Sonntag, 8. September 2013

Alles so vertraut


Ich war so lange Zeit nicht in diesem Teil der Erde. Hatte es stets vermieden. Denn, so berauschend ist es hier nicht.
Wir wohnen hier in einem abgeschlossenen Sektor. Mit eigenem Sicherheitsdienst und Kameras. Ich wurde als Wanjas Ehefrau eingeschrieben und bekam einen Ausweis, welchen ich bereits einige Male vorzeigen musste. Viel mehr vermag ich darüber nicht zu berichten. Alldieweil mir Wanja nahe legte, über die hier herrschenden Gegebenheiten still zu schweigen.  
Die Menschen hier, sind ohnehin allesamt paranoid.
Jedoch ist es ein gutes Sicherheitskonzept. Andererseits vermag ich nicht zu sagen, ob man es so ohne weiteres auf ein spirituelles Zentrum übertragen kann.

Genau genommen lebt Wanja jetzt in Kalifornien. Besitzt dort ein Anwesen. Ist jedoch derzeit geschäftlich in Moskau unterwegs. Seine Heimat liegt allerdings in einem anderen Teil des russischsprachigen Territoriums.

Wanja ist überaus und ungewohnt großzügig. Macht das Unmögliche (mittels finanzieller Mittel) möglich und kauft mir alles, was ich benötige. Legt mir seine Kreditkarten erstaunlicher Weise ohne Argwohn auf den Tisch. Zu meiner freien Verfügung.
Meine Medikamente waren innerhalb von Stunden verfügbar.
Erstaunlich!
Innerhalb des Areals sind zahlreiche Geschäfte (магазин). Einige davon besuchte ich bereits. Ebenso das Nagelstudio und die Kosmetikerin (косметолог). Denn Wanja folgt derzeit konsequent und diszipliniert seinem gestrengen Tages- und Trainingsplan. Meine Anwesenheit ist in diesem Fall für ihn nicht von Belang.


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Alles an Wanja ist mir sssoooo überaus vertraut, und Wanja ergeht es selbstredend  ebenso.
Trotz alledem bedarf es einiger Zeit, mich hier einzugewöhnen. Wanja selbst plant bis zum 6. Oktober hier zu bleiben. Was ich wahrscheinlich nicht einmal erwähnen sollte.
Selbstredend schliefen wir bereits miteinander. Auf Wanjas ganz eigene Art. Er liebt es seine Hände zu benutzen. Besonders während des Vorspieles. Denn sein Penis ist groß, dick und massig. Bereitet mir Schmerzen, wenn er in mich eindringt. Was schon immer eines der Probleme gewesen war. Jedoch im Augenblick ist meine Lust auf Wanja so groß, dass ich den anfänglichen Scherz kaum spüre. Er weiß natürlich, was zu tun ist, um mir Pein zu ersparen.


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Mein iPhone ist ausgeschaltet. Ich habe nicht die Absicht im Augenblick mit jemanden zu reden. Nicht einmal mit Kevin, welcher ebenso wie alle anderen seinen eigenen Weg auch ohne mich geht.
Es bleibt ohnehin kaum Zeit über Vergangenes nachzudenken. Dennoch reflektiere ich häufig über Gunnar, sein Verhalten und das, was seine Mutter erwähnte.
Wie viele „alte Lasten“ muss er mit sich schleppen? Wie tief muss vergangener Schmerz und Gram sitzen? Umso erstaunlicher ist es, dass er es so lange Zeit vor mir verbergen  konnte? Und möglicherweise sogar vor sich selbst. Nun, andere Menschen brauchen zuweilen Jahrzehnte, um sich ihren Dämonen zu stellen. Nur ist es nicht meine Aufgabe des seinen zu begegnen.
Im Laufe unserer gemeinsamen Zeit veränderte er sich und es traten so viele Hässlichkeiten zu Tage, wie ich sie nicht erwartet hätte.
Mein leuchtender, weiser Gunnar. Der Kluge, wissende Beschützer, der auf mich achtete und Geborgenheit geben sollte, wandelte sich.
Wieder und wieder versuchte ich durch die rosaroten Brillen der Liebenden Ehefrau nur das Gute zu sehen. Es musste doch einen Weg geben mit ihm zusammen zu leben. Er ist doch mein Seelenpartner. Alles andere zählt doch nicht. Oder?

Er lud in der Tat gleichwohl so viel Last auf seine Schultern, dass er sie nicht zu tragen vermochte. Die Leitung des Zentrums. Wobei er alsbald bemerkte, dass er dieser Aufgabe nicht wirklich gewachsen war. Aus diesem Grund stellte er Dahl Lindqvist ein.
Seine Lust aufs Modeln und eine eigene Karriere. Die uns letztendlich für den Augenblick entzweite.
Mit den Russen wurde weder er, noch jemand anderes fertig. Wie demütigend muss es da für Gunnar gewesen sein, dass ein Anruf von mir bei Wanja genügte, um deren Rückzug zu veranlassen.
Das Ringen mit seinen Neigungen muss ihm gleichermaßen unheimlich viele Seelenqualen bescheren.
Es ist ihm nicht möglich allem gerecht zu werden, und ER allein, scheint damit nicht fertig zu werden. Steuerte stattdessen in einen burnout. Oder ähnliches. Zumindest benahm er sich so.
Und welche Wahrheit hat er Christine über die Zeit in der Sekte erzählt, die er mir verschwieg?
Im Grunde war Gunnar ein zwar magisches, aber armes Würstchen. Wo ich doch vermuten könnte, dass er mich ausschließlich für den Traum seiner Mutter von einem spirituellen Zentrum heiratete.
Offensichtlich vermochte er auf längere Sicht sein wahres Ich, seine Unzulänglichkeiten und seine inneren Kämpfe mit sich selbst, nicht mehr verbergen.
Liebe hin oder her.
WAS in der Götter Namen soll ich nun mit diesem (Ehe-)Mann tun?
Ihn so nehmen wie er ist und schlicht und einfach mit ihm so weiter leben wie bisher? Alles ertragen. Ihm helfen? Gemeinsam mit ihm diese schwierige Zeit überstehen.
Oder sollte ich mich scheiden lassen?
Ich vermute, dass mein weiteres Handeln von Gunnars nächsten Schritten abhängig sein wird.