Samstag, 12. März 2016

Von Variablen und Tatsächlichen



Genau genommen hatte ich mich entschieden Gunnar nicht über die Zentrum internen Angelegenheiten zu unterrichten. Er hat nichts mehr mit ihnen zu tun. Was allerdings nicht wirklich einfach war.
Nachdem ich bis etwa vier Uhr mit Derek zusammen war, kam Gunnar zurück, als ich gerade in meinem Haus über den Personalakten saß. Ich hatte mit Kevin und Derek noch einmal darüber gesprochen und wie vermutet, stimmte Kevin mir zu, mit der Anmerkung, dass wir sie nun nicht und vor allem nicht augenblicklich entlassen könnten und müssten. Es wären ohnehin nicht Viele Muslime unter den Angestellten und die, welche aus solchen Familien oder Herkunftsländern stammen, seien zumeist aus der Familie oder deren Dunstkreis ausgebrochen, um ihr eigenes Leben zu führen, was unterstützenswert sei. Damit hatte er selbstverständlich Recht. Was uns am Ende der Debatte, die ihren Anfang bei Imara genommen hatte, übereinkommen ließ, dass wir uns genau über die jeweiligen Personen informieren mussten. Zu diesem Zweck beabsichtige ich mich mit unseren Zentrums eigenen Detektiven zu treffen, um ihnen die Aufträge erteilen zu können. Sie wurden von mir vorab bereits informieret.
Imaras Akte nahm ich mir als erste vor. Imara kam aus dem Sudan. Hatte, lt. ihrer Biographie, einige Jahre in Amerika gelebt und kam dann nach Schweden. Sie war bekennende Muslime. Was als Randbemerkung in ihrer Akte stand und mir damals, während des Einstellungsgespräches nicht aufgefallen war. Das machte sie mir immer weniger sympathisch. Ich hatte ohnehin bereits in Gegenwart von Kevin und Derek angemerkt, einen adäquaten Ersatz für sie zu finden. Und ich hatte da gleichwohl eine Idee, welche ich jedoch sogleich wieder verwarf. (Die Erklärung dafür, muss ich hier bedauerlicher Weise schuldig bleiben.) Nachdem ich mir seine (noch immer im Computer gespeicherten Personalien) Akte noch einmal angesehen hatte. Dabei hatte ich an Tom Gibson gedacht. Andererseits war ich doch nicht wirklich angetan von seiner Selbstherrlichkeit. Von dem Raum, welchen er für sich einnahm, wenn er ihn betrat. Für diesen Job war eine Frau doch besser geeignet. Wenn nicht, zumindest einen Mann aus hiesigen Gefilden. Ein Schwede. Ich bin sicher, es wird sich einer finden.
„Du nimmst dir Arbeit mit nach Hause?“, sagte Gunnar zu mir und grinste mich an.
„Es ist eine delikate Angelegenheit, welche überaus diskret behandelt werden muss und was ausschließlich Kevin, Derek und mich etwas angeht.“
„Oh! Entschuldige.“
„It’s okay and not a Problem. Allerdings weiß ich nicht, ob es deine Zustimmung finden würde. Denn zuweilen kommt es mir so vor, als kehrst du deinen bisherigen Ansichten den Rücken.“
„In welcher Hinsicht denn?“
„Sieh in meinen Kopf und du weißt es.“, forderte ich Gunnar auf, der ohnehin viel zu oft in meinen Gedanken las.
Nach ein, zwei Minuten der Konzentration schnaufte er ein wenig. „Ja. Das ist wohl die Familie, die mich da ein wenig beeinflusst.“
„Also bedeutet dies, dass du nicht mehr beabsichtigst die Schwedendemokraten zu unterstützen oder ihnen beizutreten?“
„Ich glaube nicht. Politik war noch nie wirklich mein Fach. Dann eher doch die Magie.“ Er machte ein bedauerndes Gesicht.
„Was ist eigentlich los mit dir? Wechselst du täglich deine Überzeugungen wie Unterhemden?.“
„Odin bewahre! Nein. Nur solltest du im Umgang mit MENSCHEN ein wenig moderater werden. Meinst du nicht?“
„Nein. Im Gegenteil. Hier sollte ich Stärke zeigen. Insbesondere, was meine Meinung betrifft. Und nicht beliebig und fortan meinen Standpunkt wechseln. Nur weil dies gerade erforderlich und der Situation dienlich ist. Das macht mich unglaubhaft und angreifbar.“
Gunnar Mimik zeigte Anerkennung. „Du entwickelst dich. Das ist in jedem Fall vorteilhaft. Aber wohin?“
Ich hob (selbstbewusst) den Kopf. „U-n-d w-o-h-i-n?“
Gunnar lächelte. „Es ist DEIN Weg und ich halte dich nicht auf ihn zu gehen. Alles in allem finde ich es okay, was du tust.“
„Was tue ich denn?“, fragte ich vorwitzig, um zu überprüfen, dass er auch das Richtige in meinem Kopf gefunden hatte.
„Ich stehe nicht so auf Fallen.“ Er grinste, zwinkerte mir zu und hatte selbstredend bemerkt, was meine Absicht, in zweierlei Hinsicht, gewesen war. „Deine Gedanken sagen mir, dass du Imara bereits entlassen hast und einen geeigneten Ersatz für sie suchst. Nicht wahr?“
Ich nickte zufrieden. Gunnar hatte bestanden. Im Lesen von Gedanken, war er zweifelsohne besser geübt als ich.
„Ich hätte da vielleicht jemanden für dich.“, eröffnete mir mein Ehemann eine durchaus diskutable Möglichkeit. Es war Magnus Karlsson, der sich im seinem Team offensichtlich nicht mehr wohl fühlte, seitdem Tom Gibson dazu gestoßen war. (Was mir sagte, dass ich richtig lag mit seiner Persönlichkeit.)
Ich dachte kurz nach und entschied mich sofort, mit ihm zu sprechen.
„Was denkst du Gunnar, wäre es vorteilhaft schon jetzt mit ihm über einen Wechsel zu uns zu reden. Oder wäre das zu unbedacht und voreilig?“
Gunnar schürzte die Lippen und atmete tief. „ICH werde ihn fragen, wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt. Ist das okay für dich?“
Ich nickte. Was mich so rasch zustimmen ließ war die Tatsache, dass er Schwede war (und ein überaus attraktiver Mann).
„Allerdings wird das Anna Marie nicht schmecken.“, gab Gunnar zu bedenken. „In letzter Zeit jedoch haben sie oft gestritten.“
„Was nichts zu bedeuten haben muss.“, warf ich ein und Gunnar lächelte mir zu.
„Ja. Da magst du Recht haben.“
„Wenn er seinen Job im Zentrum erledigt hat, kann er doch getrost nach Stockholm, zu seiner Anna Marie zurückfahren. Oder etwa nicht?“ Ich wartete Gunnars Antwort nicht ab und sprach weiter. Er hatte ohnehin nur kurz mit dem Kopf genickt. „Womöglich tut ihnen einen wenig Abstand sogar gut. Es ist nicht immer vorteilhaft mit dem Ehemann oder Lebensgefährten zu arbeiten und so Tag und Nacht zusammen zu sein.“
„I-n  d-e-r  T-a-t!“ Gunnar hatte jedes der drei Worte einzeln betont, um mich ein wenig nachzuahmen. Er grinste zu mir herüber und kniff seine beiden Augen für einen flüchtigen Moment zusammen. „Schön, dass du es verstanden hast. Ich glaube, genau DAS machen wir richtig. Nicht immer und jede Minute aufeinander zu hocken. Jeder braucht nun mal einen gewissen Freiraum für sich. Das macht das Wiedersehen umso ersehnter und angenehmer. Meinst du nicht auch?“ Nun zwinkerte Gunnar mir wieder zu. Ich hatte allerdings keine Geste der Zustimmung für ihn. Nein. Ich lächelte nur.

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Gegen sieben hatte ich die Akten weggelegt, das Notebook zugeklappt und war mit Gunnar ins Restaurant gegangen.
„Was ist eigentlich aus deiner Reise nach Deutschland geworden?“, fragte ich ihn nun.
„DAS ist ein echtes Problem.“
„Warum das denn?“
„Man würde mich am Montag bereits im Vorstand erwarten und ich müsste am frühen Morgen fliegen. Nur ist am Sonntag Stines Geburtstagsfeier. Was soll ich also tun?“
„Vielleicht gehst du sie nur am Nachmittag besuchen.“
Gunnar sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an. „Ich dachte WIR gehen.“
„Hatte ICH nicht erwähnt, dass ich mit dir fliegen möchte? Und wenn das so ist, fehlt mir schlicht und einfach die Kraft noch am Nachmittag unterwegs zu sein, wenn ich in aller Frühe aufstehen muss und einen Flug zu bewältigen habe.“
Gunnar sah mich erstaunt an. Hatte die linke Augenbraue nach oben gezogen und sein Mund stand ein wenig offen. Ahhhso. Du willst mich also begleiten?“
„Ja. Ist etwas dagegen einzuwenden?“
„Ich denke nicht.“ Besann sich Gunnar sehr schnell und antwortete in einem souveränen Ton.

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Gunnar gab nicht auf, was Stines Geburtstag betrag. Was gleichwohl sein Schweigen auf dem Rückweg zum Haus erklärt.
„Ich habe eine Lösung für unser Problem gefunden.“, begann er sofort, nachdem wir die Tür hinter uns geschlossen hatten.
Ich sah Gunnar fragend an und begriff anfangs nicht, um WAS es ihm ging.
„Du packst schon Morgen deine Koffer und wir fahren am Samstagnachmittag nach Stockholm in unser Apartment. So hast du genug Zeit dich dort auszuruhen und am nächsten Tag, also am Sonntag verbringen wir den Tag mit Stine. Ich kann am Abend noch mit ihr feiern, während du dich ausruhst für den Flug.“
„WOW! Das hast du dir gut ausgedacht. Ich hoffe nur du bist auf Variablen eingestellt UND betrinkst dich nicht am Abend.“
Gunnar sah mich erneut mit hochgezogener Augenbraue an und wusste offensichtlich nicht, WAS ich mit Variablen meinte. Zudem hatte er wieder in meinen Kopf gesehen.
„Genau. W-A-S könnten denn deiner Meinung nach Variablen sein?“
„Woher soll ich das jetzt schon wissen?“ sagte ich musste lachen. Gunnar schüttelte den Kopf und lachte ebenfalls.

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Der Abend, sowie der Morgen waren wenig ereignisreich. Kein Sex. Mir war nicht wirklich danach. Wir waren ohnehin verhältnismäßig früh zu Bett gegangen. Ich war erschöpft gewesen vom gestrigen Tag.
So sehr ich Derek mag, war ich doch überaus glücklich wieder mit Gunnar zu sein. Was ich ihm noch einmal deutlich zu verstehen gab. Nachdem wir uns gefragt hatten, wie so oft, wenn er von wer weiß woher zurück zu mir kam: „Gefickt?“ Selbstredend beantworteten wir diese Frage beide mit „Ja.“ Und.....vergaben einander. Was sonst?