Dienstag, 22. März 2016

Wahre Freundschaft und Vertrauen



Mit den Worten: „Lebst du noch?“, meldete sich Derek bei mir, während ich bis halb zwei Uhr nachmittags die Personalakten durchgegangen war. Ich war gerade dabei mir meinen Mantel über zu werfen, um, wie stets, zum verspäteten Lunch aufzubrechen.
„Ja. Und Du?“, fragte Derek zurück.
„Ich habe gestern an dich gedacht.“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Nur gestern?“ Er lachte.
„Kommst du ins Restaurant? Ich habe noch nicht einmal zu Mittag gegessen.“
„O.k.a.y.“
Derek kam und ich forderte ihn auf, mir vom montäglichen Briefing zu berichten, was er tat. Nichts Besonderes oder wirklich Erwähnenswertes war geschehen, oder gesagt worden, als ich nicht anwesend war. Die wirklich wesentlichen Dinge spielen sich ohnehin nicht in der Öffentlichkeit ab. Gleichwohl eine Abart des Patriarchats. Aus allem wird ein Geheimnis gemacht. Womöglich sollte ich einmal wieder Sarah aufsuchen, um in die Klatsch-Gazetten zu sehen.
Derek erkundigte sich noch, ob Gunnar heute wieder kam.
„Ich weiß es nicht.“, antwortet ich ihm. „Er hat das ganze Wochenende mit mir allein verbracht. Alexa wird sicherlich intervenieren. Daher ist es gut möglich, dass er heute in Stockholm bleibt.“ Derek schien glücklich über diesen Aussage zu sein.
„Und wie hast DU sonst das Wochenende so verbracht?“, fragte ich ihn. Denn ich war neugierig. Konnte mir einerseits seine Aktivitäten gut vorstellen. Andererseits jedoch gleichwohl nicht. Da musste etwas dazwischen sein, das ich noch nicht herausgefunden hatte. Denn so nett konnte Derek nicht nur sein. Das war schlicht und einfach unmöglich. Jeder Mensch hatte zwei Seiten und seine verschiednen Eigenarten. Ich war so wie so der Meinung, dass mir Derek bisher ausschließlich seine Sonnenseite vorgeführt hat. Was wirklich noch in ihm steckt, hat er womöglich nur einmal gezeigt, als......er sich gehen ließ und mit Giselle genoss, was er sich aller Wahrscheinlichkeit nach so oft selbst verwehrt. Er ist immerhin ein Mann.
Ein leichtes Zucken mit den Schultern. „Ich bin nach Stockholm gefahren. Zu meinen Kumpels.“
Ahhh. Ich horchte auf. „Sind es DIE, die nicht mehr hier her kommen dürfen?“
Derek verzog ein wenig das Gesicht. „Ja. Genau die.“
Er senkte den Kopf. Konnte den Blick nicht halten. Ich sah, dass ihm meine Anordnung, seine Freunde und Trinkkumpane vom Zentrum fern zu halten, Unbehagen bereitete. Aber ICH hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Diese Männer hatten hier nichts zu suchen.
Im nächsten Moment dachte ich darüber nach, ob ich noch weiter mit Derek über dieses Thema sprechen sollte. Vielleicht noch einen Satz. Oder war dieser bereits zu viel? Denn ich hatte nicht vor, mich zu entschuldigen. Oder mich ganz und gar für meine Entscheidung und mein Tun rechtfertigen zu müssen. Infolgedessen schwieg ich besser.

An diesem Tag hatte ich mir etwas ganz besonders kochen lassen. Sauerkraut. Eine gute, altdeutsche, traditionelle Speise. Der Koch hatte so seine Schwierigkeiten damit, sie mir SO zuzubereiten, wie ich sie gerne aß. Vor allem, es ohne Fleisch, oder tierische Fett zu kochen. Dieses Mal erlaubte ich ihm ein wenig Wurst hinein zu schneiden. Damit Geschmack entsteht. Wie er sagt.
Normalere Weise stand Sauerkraut nicht auf unserer Speisekarte. Es wurde tatsächlich speziell für mich gekocht. Ich biete hier überwiegend traditionelle, schwedische Speisen an. Selbstverständlich ebenso Vegetarische und vegane, sowie ayurvedische Küche. Gleichermaßen eine kleinere Auswahl aus Speisen unterschiedlicher Länder. Zumeist wird dies zusammengefasst in einer Themen-Woche. Wo es beispielsweise ein größeres Angebot deutscher, australischer, russischer oder auch englischer Spezialitäten gibt. Und an dieser Stelle komme ich zurück auf das Sauerkraut, welches speziell in der deutschen Woche immer bereitgestellt wird. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass man es nur selten verlangt.

Genau genommen war mir nun nicht wirklich danach ins Büro zu gehen. Jedoch ging ich mit Derek zusammen. Womöglich lag es daran, dass ich Imara nicht begegnen wollte. Oder Casandra Fish. Welche offensichtlich ab und an mit meinem Ehemann in einer engeren, intimen Beziehung stand. Jedoch war es in der Tat nichts Ernstes. Soweit vermochte ich die Situation einzuschätzen. Mit Kate war es ähnlich. Sie war, wie Gunnar, Mitglied in dieser Sekte und seine Fick-Freundin. Bei Keshia Berggreen war ich mir nach wie vor nicht sicher. Vielleicht hatte ich das Wissen darüber auch nur verdrängt. Ellen hatte ich schon längst verziehen. Sie outete sich schließlich als Lesbe.
„Hey Kevin! Ich freue mich dich zu sehen.“ Und er tat es offensichtlich auch.
Ein flüchtiger Kuss. Eine Umarmung. Ich beugte mich zu ihm hinunter. (Ich mag (liebe) Kevin noch immer so sehr.)
„Ich habe eine Überraschung für dich.“, sagte ich, ohne zu wissen, ob er sie mochte. Ich sagte dies nur, um ihn zu erfreuen.
Kevin stutzte. „DU hast eine Überraschung für mich? Oh, oh!“
„Hey. Wieso oh, oh?“
„Was ist es denn. Spuck’s schon aus.“
„Isst du gern Sauerkraut?“, fragte ich ihn und wartete auf seine Reaktion.
DAS hatte er nicht erwartet. Er zog die Brauen hoch. „Ja klar! Wäre schön, einmal wieder welches zu essen. Gab schon lange keines mehr.“
„Dann bestelle es im Restaurant. Ich habe welches kochen lassen und Bescheid gesagt, dass du dich meldest.“
Kevin grinste und ich wusste, dass er es schätzte, wenn ich an ihn dachte.
„Flirte nicht so viel mit Kevin.“ Derek mimte den Eifersüchtigen. (Ich fühlte mich ein wenig ertappt.)
„Derek, warum traf ich dich am Wochenende eigentlich nicht, wie sonst, im Restaurant? Normalerweise sehen wir uns dort des Öfteren.“, wechselte ich abrupt das Thema, ohne besondere Grund. Es war mir eben grade nur so eingefallen.
„Oh! Ja. Klar.“
Was sollte das jetzt werden? (Ich ahnte Böses.) Seine offensichtliche Zurückhaltung machte mich aufmerksam. Mein Gesicht verdunkelte sich und ich sah mit zusammen gekniffenen Augen zu ihm hinüber. Kevin schien es ebenso zu bemerken. Denn er beobachtete mich stets genau.
„Meine Mutter gedachte sich in diesem anderen Restaurant, in unserem zweiten Areal, ein wenig umzusehen und die Speisekarte auszutesten.“
„Ah! So. Okay.“ Ich blieb misstrauisch. „Und? Haben ihr die Speisen gemundet?“
„Oh! Ja. Natürlich.“ Derek kam in der Tat ein wenig einsilbig herüber. WAS sollte das? War mein Misstrauen begründet? Sagt mir mein Bauchgefühl, dass da noch etwas anders war, was er mir verschwieg?
Ich ging zu Derek hinüber. Trat direkt vor ihm hin und sah ihm in die Augen. „Und jetzt sagst du mir, was hier nicht stimmt.“
Räusper. Schnauf. Derek reagierte verlegen. Was meinen Verdacht noch zu bestätigen schien.
„Können wir das vielleicht später klären?“, fragte er mich mit einem Seitenblick zu Kevin hinüber.
„Okay. Ich erinnere dich daran.“

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Ich bestellte mir einen Kaffee und bereitete mich auf ein Gespräch mit Imara vor. Denn ich hatte mir im Zuge der Überprüfung der Personalakten vorgenommen, mit ihr noch einmal persönlich zu reden. Mit den anderen verfuhr ich, wie Kevin es mir geraten hatte. Sie bleiben. Behalten ihre Jobs und somit eine Chance auf ein unabhängiges Leben ohne einen Mann. Dieses Zugeständnis gedachte ich mir, in Hinsicht auf eine gewisse Schwesternschaft, zu erlauben. Allerdings hätte ich ebenso gern mit all den anderen muslimischen Frauen, die hier im Zentrum angestellt waren, geredet. Nun, es ist noch nicht aller Tage Abend. Es braucht eben seine Zeit.

Das Gespräch mit Imara brachte mir keine wesentliche Erhellung. Ich erfuhr nichts, was ich nicht wissen sollte. So mein Gefühl. Wirklich offen mir gegenüber, war sie nicht. Was zu verstehen war. Natürlich gestand sie mir, dass sie ihre Religion praktizierte. Jedoch nicht zu streng. Sonst würde sie nicht hier arbeiten dürfen. Sie hätte ohnehin Probleme damit. Würde sich Vorwürfe machen, dass sie die Gebote nicht erfüllt und sie letztendlich in die Hölle kommt.
Bei diesen Worten hätte ich beinahe laut gelacht. Jeder schafft sich schließlich seine eigene Hölle mit seinen eigenen Gedanken. Jedoch diese Tatsache scheint an Religionen, wie beispielsweise dem Islam und insbesondere an Fanatiker, und ebenso an indoktrinierten Frauen, vorüber zu ziehen. Was genau genommen, bei so einer intelligenten Frau, überaus bedauerlich war.
Alles in allem, hat mich das Gespräch NICHT zu einer Entscheidung gebracht.
Okay. Ich werde abwarten, was Gunnar mir über Magnus Karlsson erzählt. Erst dann werde ich mich entscheiden.

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Gunnar kam zum meinem großen Erstaunen bereits gegen fünf.
Mein iPhone hatte geläutet. „Wo bist du denn?“, klang seine Stimme ein wenig ungeduldig.
„Noch im Büro.“, antwortete ich und er kam, um mich dort abzuholen. Somit war für Derek und gleichwohl für mich, die Frage geklärt, WER heute Abend bei mir war.
Derek war selbstredend (abermals!) enttäuscht und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er zu uns herüber sah, als Gunnar mich küsste. Der Ausdruck seiner Augen zeigte Traurigkeit. Es/er tat mir wirklich leid. Dennoch war ich viel lieber mit Gunnar zusammen.

Kein Sex am Abend. Nur Serie schauen. Aber Morgen dann, sogleich nach dem Ausschlafen.
„Warum bleibst du nicht einfach hier.“, fragte ich meinen Ehemann und dachte nicht, dass er meinen Wunsch verwirklichte. Er küsste mich, nahm sein iPhone zu Hand und rief Magnus an. Erkundigte sich bei ihm, ob seine Anwesenheit dringlichst erforderlich war und blieb.
Was für eine Freude er mir damit macht!!!!!!! Einfach (herr-lich) wunderbar!!!!!!!!!!! Zu Fellatio, wie Gunnar es anmerkte, führte es jedoch nicht.
Wir gingen im Spazierschritt glücklich nebeneinander zum Restaurant. Wie ein Paar, welches sich gerade erst frisch verliebt hat. Und dann gleich zurück ins Haus.
Gunnar erledigt mit seinem Tablet noch einige kleine Geschäfte, während ich schreibe. Ansonsten hat er mir versprochen, bis morgen früh bei mir zu bleiben. Und genau genommen hätte er auch Morgen keine Lust zur Arbeit zu gehen. Nach dieser Bemerkung hatte er lauthals gelacht.
„Dein Vater wird mich feuern.“, hatte er noch gesagt. Was ich verneinte.
„Das Wohlergehen seiner Tochter, wird ihm wichtiger sein, als alles andere....nehme ich an.“
„Nehme ich an?“ Er schüttelte lachend mit dem Kopf. „Das klingt nicht gerade vertrauenserweckend.“
„Sorge dich nicht. Du kannst sicherlich mehrere Tage, vielleicht sogar Wochen bei mir bleiben, ohne deinen Job zu verlieren.“ Ich zwinkerte ihm zu.
Gunnar zog eine Grimasse. „Da bin ich aber so was von beruhigt UND glücklich, seine Tochter geheiratet zu haben.“ Er zog mich zu sich heran und drückte mich fest an sich.
Für Themen, wie Magnus Karlsson, blieb mich auch später noch Zeit.
Nun nahm ich gleichwohl mein iPhone zur Hand und rief Kevin, NICHT Derek an. Selbstredend bedauerte er, dass ich nicht beabsichtigte heute ins Büro zu kommen und er mich deshalb nicht sehen würde. Jedoch andererseits hörte ich in seiner Stimme ehrliche Zufriedenheit darüber, dass ich gedachte mich auszuruhen. Und auch Freude darüber, dass ICH glücklich war.
DAS verstehe ich unter wahrhaftiger Freundschaft!