Freitag, 9. Mai 2014

Kevin



Nach meinem diary Eintrag ging ich zu Gunnar ins Office, wo ich eine Weile blieb.
Dann ein gemeinsamer Lunch, bei welchem ich niemand als Gunnar an meinem Tisch sitzen haben wollte. Nun, vielleicht Kevin noch. Aber er hielt sich weiterhin bedeckt. Beinahe wie ein Eremit. Den gesamten Tag über vermochte ich an nichts anderes zu denken, als ihn am Abend zu besuchen. Und ich tat es.....nach dem Vortrag im großen Saal und nachdem Gunnar sich verabschiedet hatte und mit seinem Wagen gen Stockholm, zu seinem Fußballspiel davon gebraust war.
Ich hatte Gunnar gefragt, ob er am Abend wieder käme und er hatte mit den Schultern gezuckt. „Vielleicht.“, sagte er, und „wirst du zu Kevin gehen?“, fragte er.
Ich nickte. „Wenn er mich bei sich haben will.“
„Wirst du bei Siv übernachten?“
„Nein. Werde ich nicht.“ Er lächelte. „Womöglich trinke ich nur zwei, drei Bier und komme doch zurück. Aber ich weiß, du magst es nicht, wenn mein Atem nach Alkohol riecht, wenn ich neben dir liege.“
„Tut er das nicht beinahe jeden Tag?“

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Noch immer bin ich bei Kevin, und es entzieht sich bisher meiner Kenntnis, wo Gunnar sich aufhält. Ob er zurückgekommen ist, oder nicht. Im Haus war es jedenfalls nicht. Denn ich holte heute Morgen, nach meinem gemeinsamen Frühstück mit Kevin, das Notebook mit samt meinen täglichen Notizen von dort und das Bett war nicht berührt. Also hatte er nicht darin geschlafen. Auch sonst deutete nichts darauf hin, dass er in den letzten Stunden hier gewesen war. Was mitnichten bedeuten muss, dass er nicht bereits im Zentrum weilte, bei einer seiner Konkubinen.
Anrufen mochte ich ihn  nicht. Man hätte denken können, ich würde ihm nachstelle., Wie eine eifersüchtige Ehefrau.

Nun, die Stunden mit Kevin waren außergewöhnlich. In welcher Form auch immer.
Als ich zu ihm kam, bat er mich freundlich herein und er schien mir völlig normal zu sein. Ich fragte ihn, ob ich bleiben dürfe. Er nickte lächelnd und als ich ihn nach seinem „Auftritt“ vor zwei Tagen fragte, lachte er herzlich. „Es ist gut Schauspieler zu sein. Man kann eine Rolle so glaubhaft vermitteln, dass sogar ein Gedanken lesender Gunnar nicht bemerkt,  was wahrhaft ist und was nicht. Und dass vieles“, bei diesen Worten sah er mich nachdrücklich an, „aber nicht alles gespielt war.“
„W-a-s war denn nun gespielt? Und was war echt?“, fragte ich neugierig und ein etwas ungeduldig.
Kevin schmunzelte. „Das ein wenig übertrieben Theatralische war natürlich gespielt. Nur die Verpackung so zu sagen. Ich liebe das Drama wie du weißt. Aber der Rest war echt. Ich will dein Mann sein, weil ich dich liebe, Rea. Das wollte ich bereits vom ersten Augenblick an, als ich dich damals kennen lernte. Das weißt du genau. Nur hat es bisher offensichtlich nicht sein sollen. Aber jetzt ist es möglich. Und ich musste der Situation Nachdruck verleihen, um Gunnar von meinem Vorhaben zu überzeugen. Denn schließlich ist ER dein Ehemann.“ Ich sah, wie sich während der letzten Worte Kevins Kiefermuskulatur bewegte. Gleichwohl seine Augen verrieten mir, dass es ihm wohl am liebsten gewesen wäre, wenn ich ihn verließ.
Später an diesem Abend, sprachen wir über Gunnar und er erwähnte mehrmals seine zahlreichen anderen Frauen, seine Domina und seine Affären. „Warum duldest du das? Warum verlässt du ihn nicht?“
Warum. Warum. Ich antwortete nicht und wandt mich in Ausflüchten, die für mich genau genommen keine waren. Für andere sich jedoch so anhören mussten. Zudem es noch sein Vorteil gewesen wäre, hätte ich ihm nur zugestimmt.
„Du liebst ihn?“
Natürlich liebe ich Gunnar. Was denkt er nur?
„Du liebst ihn trotz alledem noch immer?“
Mehr denn je. Kevin sieht ausschließlich Gunnars Verfehlungen und dunkle Seiten. Wie ICH anfänglich ebenso. Jedoch gibt es in gleichem Maße einen ganz anderen Gunnar, der nur wenigen Menschen bekannt ist. Einen liebevollen, fürsorglichen, umsichtigen, wissenden, zärtlichen, behütenden, Geborgenheit gebenden Ehemann. Wie ich bisher noch keinen anderen Mann erlebte. Zudem noch in meiner kränklichen Situation.
„Wir passen doch so gut zueinander.“, riss mich Kevin mit seinen Worten aus meinen Gedanken. „Zwei Versehrte. Der eine kann gar nicht mehr ficken, und die andere ist gesundheitlich nur noch mäßig in der Lage dazu. Ist doch praktisch. Oder nicht?“

Abends im Bett sprachen wir über die zahlreichen Möglichkeiten, die uns bleiben würden Sex miteinander zu haben. Überaus zaghaft stellte ich dann eine Frage zu seiner Frau. „Wie hast du es mit ihr getan?“
„Genau die selben Dinge, die ich dir vorschlug. Was vermag ich sonst noch anderes zu tun?“ Er biss sich auf die Unterlippe und wendete seinen Blick kurz von dem meinen ab. Dann hob er seinen Kopf und lächelte. „Ich habe alles dabei. Wollen wir?“
Wow! „Nein. Äh. Ja. Aber ich bin müde.“, stotterte ich. „Ich will nicht, dass du die selben Sachen, welche du in deine Frau gesteckt hast, auch bei mir anwendest.“, meldete sich mein Widerstand.
Kevin lachte. „Ich warf alle Sachen weg, nachdem sie starb.“ Bei diesen Worten schnaufte er und seine Stimme wurde immer leiser. „Aber bevor ich hier her kam, kaufte ich alles neu.“ Ein gequältes Grinsen überzog nun sein Gesicht.

Während der kurzen Unterhaltung, welche seine Frau betraf, schien er mir jedoch nur wenig berührt zu sein von ihrem Tod. In manchen Augenblicken dachte ich  sogar, dass er Angesichts ihres Todes erleichtert wäre und froh nun endlich hier bei mir zu sein. Was mir überaus schwer fiel zu glauben. Aber womöglich suchte er seine Trauer nur vor mir zu verbergen. Zu überspielen. In ähnlicher Art und Weise, wie er seinen letztlichen Auftritt in Gunnars und meiner Gegenwart inszeniert hatte.
Ich an seiner statt hätte vermutlich ein schlechtes Gewissen. Aber angesichts seines gesundheitlichen Zustandes auch wieder nicht. Vielleicht fände ich es sogar auf irgendeine Weise gerecht. Nur würde mir Gunnars Präsenz in des anderen Leben missfallen. Gleichgültig wie ehrenhaft ich sein möchte.
Phhuu. Ich schnaufte auf Grund derartiger Überlegungen. Denn genau genommen war es mir unmöglich, mich in Kevins Gedanken- und Gefühlswelt so restlos hinein zu versetzen. Ich vermochte nicht wirklich einzuschätzen, wie tief die Liebe zu seiner Frau noch, oder wieder gewesen war. Dann war da schließlich noch sein Sohn. Über ihn sprachen wir jedoch bisher nicht. Kevin erwähnte nur kurz, dass er bei seinen Schwiegereltern sei.
Alles in allem fällt es mir nach wie vor schwer mich an seinen Anblick im Rollstuhl zu gewöhnen. Und alle Unannehmlichkeiten, die damit verbunden sind.
Ich war behutsam im Umgang mit ihm und seinen krankheitsbedingten Unzulänglichkeiten. Alldieweil ich dachte er geniert sich vor mir. Andererseits muss ich ehrlich gestehen, gleichwohl ich Kevin sagte es würde mir nicht ausmachen, dass ich offensichtlich noch eine lange Weile brauchen werde, um mich an Urinbeutel, seine Unbeweglichkeit und einen ständig begleitenden Pfleger zu gewöhnen. Denn ICH könnte mich nicht um ihn kümmern, alldieweil ich mit meiner Kränklichkeit selbst zur Genüge beschäftig bin. Trotz alldem war ich immer wieder gefordert Kleinigkeiten für ihn zu tun, die er nicht selbst verrichten kann. Was ich bereits in den wenigen Stunden unseres Zusammenseins bemerkte.
Ich bin kein Mensch, der es liebt sich um andere zu kümmern. Womöglich mag ich aus diesem Grund keine Kinder und sicherlich ebenso wenig eine gute Mutter sein. Daher ist es in der Tat am besten, nie eine Mutter zu werden. Was nun auch nicht mehr möglich sein wird.

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Kevin scherzt sehr viel, und ich vermute, dass er mit Humor viele seiner wahren Gefühle überspielt, die er mir, oder auch niemanden sonst zeigen mag. Und dass es ihm oft nur wenig zum Lachen zu mute ist. Denn ich bemerkte seine Ungeduld mit seinem verletzten Körper und seinen gelegentlichen Zorn mit und auf sich selbst, ob seiner Unfähigkeit normale Dinge zu tun wie jeder andere Mensch, der gehen kann.
„Ich massiere dir deine Füße“, sagte er ein wenig gequält lächelnd und ich glaube er wollte nicht, dass ich seine innere Marter erkenne. „Das vermag ich wenigstens noch zu tun.“ In diesem Zusammenhang gedachte ich ihn nicht auf die vielen attraktiven Damen der Massageabteilung hinzuweisen. Gleichwohl nicht als Schabernack. Es wäre durchaus vorstellbar gewesen, dass ihn meine Worte gekränkt hätten. Was er mir selbstredend nicht hätte merken lassen.
Er hatte mir den Rücken gestreichelt. Mich liebkost. Als ich heute Morgen nackt neben ihm auf dem Bett saß. Er hatte den Pfleger noch nicht gerufen. Natürlich sollte er mich nicht unbekleidet sehen. Ich mag ihn nicht wirklich. Versuche ihn nicht mehr als nötig wahr zu nehmen in Kevins Gegenwart.

Als denn, mache ich mich auf Gunnar zu suchen und zu speisen.
Kevin verspürt nach wie vor nur wenig Verlangen unter Menschen zu gehen.