Mit den
Worten: „Lebst du noch?“, meldete sich Derek bei mir, während ich bis halb zwei
Uhr nachmittags die Personalakten durchgegangen war. Ich war gerade dabei mir
meinen Mantel über zu werfen, um, wie stets, zum verspäteten Lunch
aufzubrechen.
„Ja. Und
Du?“, fragte Derek zurück.
„Ich habe
gestern an dich gedacht.“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Nur
gestern?“ Er lachte.
„Kommst du
ins Restaurant? Ich habe noch nicht einmal zu Mittag gegessen.“
„O.k.a.y.“
Derek kam
und ich forderte ihn auf, mir vom montäglichen Briefing zu berichten, was er
tat. Nichts Besonderes oder wirklich Erwähnenswertes war geschehen, oder gesagt
worden, als ich nicht anwesend war. Die wirklich wesentlichen Dinge spielen
sich ohnehin nicht in der Öffentlichkeit ab. Gleichwohl eine Abart des
Patriarchats. Aus allem wird ein Geheimnis gemacht. Womöglich sollte ich einmal
wieder Sarah aufsuchen, um in die Klatsch-Gazetten zu sehen.
Derek
erkundigte sich noch, ob Gunnar heute wieder kam.
„Ich weiß
es nicht.“, antwortet ich ihm. „Er hat das ganze Wochenende mit mir allein
verbracht. Alexa wird sicherlich intervenieren. Daher ist es gut möglich, dass
er heute in Stockholm bleibt.“ Derek schien glücklich über diesen Aussage zu
sein.
„Und wie
hast DU sonst das Wochenende so verbracht?“, fragte ich ihn. Denn ich war
neugierig. Konnte mir einerseits seine Aktivitäten gut vorstellen. Andererseits
jedoch gleichwohl nicht. Da musste etwas dazwischen sein, das ich noch nicht
herausgefunden hatte. Denn so nett konnte Derek nicht nur
sein. Das war schlicht und einfach unmöglich. Jeder Mensch hatte zwei Seiten
und seine verschiednen Eigenarten. Ich war so wie so der Meinung, dass mir
Derek bisher ausschließlich seine Sonnenseite vorgeführt hat. Was wirklich noch
in ihm steckt, hat er womöglich nur einmal gezeigt, als......er sich gehen ließ
und mit Giselle genoss, was er sich aller Wahrscheinlichkeit nach so oft selbst
verwehrt. Er ist immerhin ein Mann.
Ein
leichtes Zucken mit den Schultern. „Ich bin nach Stockholm gefahren. Zu meinen
Kumpels.“
Ahhh. Ich
horchte auf. „Sind es DIE, die nicht mehr hier her kommen dürfen?“
Derek
verzog ein wenig das Gesicht. „Ja. Genau die.“
Er senkte
den Kopf. Konnte den Blick nicht halten. Ich sah, dass ihm meine Anordnung,
seine Freunde und Trinkkumpane vom Zentrum fern zu halten, Unbehagen bereitete.
Aber ICH hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Diese Männer hatten
hier nichts zu suchen.
Im nächsten
Moment dachte ich darüber nach, ob ich noch weiter mit Derek über dieses Thema
sprechen sollte. Vielleicht noch einen Satz. Oder war dieser bereits zu viel?
Denn ich hatte nicht vor, mich zu entschuldigen. Oder mich ganz und gar für
meine Entscheidung und mein Tun rechtfertigen zu müssen. Infolgedessen schwieg
ich besser.
An diesem
Tag hatte ich mir etwas ganz besonders kochen lassen. Sauerkraut. Eine gute,
altdeutsche, traditionelle Speise. Der Koch hatte so seine Schwierigkeiten
damit, sie mir SO zuzubereiten, wie ich sie gerne aß. Vor allem, es ohne
Fleisch, oder tierische Fett zu kochen. Dieses Mal erlaubte ich ihm ein wenig
Wurst hinein zu schneiden. Damit Geschmack entsteht. Wie er sagt.
Normalere
Weise stand Sauerkraut nicht auf unserer Speisekarte. Es wurde tatsächlich
speziell für mich gekocht. Ich biete hier überwiegend traditionelle,
schwedische Speisen an. Selbstverständlich ebenso Vegetarische und vegane, sowie ayurvedische
Küche. Gleichermaßen eine kleinere Auswahl aus Speisen unterschiedlicher
Länder. Zumeist wird dies zusammengefasst in einer Themen-Woche. Wo es
beispielsweise ein größeres Angebot deutscher, australischer, russischer oder
auch englischer Spezialitäten gibt. Und an dieser Stelle komme ich zurück auf
das Sauerkraut, welches speziell in der deutschen Woche immer bereitgestellt
wird. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass man es nur selten
verlangt.
Genau
genommen war mir nun nicht wirklich danach ins Büro zu gehen. Jedoch ging ich
mit Derek zusammen. Womöglich lag es daran, dass ich Imara nicht begegnen
wollte. Oder Casandra Fish. Welche offensichtlich ab und an mit meinem Ehemann
in einer engeren, intimen Beziehung stand. Jedoch war es in der Tat nichts
Ernstes. Soweit vermochte ich die Situation einzuschätzen. Mit Kate war es
ähnlich. Sie war, wie Gunnar, Mitglied in dieser Sekte und seine Fick-Freundin.
Bei Keshia Berggreen war ich mir nach wie vor nicht sicher. Vielleicht hatte ich das Wissen
darüber auch nur verdrängt. Ellen hatte ich schon längst verziehen. Sie outete
sich schließlich als Lesbe.
„Hey
Kevin! Ich freue mich dich zu sehen.“ Und er tat es offensichtlich auch.
Ein
flüchtiger Kuss. Eine Umarmung. Ich beugte mich zu ihm hinunter. (Ich mag
(liebe) Kevin noch immer so sehr.)
„Ich habe
eine Überraschung für dich.“, sagte ich, ohne zu wissen, ob er sie mochte. Ich
sagte dies nur, um ihn zu erfreuen.
Kevin
stutzte. „DU hast eine Überraschung für mich? Oh, oh!“
„Hey. Wieso oh, oh?“
„Was ist
es denn. Spuck’s schon aus.“
„Isst du
gern Sauerkraut?“, fragte ich ihn und wartete auf seine Reaktion.
DAS hatte er
nicht erwartet. Er zog die Brauen hoch. „Ja klar! Wäre schön, einmal wieder
welches zu essen. Gab schon lange keines mehr.“
„Dann
bestelle es im Restaurant. Ich habe welches kochen lassen und Bescheid gesagt,
dass du dich meldest.“
Kevin grinste
und ich wusste, dass er es schätzte, wenn ich an ihn dachte.
„Flirte
nicht so viel mit Kevin.“ Derek mimte den Eifersüchtigen. (Ich fühlte mich ein wenig ertappt.)
„Derek,
warum traf ich dich am Wochenende eigentlich nicht, wie sonst, im Restaurant? Normalerweise
sehen wir uns dort des Öfteren.“, wechselte ich abrupt das Thema, ohne besondere
Grund. Es war mir eben grade nur so eingefallen.
„Oh! Ja.
Klar.“
Was sollte
das jetzt werden? (Ich ahnte Böses.) Seine offensichtliche Zurückhaltung machte
mich aufmerksam. Mein Gesicht verdunkelte sich und ich sah mit zusammen
gekniffenen Augen zu ihm hinüber. Kevin schien es ebenso zu bemerken. Denn er
beobachtete mich stets genau.
„Meine
Mutter gedachte sich in diesem anderen Restaurant, in unserem zweiten Areal,
ein wenig umzusehen und die Speisekarte auszutesten.“
„Ah! So.
Okay.“ Ich blieb misstrauisch. „Und? Haben ihr die Speisen gemundet?“
„Oh! Ja.
Natürlich.“ Derek kam in der Tat ein wenig einsilbig herüber. WAS sollte das?
War mein Misstrauen begründet? Sagt mir mein Bauchgefühl, dass da noch etwas
anders war, was er mir verschwieg?
Ich ging
zu Derek hinüber. Trat direkt vor ihm hin und sah ihm in die Augen. „Und jetzt
sagst du mir, was hier nicht stimmt.“
Räusper. Schnauf.
Derek reagierte verlegen. Was meinen Verdacht noch zu bestätigen schien.
„Können
wir das vielleicht später klären?“, fragte er mich mit einem Seitenblick zu
Kevin hinüber.
„Okay. Ich
erinnere dich daran.“
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Ich
bestellte mir einen Kaffee und bereitete mich auf ein Gespräch mit Imara vor.
Denn ich hatte mir im Zuge der Überprüfung der Personalakten vorgenommen, mit
ihr noch einmal persönlich zu reden. Mit den anderen verfuhr ich, wie Kevin es
mir geraten hatte. Sie bleiben. Behalten ihre Jobs und somit eine Chance auf
ein unabhängiges Leben ohne einen Mann. Dieses Zugeständnis
gedachte ich mir, in Hinsicht auf eine gewisse Schwesternschaft, zu erlauben.
Allerdings hätte ich ebenso gern mit all den anderen muslimischen Frauen, die
hier im Zentrum angestellt waren, geredet. Nun, es ist noch nicht aller Tage
Abend. Es braucht eben seine Zeit.
Das
Gespräch mit Imara brachte mir keine wesentliche Erhellung. Ich erfuhr nichts,
was ich nicht wissen sollte. So mein Gefühl. Wirklich offen mir gegenüber, war
sie nicht. Was zu verstehen war. Natürlich gestand sie mir, dass sie ihre Religion praktizierte.
Jedoch nicht zu streng. Sonst würde sie nicht hier arbeiten dürfen. Sie hätte
ohnehin Probleme damit. Würde sich Vorwürfe machen, dass sie die Gebote nicht
erfüllt und sie letztendlich in die Hölle kommt.
Bei diesen
Worten hätte ich beinahe laut gelacht. Jeder schafft sich schließlich seine
eigene Hölle mit seinen eigenen Gedanken. Jedoch diese Tatsache scheint an
Religionen, wie beispielsweise dem Islam und insbesondere an Fanatiker, und ebenso an indoktrinierten Frauen,
vorüber zu ziehen. Was genau genommen, bei so einer intelligenten Frau, überaus
bedauerlich war.
Alles in
allem, hat mich das Gespräch NICHT zu einer Entscheidung gebracht.
Okay. Ich
werde abwarten, was Gunnar mir über Magnus Karlsson erzählt. Erst dann werde ich mich
entscheiden.
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Gunnar kam
zum meinem großen Erstaunen bereits gegen fünf.
Mein
iPhone hatte geläutet. „Wo bist du denn?“, klang seine Stimme ein wenig
ungeduldig.
„Noch im
Büro.“, antwortete ich und er kam, um mich dort abzuholen. Somit war für Derek
und gleichwohl für mich, die Frage geklärt, WER heute Abend bei mir war.
Derek war selbstredend
(abermals!) enttäuscht und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er zu uns herüber
sah, als Gunnar mich küsste. Der Ausdruck seiner Augen zeigte Traurigkeit.
Es/er tat mir wirklich leid. Dennoch war ich viel lieber mit Gunnar zusammen.
Kein Sex
am Abend. Nur Serie schauen. Aber Morgen dann, sogleich nach dem Ausschlafen.
„Warum
bleibst du nicht einfach hier.“, fragte ich meinen Ehemann und dachte nicht,
dass er meinen Wunsch verwirklichte. Er küsste mich, nahm sein iPhone zu Hand
und rief Magnus an. Erkundigte sich bei ihm, ob seine Anwesenheit dringlichst erforderlich
war und blieb.
Was für
eine Freude er mir damit macht!!!!!!! Einfach (herr-lich) wunderbar!!!!!!!!!!!
Zu Fellatio, wie Gunnar es anmerkte, führte es jedoch nicht.
Wir gingen
im Spazierschritt glücklich nebeneinander zum Restaurant. Wie ein Paar, welches
sich gerade erst frisch verliebt hat. Und dann gleich zurück ins Haus.
Gunnar erledigt
mit seinem Tablet noch einige kleine Geschäfte, während ich schreibe. Ansonsten
hat er mir versprochen, bis morgen früh bei mir zu bleiben. Und genau genommen
hätte er auch Morgen keine Lust zur Arbeit zu gehen. Nach dieser Bemerkung
hatte er lauthals gelacht.
„Dein
Vater wird mich feuern.“, hatte er noch gesagt. Was ich verneinte.
„Das
Wohlergehen seiner Tochter, wird ihm wichtiger sein, als alles andere....nehme
ich an.“
„Nehme ich
an?“ Er schüttelte lachend mit dem Kopf. „Das klingt nicht gerade vertrauenserweckend.“
„Sorge
dich nicht. Du kannst sicherlich mehrere Tage, vielleicht sogar Wochen bei mir
bleiben, ohne deinen Job zu verlieren.“ Ich zwinkerte ihm zu.
Gunnar zog
eine Grimasse. „Da bin ich aber so was von beruhigt UND glücklich, seine
Tochter geheiratet zu haben.“ Er zog mich zu sich heran und drückte mich fest
an sich.
Für
Themen, wie Magnus Karlsson, blieb mich auch später noch Zeit.
Nun nahm
ich gleichwohl mein iPhone zur Hand und rief Kevin, NICHT Derek an. Selbstredend
bedauerte er, dass ich nicht beabsichtigte heute ins Büro zu kommen und er mich
deshalb nicht sehen würde. Jedoch andererseits hörte ich in seiner Stimme
ehrliche Zufriedenheit darüber, dass ich gedachte mich auszuruhen. Und auch
Freude darüber, dass ICH glücklich war.
DAS
verstehe ich unter wahrhaftiger Freundschaft!