 
Ich weiß nicht, ob ich nun zu Kevin gehen soll, oder ob er noch immer schmollt. Wir könnten über die Reise seines Sohnes sprechen. Denn er dachte darüber nach ihn hier her zu sich zu holen, nachdem Gunnar und ich ihn am Sonntagnachmittag mit Inula Castanea und Óðinn Aron besucht hatten.
Andererseits überlege ich mir gerade, ob ich mir nicht erst einmal die DVD anschauen sollte.......