Samstag, 28. September 2013

Träume und Kämpfe



Christine bestellte mir einen Roibusch Tee. Er würde mir gut tun. Sagte sie und sah mich forschend an.
Ich hatte nicht die Absicht auf ihre durchdringenden Blicke einzugehen. Oder mich ganz und gar zu rechtfertigen. Denn ich vermutete, dass es ihr nicht entgangen war, dass ich die letzte Nacht nicht in unserem Haus verbracht hatte.
Nach dem Lunch ging ich allein und gemächlich zum Haus. Ich war, wie stets nach dem speisen, ziemlich erschöpft und setzte mich auf die Couch. Döste vor mich hin schlief letztendlich ein, währenddessen ein Hörbuch lief. Als ich aufwachte, war es bereits halb fünf.
Ich dachte an Gunnar. Wollte ihn anrufen. Jedoch ein Gedanke folgte dem anderen und ich ergab mich allen in mir aufsteigenden destruktiven Gefühlen, die mit Gunnar  und meinem Leben an sich einhergingen. Ein Anflug von Depression schien mich zu durchziehen, welchem ich genau genommen nicht bereit war nachzugeben. Aber ich tat es dennoch und streifte durch mein derzeitiges Leben. Wurde wütend und traurig. Besonders darüber, dass sich ausgerechnet MIR diese vermaledeite Krankheit bemächtigen musste. Mit all den Schmerzen, Problemen und Schwierigkeiten, die sich bisher für mich daraus ergaben.
Wut und noch mehr Wut stieg in mir auf. Ich schlug mit beiden Fäusten auf das dunkle Leder der Couch neben mir. „Nein!!“, schrie ich laut. „NEIN!“ Ich werde NIEMALS in einem Rollstuhl sitzen! Ich werde IMMER gehen und Treppen steigen können! ICH werde NICHT aufgeben!
Ich beschloss mich zu wehren.
Kurze Zeit darauf verwarf ich es wieder. Ich schnaufte vor Zorn und fasste neuen Mut. Presste noch einmal einen lauten Schrei aus meiner Kehle, der von ganz unten, tief aus meinem Inneren kam und ich bemerkte die Anspannung der Kraft, die ihm folgte. Nein! Ich, Rea, würde nicht aufgeben. Basta!
Noch eine Weile saß ich so, während die Bilder verschiedener Zukünfte vor meinem inneren Auge wie in einem Kinofilm an mir vorüber zogen. Kam dann zu mir und dachte an Gunnar.
Ich musste ihn dringlichst anrufen.


Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es ihm gut ging, stieg ich umgehend in meinen Wagen, fuhr zu ihm und blieb bei ihm bis gegen zehn Uhr abends.
Gunnar sorgte sich. Dachte. Es fiele mir schwer des nächtens zurück zum Zentrum zu fahren. Aber ich hatte es nicht weit zu Troels Wohnung.

Troels wartete bereits. Runzelte die Stirn, als ich zur Tür herein trat. Fragte jedoch nicht weiter nach. Ich sah mich ebenso wenig in Erklärungszwängen. Vermutete schlicht und einfach, dass er sich ebenfalls um mich sorgte.
Nachdem ich Schuhe und Kleidung abgestreift hatte, duschte ich kurz und setzte mich dann zu ihm auf die Couch.
Er war nicht viel früher als ich hier angekommen. Wie er mir berichtete.
„Magst du einen Tee?“, fragte er, lächelte mir von der Seite zu, küsste mich auf die Wange, stand auf und bereitete ihn zu.
Wir sahen noch lange fern. Bis nach Mitternacht und waren beide so erschöpft, dass wir an intimen Aktivitäten keinerlei Interesse mehr hatten.

Als ich mich heute Morgen bereits zum weggehen herrichtete, hatte er sich abgewendet und ich war mir sicher eine Traurigkeit in seinen Augen wahrgenommen zu haben. Möglicherweise dachte er, dass ich ausschließlich zum Schlafen zu ihm kommen würde, und mir vielleicht besser ein Hotelzimmer hätte mieten, oder gleich bei meinem Ehemann hätte bleiben sollen.

Ich hatte von Gunnar geträumt, diese Nacht. Er hatte mich gerettet.
Irgendein alter Mann war hinter mir her gewesen. Überall waren nur Mauern und verschlossene Türen. Gunnar hatte mir die Hand gereicht und mich zu sich nach oben gezogen.
Um Troels Willen beklagte ich selbstredend meinen raschen Aufbruch. Aber ich gedachte so schnell wie möglich wieder bei meinem Ehemann zu sein.
Wir Frühstückten in aller Kürze und ich fuhr zum Krankenhaus.

Als ich schwungvoll und gut gelaunt das Zimmer betrat, hielt ich abrupt in meiner Bewegung inne. Mein Lächeln gefror. Fiel in sich zusammen und ich, gleich hinterher. Denn da stand Elena an Gunnars Bett. Lachte und scherzte mit ihm.
Ich funkelte die beiden an. Sah wie Gunnar etwas zu mir sagte und mich mit einer Handbewegung zu sich winkte. Verstand jedoch nichts. Wollte, konnte nichts verstehen.
Ich drehte mich um, verließ das Zimmer und schlug die Tür. Rannte den Flur entlang. Wartete nicht einmal auf einen Fahrstuhl. Sondern benutze sogleich das Treppenhaus. Rannte zum Wagen und fuhr zurück zu Troels.

Troels saß mit seinem Notebook auf der Couch und sah mich erstaunt an, als ich die Tür öffnete.
„Das war aber ein kurzer Besuch.“, bemerkte er beinahe belustigt und ich konnte sehen, wie ein schnelles Lächeln über sein Gesicht huschte. „Was ist passiert?“, fragte er jedoch dann mit ernster Stimme.
Ich sah ihn missbilligend an. Wollte ihm nicht wirklich auf seine Frage antworten. Sagte aber dann nur ein einziges Wort: „Elena.“
„Aha. Und?“ Er hatte die Arme zur Hälfte ausgebreitet, die Handflächen nach außen gedreht und sah mich fragend an.
Ich antwortete nicht. Ging stattdessen zur Küchenzeile um mir einen Tee zuzubereiten.
„Du bist doch nicht etwa weggelaufen?“
Troels schien sich nun wieder darüber zu amüsieren.
Ich schnaufte wurde wütend.
„Wieso tust du das?“, fragte ich dann.
„W-a-s tue ich denn?“
„Erheitert dich mein Verhalten etwa? Ich kann genau so gut wieder gehen.“
„Hey, hey, hey. Jetzt mal langsam.“, sagte Troels und Bedauern schwang in seiner Stimme. Er klopfte mit der Hand neben sich auf die Couch und forderte mich auf sich neben ihn zu setzen.
„Ich wollte doch nur damit sagen, dass es feige ist, einem anderen, oder einer anderen ohne Kampf das Feld zu überlassen.“ Er lebte seinen Arm um meine Schulter und drückte mich an sich. „Ich bin doch um jede einzelne Minute glücklich, die du bei mir bist.“