Dienstag, 26. Januar 2016

„Alte Pfade“



Da ich ohnehin das Montag-Morgen-Briefing verschlafen hatte, sah ich keine Veranlassung mehr zum Zentrum zu fahren und blieb bei Gunnar, Alexa, Magnus, Victor und Anna Maria Swanepoel im Büro. Schrieb, surfte im Internet, telefonierte mit Marie und Derek, der mich über alles informierte was für mich geschäftlich von Bedeutung war, und ließ mir sogar kleine Aufgaben zuteilen, die ich erledigte. Schließlich ist es die Firma meines Vaters und ich hatte jedes Recht hier zu sein. Was allen anderen offenkundig bewusst gewesen war.
Aus dem Augenwinkel heraus hatte ich beobachtet, wie Gunnar Alexa anwies, mir eine Tätigkeit zuzuweisen.
„Nein Gunnar.“, zischte sie ihn an. „Das tue ich nicht. Sie wird mich nur wieder herablassend behandeln.“
Gunnar ließ nicht locker. „Geh’ schon. Ziere dich nicht so. Es wird schon gut gehen. Vertraue mir.“
Ich hörte sie schnaufen und ihre Schritte so allmählich näher kommen. Alldieweil ich  Gunnar nicht Lügen zu strafen gedachte, suchte ich nach dem Gleichmut in meinem Inneren und fand ihn auch. Warum sollte ich jetzt und hier eine Szene machen? Wozu hätte das gedient? Ausschließlich dazu, um meine Unfähigkeit zu Vertrauen und Unreife zu demonstrieren. Es wäre viel weiser, schlicht und einfach darüber zu stehen. Da ich wusste, dass Alexa kein bösartiger Mensch war, wappnete ich mich mit Sanftmut und Gütigkeit, um ihr zu begegnen.
„Gunnar hat gesagt“, begann sie mit finsterem, zaghaften Blick, „ich soll dir das hier zum durchsehen geben. Machst du das bitte.“, brach sie sie beinahe einen ab vor Bekommenheit.
Ich blieb freundlich und gelassen. Sah sie lächelnd an und nahm das Paket von Dokumenten entgegen. Was sie offensichtlich verwunderte. Sicherlich hatte sie eine Herabsetzung meinerseits erwartet. Eine Diffamierung. Oder zumindest eine Anfeindung. Ein böses Wort, welches meine Eifersucht offen zeigte. Aber nichts. Ich hatte mich tatsächlich beherrscht!
In ihrem Gesicht formte sich ein vorsichtiges Lächeln, nachdem sich mich forschend eine weile angesehen hatte. Ich nickte ihr höflich und warmherzig zu, was sie sichtlich erstaunte. Und noch im selben Moment husche ein Lächeln über  ihr Gesicht und ihre Augen strahlten.
Als sie zu Gunnar zurückgegangen war, hörte ich, wie er sie fragte: „Und, war es so schlimm?“
„Nein. Im Gegenteil. Ich bin verblüfft. Sie war so freundlich.“
Gunnar horchte auf. „Siehst du. Ist doch alles okay. Und jetzt weiter. Wir habe jede Menge zu tun.“

Alles in allem blieb ich bis zum Abend mit Gunnar und den anderen im Büro. DAS hatte ich in der Tat noch nie getan. Im Allgemeinen liebe ich die Einsamkeit und meine Ruhe. Aber es war nicht wirklich hektisch. Im Gegenteil. Obwohl es anstrengend für mich war, die ganze Zeit aufrecht an einem Tisch zu sitzen, fand ich die Atmosphäre doch recht angenehm und beruhigend. (Schon eigenartig. Womöglich kommt es doch auf die (eigene) Einstellung an. So wie Gunnar es oft angemerkt hat.)

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Ein Dinner zu zweit.....mit meinem Ehemann. Besser vermag es kaum zu laufen. Und im Anschluss noch ein gemeinsamer Tennisabend am Fernsehapparat. Bedauerlicher Weise NICHT vor Ort. Nun ja. Egal.

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Der Morgen mit Ausschlafen und Sex. Sehr angenehm. Wie Gunnar nun einmal ist.
Ich hatte ihn explizit darauf hingewiesen, es vorsichtiger wie sonst anzugehen.
Dan ein Frühstück zu zweit. Wunderbar. Wir sprachen noch einmal, gänzlich gelassen, über uns, über Alexa und ebenso über Gunnars Sexualität und sein übermäßiges Verlangen.
„Du weißt aber schon, dass das NICHT normal ist?“, wies ich ihn (erneut!) auf diese Kleinigkeit hin.
Zu Beginn zuckte er noch mit den Schultern. Frei nach dem Motto: Was soll’s? Aber ich erklärte es ihm noch einmal und ließ ihm, mit allem Verständnis in meinen Augen und Inneren, auf meine Fragen antworten.
„Ja. Mir ist schon bewusst, dass es für DICH schmerzlich ist. Auch wenn es MIR völlig normal erscheint mit mehreren Frauen zu leben.“
„Genau deshalb ist Mann nur mit einer Frau liiert.“, argumentierte ich.
„Das ist religionsbedingt unterschiedlich.“
„Was ist DAS bitteschön für ein Argument???“, wurde ich ärgerlich. Da ich vermutete, in welche Richtung diese Unterhaltung lief. Schließlich hatte er sich am Wochenende mit seinem Bruder Carsten, seiner Freundin und deren Familie getroffen, die Muslime waren.
Ich baute mich sitzend vor ihm auf und wurde energisch: „Du lässt dich doch wohl nicht von diesem rückständigen, aggressiven, Frauen verachtenden Glauben inspirieren, auf welchen dein Bruder Carsten zusteuert? Respektierst du mich überhaupt noch als Frau. Oder was?“ Ich ließ ihn nicht zu Worte kommen. Sprach einfach aus, was mir am Herzen lag und wurde, trotz alledem wieder ruhiger dabei. Weil ich Gunnars erschrockenes Gesicht wahrnahm. „Vielleicht erinnerst du dich an deine Wurzeln. Es wird Zeit, wieder einmal deinen Onkel Erik aufzusuchen. Vielleicht bringt er dich wieder zurück auf den rechten Pfad.“ Am vermeintlichen Ende meiner Ansprache war ich bereits wieder gelassen im Inneren und strahlte es gleichwohl aus. Was mir ganz persönlich bewies, dass sich etwas in mir weiter entwickelt hatte. Kein Wunder also, dass ein wenig Genugtuung darüber bei mir aufkam und ich sogar zu lächelte begann.
Gunnar räusperte sich und zog die linke Braue nach oben. Er schien verwundert. „O – k – a – y.“
Eine Pause entstand und mein Ehemann schnaufte ein wenig. „Rea, ich bin nicht dumm. Du hast, was den Islam betrifft, selbstverständlich Recht und mein Onkel würde mir nichts anders sagen als du. Vermutlich würde er mir tatsächlich, wie du richtig vermutetest, nahe legen, mich davon fern zu halten und die alten Pfade zu gehen. So, wie es mir vorherbestimmt ist.“
„Und warum tust du es dann nicht?“, hakte ich ein.
„Rea, mir ist es durchaus bewusst, was der Islam mit Frauen macht und ich bin in keinster Weise auch nur daran interessiert, diesem veralteten, starren Glaubensgebäude zu folgen. Nein. Das tue ich nicht! Glaube mir.“
„Aber warum dann das Treffen mit ihnen?“
Erneut atmete Gunnar tief. „Es ist mein Bruder und ich versuche ihm klar zu machen, WO UNSER LEBENBAUM steht und WIE WIR ihn nennen. Aber ohne, das es bevormundend klingt, oder aussehen mag. Er muss sich sicher fühlen. Sonst verliert er sein Vertrauen zu mir. Verstehst du das?“
In meinem Hirn formte sich ein Bild, welches in diesem Augenblick recht NEU für mich war. Gunnar, als Undercover-Agent für Freyja und Odin. Und das noch, ohne es mir zu sagen. Warum tut er das? Warum weiht er mich nicht ein?
„Wieso sagst du mir das nicht, dass du deinem Bruder überzeugen möchtest, seine Freundschaft mit einer Muslime gegebenenfalls noch einmal zu überdenken?“
„Weil es sonst nicht authentisch wirkt.“ Er lachte.
„Du bist einfach unmöglich Gunnar!“, empörte ich mich. „Was wäre denn schlimmes dabei gewesen, wenn ich dich bei deiner Mission unterstützt hätte?“
„Weißt du Rea, ich bin weit davon entfernt, meinem Bruder Vorschriften zu machen. Er kann tun und lassen, was immer er will. Aber er ist nun einmal in diese Dalal verliebt. Und genau DAS ist schwierig zu verändern. Er bewundert alles, was sie umgibt. Er ist verblendet. Ein verliebter Esel, wie man so schön sagt. Und deshalb ist es wichtig behutsam vorzugehen. Ihm im Notfall sogar vorzutäuschen, dass ich sein Vorhaben unterstütze.“
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Ich verstehe dein Vorgehen nicht.“
 „Ja. Ich weiß. Es ist auch ein wenig zu.....männlich. Und du kennst doch den Ausspruch: Kenne deine Feinde besser als deine Freunde.“ Gunnar grinste mich an und zwinkerte mir zu. „Mir ist schon klar, dass der muslimische Glaube für Männer ansprechend ist. Auch ICH könnte mich darin wieder finden.“
In diesem Augenblick holte ich tief Luft und setzte zum sprechen an. Gunnar gebot mir jedoch mit den Worten: „Bitte, lass mich ausreden“, still zu schweigen.
„Aber ich tue es nicht Rea. Ich tue es nicht und werde es auch niemals tun. Nur, um Carsten das alles klar zu machen, musste ich mich mit ihnen treffen und auch mit dem Beitritt zu den Schwedendemokraten vorerst zurückhalten. Er hätte es sicherlich, aufgrund seiner Liebe zu ihr, missverstanden. Es ist eben kompliziert.“
„Ja. In der Tat. Und ich versuche es zu verstehen.“, ergriff ICH nun das Wort.  „Vielleicht lässt du mich es einmal für dich zusammenfassen, SO, wie ICH es verstanden habe. Ist das okay für dich?“
Er machte eine höfliche Geste mit der Hand: „Ich höre.“
„Im Grunde hast du deinen Weg des Druiden, so, wie es dich Erik lehrte, nie verlassen. Nur musstest du zeitweilig, also jetzt, eine Rolle spielen, um deinen Bruder zu helfen, WENN er sich denn retten läst. Was durchaus noch nicht sicher ist. Schließlich gedenkst du ihn gleichermaßen NICHT zurecht zu weisen und am Ende kann er tun, was er will. Du hast es, in jedem Fall versucht ihm den Weg der Ahnen zu weisen. Gleichwohl du dich auch für Toleranz aussprichst. Jedoch die politische Situation vollkommen begreifst und auf Grund dessen dich eigentlich doch zu den Schwedendemokraten hingezogen fühlst. MICH musstest du ebenfalls täuschen. Damit du authentisch erscheinst und Verständnis für die Situation, in welcher sich dein Bruder befindet, ausstrahlst. Weil dir zudem gleichermaßen bewusst ist, dass du selbst die Vielweiberei auf deine ganz eigene Weise betreibst. Jedoch möchtest du nicht ins fünfzehnte Jahrhundert zurück fallen, was Frauenrechte betrifft. Du magst es, wenn Frauen wild und frei ihre Sexualität ausleben. Was auch ein Grund sein mag, dass du mir Derek zugestehst. Andererseits hast du mir gegenüber Schuldgefühle und hast einen Liebhaber für mich gewählt, der dir nicht gefährlich werden kann. Weil er noch weiß, was Ehre bedeutet. Und von MIR weißt du genau, dass ich dich über alles liebe.“ Ich sah ihn mit gewinnenden Blicken an.
Gunnar stand der Mund offen. „BESSEER hätte ich es auch nicht formulieren können.“
„Warum sagst du mir das nicht gleich. Dann hätte ich es doch verstanden.“
Ich lächelte Gunnar sanftmütig an. Griff nach seiner Hand und drückte sich leicht.“
„Bin ich jetzt der Esel? Oder was?“, sagte er lachend.
Ich legte die Stirn ein wenig in Falten und nickte ihm schmunzelnd zu. „Vielleicht.“
„Ich hätte dir vertrauen sollen. Nicht wahr?“ Na endlich hatte er begriffen!
„Ja. Absolut!“, stimmte ich ihm zu.
„Dann würde ich dich jedoch bitten“, erwiderte er, „auch mir zu vertrauen und deine noch immer ständigen Eifersüchteleien fallen zu lassen. Du weißt doch ganz genau, dass ich dich ebenfalls über liebe. DU bist alles für mich. Die Nummer eins....vor allen anderen.“
„Ach! Tatsächlich? DAS glaube ich dir nicht ganz. Ich nehme zuweilen an, dass Gunnar zuerst an Gunnar denkt.“
Gunnar verzog das Gesicht und wirkte verschämt und ertappt. „Ja. Okay. Vielleicht hast du Recht. Manchmal übertreibe ich es mit dem Genießen.“
„Und du weißt ganz genau, dass du mich damit verletzt. Wäre es nicht besser, dass wir BEIDE, gegenseitig, ein paar Schritte auf uns zu gehen?“
Gunnar nickte. „Ihr Frauen seid schon klug.“ Er senkte den Kopf und presste die Lippen zusammen.
„Weiß du Gunnar, ich habe in den Jahren unserer Ehe so vieles toleriert und bin trotz alledem bei dir geblieben. Mag sein, dass ich aus Gründen des verletzt Seins und der Verzweiflung oft ebenfalls manche Dinge tat, die nicht gut für und beide waren. Andererseits weißt du ganz genau, dass ich ausschließlich (!!!) mit DIR zusammen leben will. Mit niemand anderem. Auch mit Derek nicht. Und wie du an meinem Verhalten Alexa gegenüber sehen kannst, bin ich willig mit Toleranz auf dich zuzugehen. Und nun, verlange ich das Gleiche auch von dir. Denn du weißt doch ganz genau, dass ich Partys hasse. Dass Ruhe für mich nötig ist. Und dass ich, insbesondere JETZT, aus Krankheitsgründen, das Alleinsein mit dir bevorzuge. Anstatt mich beständig mit Menschen zu umgeben. Denn, wem ich so tagsüber alles begegne, ist mir völlig genug. DAS MUSST du so allmählich verstehen. Du bist doch kein Kind mehr Gunnar UND du hast mich als deine Frau erwählt. Übernimm eine Verantwortung in deinem Leben und stehe zu uns! Verstehst du mich?“
Gunnar nickte ein wenig betreten. Ich sah, dass ihn meine Worte bewegten.
„Es geht mir nicht darum dich an mich zu binden, dich einzusperren, oder dich zu  bevormunden. Bedauerlicher Weise ist in einer patriarchalen Gesellschaftsform die Frau auf den Mann angewiesen. Wenn du, oder wir alle, nun einmal in solch einer Gesellschaft leben, müssen wir ALLE die Konsequenzen ziehen.“ Ich holte tief Luft und sprach weiter: „Leider ist es so, dass es die meisten Menschen nicht begreifen, worum es wirklich geht und nicht tun, was sie sollten. Und genau deshalb ist unsere Welt so wie sie ist. Eben WEIL kaum jemand, und hier spreche ich insbesondere von den Männern (!), die Konsequenzen zieht.“, vervollständigte ich mein Plädoyer. (Ich hätte Anwalt werden sollen....smile.)
Gunnar war beeindruckt und stimmte mir in allen Punkten zu!
Welch’ Erfolg für mich und welch’ gute Gelegenheit, die ich nutze, ihm mein innersten Anliegen nahe zu bringen!

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Da wir eine lange Unterhaltung am Frühstückstisch geführt hatten, kam Gunnar erst gegen elf dazu ins Büro zu gehen. Ich begleitete ihn erneut, wie am Tag zuvor. Niemand beanstandete es. Im Gegenteil. Jeder von ihnen war nur freundlich. Auch Alexa war entgegenkommend und warmherzig zu mir. Hier, in Gunnars Büro, herrscht ein Klima, welches mir gut gefällt. Damit will ich allerdings nicht sagen, dass es in unserem Büro, im Zentrum, unangenehm ist. Es ist nur ein wenig hektischer und die vielen Personen bringen alle ihre ganze eigene Energie mit hinein. Hier, sind es nur fünf (bis jetzt) freundliche Menschen, die mit Gelassenheit ihrer Arbeit nachgehen.  Erstaunlich. Sicher ist mir gleichwohl bewusst, dass es nicht immer so geruhsam zugehen mag. Dennoch finde ich es hier, in Gunnars Büro, recht behaglich und positiv.  

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Nach dem gemeinsamen Lunch ging ich erneut mit Gunnar und seinen Mitarbeitern ins Büro und schieb meinen Post zu Ende. Und jetzt gedenke ich zum Frisör, sowie zur Manie- und Pediküre zu gehen.