Sonntag, 31. Januar 2016

Herausforderungen



Gunnar war, erstaunlicher Weise, während ich schrieb, im Fitnessstudio trainieren.
Anschließend der gemeinsame Lunch. Gleich danach ein ausgedehnter Spaziergang rund um den See, wie ich ihn schon lange nicht mehr gegangen war. Es war anstrengend. Wenn auch nicht kalt. Wenn man kontinuierlich geht, bemerkt man die Kühle nicht.
Nach einiger Zeit allerdings, war es nötig für mich, immer wieder Pausen einzulegen. Was für Gunnar ein Leichtes war, ist für mich ein Marathon. An dessen Ende ich beinahe zusammen brach. Und ich fragte mich, WARUM tat ich mir das an? Das hätte nicht sein müssen. Gunnar hatte wieder und wieder angemerkt, dass es doch vielleicht besser wäre umzukehren. Aber nein. Ich stellte mich ganz bewusst dieser Herausforderung. Weil ich schlicht und einfach neugierig war, was und wie viel ich noch zu leisten im Stande bin.
„Ich trage dich, wenn es sein muss.“, sagte Gunnar besorgt und griff nach meiner Hand.
Ich zog sie zurück und ging noch schneller voran. „Nein. Lass mich. Ich schaffe das schon.“
Gunnar schnaufte und lief mir hinterher. Holte mich ein und umfing mit seinen Armen meine Taille. Hob mich hoch und ließ mich strampeln.
„Lass mich los!“, widersetzte ich mich.
„Rea! Sei doch bitte vernünftig!“, mahnte er.
Als wir, nach der Runde um den See, beinahe beim Restaurant angelangt waren, kamen uns Kevin, Janina und Vince entgegen. Ich taumelte schon fast auf ihn zu. Gunnar hielt meine Hand und ließ ich es ihn tun. Weil ich befürchtete umzukippen. Es muss ein eigenartiger Anblick gewesen sein und im Nachhinein schäme ich mich dafür. Wie konnte ich Kevin nur so brüskieren?
„Kevin!“, rief Gunnar meinem alten Freund entgegen, „Kannst Du Rea nicht zur Einsicht bewegen?“
Ich blieb vor Kevin stehen, atmete schwer und wankte, als wäre ich betrunken. Genau genommen, war ich einer Ohnmacht nahe.
„Was ist denn passiert?“, hörte ich Kevin Stimme fragen. Sie klang so nah und dann wieder so fern.
„Oh mein Gott!“, kreischte eine Frau. Es musste Janina gewesen sein. „Haltet sie doch. Sie fällt gleich um.“
Ich spürte, wie sich energisch ein Arm von hinten und noch einer von vorne um mich legten. Es mussten Gunnars Arme gewesen sein. Denn sein Gesicht war mir so nah. Ich sah die Stoppeln seines Bartes. Sie schimmerten golden in der prallen Sonne.
Ich war so euphorisch in diesem Augenblick, dass ich kaum meinen Körper spürte. Lächelte, drehte meinen Kopf von einem zum anderen und gab Gunnar eine Kuss auf die Wange. Nebenher hörte ich Kevins Stimme.
„Setz sie doch zu mir auf den Stuhl und wir bringen sie zum Haus. Dann trägst du sie rein.“
„Was hat sie getan?“, vernahm ich erneut die stimme der Frau, die für meine Ohren alles durchdrang.
„Nichts. Sie ist nur gelaufen.“, sagte Gunnar zu ihr. „Es war einfach zu viel.“
„Hat sie es nicht gewusst, dass sie das  nicht mehr kann?“ Besorgnis klang in Janinas Stimme und ich......musste lachen.
„Ja. Natürlich wusste sie das.“
„Warum tut sie es dann?“
„Frag’ nicht so viel.“, herrschte Kevin Janina an und ich..........lachte weiter.
Sie redeten und redeten, als wäre ich nicht dabei.
„Es ist einer dieser Tage“, Gunnars Stimme nahm kapitulierende Züge an und ich,......lachte vor mich hin.
„Ist sie betrunken?“, fragte Janina Gunnar schließlich, ohne auf Kevins Rat zu hören, nichts mehr zu fragen.
„Nein. Selbstverständlich nicht.“, verteidigte mich mein Ehemann.
„Warum lacht sie dann?“
„Janina. Sei bitte still jetzt. Wir müssen ihr helfen.“ Kevin. So kannte ich ihn. Bei Gefahr,.....über-legen. Und ich........lachte und lachte. Die anderen wunderten sich. Sicher starrten sie mich an und waren am Staunen. Oder schauten sie eher befremdlich drein? Ich wusste es nicht. Nahm es nicht...mehr.....wahr. Die Schmerzen, die Krämpfe drangen nun in mein Bewusstsein durch und erreichten ein Maß der Unerträglichkeit. Es ging NICHTS mehr! Meine Beine gaben nach und ich sackte zusammen.
Gunnar fing mich auf und setzte mich auf Kevins Schoß und sie brachten mich nach Hause. Gunnar trug mich ins Haus, nachdem er sich bei Kevin bedankt und verabschiedet hatte.
Was für eine Rally. Dachte ich noch so, während Gunnar mich nieder legte. Ich konnte hören, wie er schnaufte.
„Was ist?“, fragte ich ihn.
„Du bist verrückt.“, was eine Feststellung zu sein schien. „Weißt du das?“
„Warum?“
„Du weißt genau, dass du nicht so weit gehen kannst. Warum tust du es dann?“
„Ich wusste es nicht.“, rechtfertigte ich mich und wurde ernster. „Es war mir danach es auszuprobieren. Du warst doch bei mir, zur Sicherheit. Was hätte mir da schon passieren können? Nichts. Wie du siehst.“, beantwortete ich mir meine Frage selbst.
„Rea. Was machst du nur.“ Ich sah Gunnar wie er sich neben mir fallen ließ. Er beugte sich zu mir herüber und küsste mich. „Du bist eine Irre.“ Er lachte und legte sich neben mich. Ich lachte mit.
Nach einer Weile des gemeinsamen Gelächters bekam ich Appetit. „Bestelle mir bitte eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen dazu. Und was möchtest du?“ Ich wendete meinen Kopf Gunnar zu und lächelte ihn an.
Er grinste. „Ich glaube, ich nehme das Selbe.“ Und im gleichen Atemzug die besorgte Frage: „Geht es Dir wieder gut?“
„Besser. Bis auf meine Beine. Die Krämpfe an Bauch und Rücken. Und die Füße. Sie brennen.“
„Das sind Nervenschmerzen. Magst du vielleicht etwas dagegen einnehmen?“
„Nein.“
„Was macht dein Herz? Ist da ein Druck? Ein Stolpern?“
„Nein.
„Gut.“ Und du lügst mich auch nicht an?“
Erneut musste ich lachen. „Nein. Warum sollte ich das tun?“
„Damit du einen Anlass hast, die Medikamente abzusetzen. Und ich weiß, dass du es willst.“
„Ja. Natürlich. Was denkst du denn? Die Ärzte sagen, dass es meinem Herz besser geht und trotz alldem verschreiben sie mir noch mehr von diesem Zeug. Was soll denn das sein? Ich verstehe das nicht.“
„Nimm’ sie doch erst einmal. Du kannst sie doch auch später noch aus dem Medikamentenplan streichen.“
Unwilligkeit machte sich in mir breit. Dennoch wusste ich, Gunnar hatte Recht.
„Ja. Meinetwegen.“, gab ich auf.

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Am Abend sahen wir ein wenig fern und ich surfte zuweilen im Internet. Schrieb sogar bereits ein wenig an diesem Post. Marie rief kurz an und Gunnar sprach mit seinen Kindern. Was man so sprechen nennen kann. Zumindest war er glücklich dabei.
Derek rief an, um mir zu sagen, dass er erkältet war. OH Gott! Dachte ich. Nur gut, dass ich dieses Wochenende NICHT bei ihm war.
„Sei bitte vorsichtig und infiziere deine Mutter nicht. Du weißt, es wäre gefährlich.“
„Ja. Ich habe auch ihr bereits Bescheid gesagt.“

Später:
„Du hast heute nicht fremd gefickt.“, bemerkte ich gänzlich ungeniert meinem Ehemann gegenüber.
Der lachte! Und warf seinen Kopf zurück. „Nein.“
„Und? Hältst du es auch noch weiterhin aus?“
„Wir werden sehen?“
„WAS soll das bitteschön bedeuten?“ Die Frage war doch eher als Scherz gedacht.
Gunnar zog mich zu sich hinüber und drückte mich fest an seinen Körper heran.
„Hab’ keine Angst. Ich schaffe das schon.“ Was ICH genau genommen bezweifelte. Nun, wir werden sehen.
„WIE wird es heute Nacht sein?“, fragte ich vorsichtig an.
Gunnar lächelte. „Ich bleibe bei dir. Nichts anderes. Das verspreche ich.“
Ich sah ihn nachdenklich an. „Was geschieht da gerade mit dir?“
„Ich versuche nur, dir ein guter Ehemann zu sein.“
„Wie lange?“, vermochte ich mir diese Frage nicht zu verkneifen. „Bis wir wieder in Stockholm sind und du zu Alexa gehst?“
„Ja. Vielleicht.“
„Vielleicht? Wann hast du vor zu gehen?“ Nun war meine Aufmerksamkeit geweckt.
Gunnar begann mich sanft zu streicheln. Er blieb, im Gegensatz zu mir, ganz ruhig. „Wir fahren gemeinsam. Am Montagmorgen zurück.“
Seine Worte beruhigten mich und ich lächelte ihn an. „Okay. Das ist gut zu wissen. Und bis dahin? Bleibst du mir treu?“
Noch immer strahlte Gunnar Gelassenheit aus. „Aber natürlich tue ich das.“
War er tatsächlich bestrebt ein braver(er) Ehemann zu sein? Ich konnte es kaum glauben. Dennoch erfreute ich mich daran.

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Wir hatten uns noch einen Film angesehen und gingen viel zu spät ins Bett. Es muss so gegen halb drei gewesen sein. Natürlich war nicht sekündlich ans Einschlafen zu denken.
„Wie wäre es, wenn wir beide wieder einmal eine Zeit bei Erik im Zauberwald verbringen?“, fragte mich mein Ehemann und ich war erstaunt.
„Ach. Tatsächlich? Ohne Alexa, oder irgendeine andere Frau. Nur wir beide bei Erik?“
„Ja.“
Mit diesen Gedanken vermochte ich gut in den Schlaf zu kommen.
Kein Sex. Gleichwohl nicht am Morgen. Obwohl auch mir so la, la danach war. Und Gunnar so wie so. Allerdings war es bereits zehn, als wir erwachten.

Im Restaurant begegneten wir Derek.
„Komm’ nicht zu nah’.“, wehrte ich energisch ab. Denn ich hatte mitnichten die Absicht mich bei ihm anzustecken. „Ich hoffe, du warst mit deiner Erkältung nicht bei deiner Mutter.“, rief ich ihm noch zu.
„Nein, war ich selbstverständlich nicht. Ich weiß, dass es gefährlich für sie ist.“

Etwas später kamen Thomas und Natasha an unseren Tisch. Setzten sich jedoch nicht. Sagte ausschließlich Hallo.
„Ich hoffe du hast es dir überlegt und bleibst noch eine Weile.“, sagte ich zu ihm.
Er schmunzelte und hob die Schultern. Machte ein verklärtes Gesicht. „Vielleicht.“


Gunnar ist joggen gegangen. Zumindest hoffe ich das. Wenn nicht, wird man es mir sicherlich später erzählen..........