Samstag, 7. September 2013

Gunnars tausend Gesichter – und wieder von Mann zu Mann




Alles ist okay.
Aber stimmt das wirklich?
Sein diary zu belügen wäre, als würde man sich selbst betrügen.
Es ist nicht alles okay.
Oder möglicherweise doch??


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Schneller als ich es dachte erinnerte ich mich an meinen Ehemann und genoss seine Zärtlichkeiten. Gleichwohl mich die Eifersucht und der Gedanke an andere Frauen, mit denen er zusammen gewesen sein konnte innerlich zerfraß. Was ich weg wischte. In Grund und Boden trat. In die alle letzte Ecke meines Herzens, hinter tausend Türen verbannte.
Beinahe genau so schnell, wie ich mich an meinen Ehemann, welchen ich zweifelsfrei über alles liebe, so wie er mich,  gewöhnte, scheine ich Troels vergessen zu haben.
Aber das stimmt nicht.


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Gunnar war den ganzen Morgen bei Christine im Office, und ich mit meinem Notebook.
Noch davor, so gegen fünf, während ich noch schlief, hatte er mit Adam und Marie geskypt. Es war sein Wunsch Inula Castanes und Óðinn Aron zu sehen, und er wollte, dass die Kinder ihren Vater zu Gesicht bekommen.


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Gleich nach dem Lunch begab sich Gunnar erneut an die Arbeit. Da war selbstredend eine ganze Menge nachzuholen.
Gegen vier kam er kurz zu mir und ging dann zu Taylor, Paul und Chris.
Es war nicht einmal eine Stunde vergangen, als zu mir zurückkam. Was mich verwunderte. Er setzte sich zu mir, legte den Arm um meine Schulter und begann mit mir über meine Gesundheit zu reden. Das ich meine Bauchmuskulatur regelmäßig entspannen müsse, es gut wäre, mit den Speisen zu experimentieren, und vor allem müsse ich meine Mahlzeiten in aller Ruhe einnehmen. Nicht dabei fernsehen oder am Notebook sitzen. Ebensowenig mich während des Essens in aufregende Gespräche vertiefen...usw...
Urplötzlich sank er zu Boden. Kniete vor mir nieder. Umklammerte meine Beine und brach in Tränen aus. “Es tut mir leid! Es tut mir alles so schreklich leid. Es ist meine Schuld.”
“W-a-s ist deine Schuld?”. Fragte ich stotternd. Alldieweil ich nicht wusste, worauf das ganze hinauslief.
Er schluchzte. “Du hattest Recht mit deinen Vermutungen. Ich sah sie in deinem Kopf. Ich landete tatsächlich bereits am Mittwochabend in Stockholm.”
Ich sah ihn an und mein Atem stockte. Mein Mund blieb offen stehen. Ich wartete jedoch. Sagte kein Wort, denn ich sah, dass er weiter sprechen wollte.
“Ich gedachte Elena nur kurz aufzusuchen. Aber sie warf sich mir an den Hals. Bost sich mir an. Ließ mir keine Ruhe, bis”, er hielt kurz inne und sein Tränen gefüllter Blick streifte die Meinen, “ich nachgab und ich mit ihr fickte.”
Ich schluckte. “J-a, und weiter?”
“Das Treffen mit Siv war bereits vereinbart.”
Dieser Satz brachte mich in der Tat zum Hüsteln.  
“Anschließend ging ich zu ihr. Es gab eine Sesion mit ihren Schwestern. Ich blieb bei ihr bis zum nächsten Tag und kam dann hier her zu dir.” Seine Stimme, sowie sein Kopf senkten sich. Er blickte vor sich auf den Boden. Kaute auf seiner Lippe und atmete schwer.
Ich wusste es. Meine Vermutungen erwiesen sich tatsächlich als richtig. Daher war ich nicht wirklich überrascht ob seines Geständnisses. Jedoch, was meinte er mit “Schuld”?
Sein Kopf sank erneut auf meine Kniee. Ich strich ihm (verständnidvoll) mit der Hand über das blonde, glänzende Haar. “Was meintest du mit Schuld?”
Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. “Es ist meine Schuld, dass du an andere Männer denkst und das du bei Troles gewesen warst.”
Damit hatte er vollkommen Recht. Dachte ich so. Formulierte jedoch ein Wort mit meinem Tonfall zu einer Frage.
“Troels?”  Meine Vermutungen schienen sich in diesem Fall ebenso zu bestätigen. Er wusste Bescheid.
“Natürlich .”, sagte er und antwortete so auf DAS, was ich soeben dachte. “Dein Kopf war voll von ihm. Du hast ihn gesucht. Nicht wahr. Ist er jetzt als Politiker wieder reizvoll für dich.”
Er schien alles zu wissen. Daher fragte ich nicht weiter nach. Versuchte zu realisieren, was hier eigentlich lief und entwickelte Strategien in meinem Kopf. Doch vorerst, hielt ich den Mund. Aber genau genommen, hätte ich ebenso alles ausplaudern können, denn er sah meine Verwirrung. Bis es mir dämmerte, das der Masochismus in Gunnar durchgebrochen sein musste. Er wollte von mir Bestrafung. Aber welche??
Möglicherweise war genau DAS die Strafe, die er wollte, dass ich gelegentlich ebenso einen anderen Mann aufsauchte. Nur, lief dies mit seiner Aussage, dass er mich liebe und eifersüchtig auf andere Männer sei, in keinster Weise konform.
Welche verschlungenen Pfade bahnten sich da einen Weg aus Gunnars Kopf?
Ich verstand nun überhaupt nichts mehr.
Waren es masochistische Launen? Stimmungen? Kapriolen, die er selbst nicht vorhersehen konnte? Die sich spotan ihren Weg nach außen bahnten?
Ich leugnete nichts. Versuchte ihm jedoch zu erklären, dass seine zunehmende Abwesenheit Schuld daran sei. „Es liegt nicht daran, dass ich Quitt pro Quo dir alles heimzuzahlen gedenke“. Ich erklärte ihm, dass ich viel lieber MIT ihm zusammen wäre.
Er Stand auf und schien wütend zu werden. Entgegnete, dass man schließlich nicht beständig aufeinander hocken müsse.
Mit einem Mal sprach er Wanja und den plötzlichen Rückzug der Russen aus unserem Zentrum an. Fragte, was ICH dafür hätte tun müssen. Gleich anschließend erkundigte er sich nach Ian und Kevin. Er schien in diesem Augenblick über die Maßen eifersüchtig zu sein.
Er wiedersprach sich forwährend. Redete von Siv. Schwor, dass er nichts für sie empfand. Bemängelte jedoch im gleichen Atemzug, dass ICH nicht bereit wäre, seinen Neigungen zu folgen. Sogar Felicio sprach er an, und dass ich ihn seinetwegen damals am Altar hätte stehen lassen.
Alles, alles wurde auf den Tisch gepackt. Nur wofür??? Hatten wir das nicht bereits hinter uns gelassen?
Im Grunde vermochte ich nicht zu sagen, was er eigentlich von mir wollte!
Gunnar stand einige Meter von mir entfernt. Kaute an seinen Nägeln und warf mir von Weitem einen Blick zu, den ich mit Nichen zu deuten vermochte.
Am Ende ging er wortlos aus dem Haus, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.


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Ich war wütend. Verwirrt. Wusste nicht, was ich tun sollte.
Genau genommen kam mir der Gedanke es Gunnar gleich zu tun. In meinen Wagen zu steigen und zu Troels zu fahren. Jedoch tat ich vorerst das Vernünftigste, was ich tun konnte und ging zu Christine. Ich erzählte ihr freimütig, was geschehen war und fragte SIE, ob sie wüsste, was das zu beheuten hätte. Sie zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich denn schon, in welche Richtung Gunnars Gehirn während seines Aufenthaltes in der Sekte verdreht wurde.“ Sie sah mich an und ich wusste, dass sie log. Ihre Finger trommelten nervös auf den Tisch vor ihr. Sie drehte mir den Rücken zu und sah schweigend aus dem Fenster.
Was nun? War das etwas alles, was sie zu sagen hatte? Sollte ich etwa gehen?
„Alles scheint eine Last auf seinen Schultern, die ihn erdrückt.“, sprach sie weiter ohne sich mir zuzuwenden. „Die Erlebnisse in dieser Sekte müssen traumatisch gewesen sein, dass sie ihn so derart veränderten.“
„Traumatisch?“, fragte ich mit Zweifel und Unverständnis in der Stimme. „Wie kann fortwährendes Ficken nach Wahl traumatisch sein?“
Christine drehte sich jetzt zu mir um und sah mich vorwurfsvoll an. „Er wurde dazu  gezwungen.“
Nun war ich in der Tat verwundert. Was hatte er ihr davon erzählt? Und was mir? Hatte Gunnar für jede eine andere Wahrheit?
Was in der Götter Namen war mein Ehemann eigentlich?
Bisexuell? Ein Masochist? Ein Lügner? Ein Betrüger? Liebte er mich tatsächlich so sehr, wie er behauptete? Oder war alles nur eine Farce?
Was es mein Geld? Sein Ego? Der Wunsch seiner Mutter nach einem spirituellen Zentrum?
In diesem Augenblick stellte ich alles in Frage.

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Es ging mir nicht Gut. Ich hätte Gunnar an meiner Seite dringlichst benötigt. Jedoch war ER nicht bei mir, und ich wusste ebenso wenig WO er sich aufhielt. Bis, nun, bis ich nach einiger Zeit eine kurze SMS von ihm bekam, in der er mir mitteilte, dass ich mich nicht sorgen müsse. Er wäre nur so verzweifelt und von Sinnen gewesen. Die Last zu groß. (Welche Last???) Es tue ihm leid und er würde in Kürze nach Hause kommen. Wäre nur ziellos mit dem Wagen durch die Gegend gefahren. Nicht mehr.
Er kam nicht.
  

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Es war bereits dunkel, als ich in meinen Wagen stieg und auf die Straße nach Stockholm abbog. Mein Magen knurrte. Ich hatte bis dato vor Aufregung noch nicht einmal etwas gegessen.
Wie sollte man denn unter derartigen Umständen gesünder werden?!


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Ich hatte es mir in Troels Wohnung gemütlich gemacht. Fühlte mich beinahe wie zu Hause (??). Hatte geduscht und mir eines von Troels Hemden übergezogen. Mir Speisen aus einem nahe liegendem Restaurant kommen lassen und lenkte mit dem Schreiben des diarys meine Gedanken in andere Bahnen. Ich hoffte dadurch ruhiger zu werden. Es war zweifelsfrei nicht vorteilhaft für meine Gesundheit, beständig in dieser Anspannung zu bleiben.

Troels war einigermaßen überrascht, als er gegen zehn seine Wohnung betrat und mich darin vorfand. Denn, er war nicht allein.
Eine großbusige Frau mit dunklen, langen Haaren, Anfang oder Mitte vierzig war bei ihm. Als sie mich erblickte, schlief ihr förmlich das Gesicht ein und sie nahm eine hör- und sichtbar trotzige Haltung ein.
Troels kam freudestrahlend auf mich zu und küsste mich. Die Frau kochte vor Wut. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Er stellte sie mir als seine Kollegin vor, sagte, dass sie noch zu arbeiten hätten und entschuldigte sich dafür.
„Okay. Kein Problem.“, antwortete ich und legte meine nackten Beine vor mir auf den Tisch. Troels grinste.
Ich hatte nicht vor für diese Birgitte Skovgaar „das Feld“ zu räumen. Obgleich ich gestehen muss, dass sich da erneut in meinem Bauch ein Gefühl der Eifersucht meldete, und ich hatte mehr als eine Stunde Zeit es zu nähren. Meine anfängliche Überlegenheit schrumpfte auf ein kaum mehr sichtbares Maß. Denn so nach und nach wurde mir bewusst, dass diese Frau in den Jahren von Troels ehrenamtlicher Parteiarbeit zur Genüge Gelegenheiten hatte, ihm näher zu kommen.
War da tatsächlich etwas zwischen ihnen? Hatten sie heute etwa doch nicht nur arbeiten wollen?
Es dauerte länger als eine Stunde, bis diese Frau widerwillig die Wohnung verließ. In dieser Zeit beging ich einen Fehler (?), der nun vorerst nicht wieder gut zu machen ist. Ich sprach mit Wanja.


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Wir waren beide erschöpft. Troels und ich. Gingen rasch zu Bett und schliefen sogleich ein. Doch vorher hatte ich den Signalton meines iPhon auf zwei Uhr eingestellt.
Natürlich sprachen wir vorher kurz über die Geschehnisse mit Gunnar und warum ich heute hier bei ihm war. 
Infolge unseres Gespräches hatte Troels Hoffnung geschöpft, dass ich bei ihm blieb. Endgültig. Versteht sich.
Jedoch war er mir noch immer zu alt für eine wirklich feste Beziehung. Politiker hin oder her.



Wanja hatte die Gelegenheit meiner Unsicherheit, meiner Zweifel an allem und meiner Eifersucht auf alles genutzt um mich zu überreden zu ihm zu kommen. Ich hatte sein Angebot angenommen. Gab jedoch zu bedenken, dass ich zum Zentrum zurückfahren müsse, um Kleidung und Medikamente zu holen. Er hingegen meinte, dass dies nicht nötig sei und dass er mir alles was ich benötige sogleich nach Ankunft kaufen würde. Gleichgültig, was es sei. Ich stimmte schnaufend zu. Rief aber zumindest bei Sarah an, welche ich Mitten in der Nacht zu meinem Haus beorderte, um nachzusehen, ob Gunnar nun doch wieder zurückgekommen sei oder nicht.
Es dauerte etwa fünfzehn Minuten, als sie zurückrief und verneinte.
Gunnar war noch immer nicht zu Hause. Ich war enttäuscht. Frustriert und traurig.
Mit einem flauen Gefühl im Magen, schlicht ich mich klammheimlich nächtens aus Troels Wohnung und fuhr zum Flughafen, wo Wanjas Maschine gelandet war und auf mich wartete.

Nun bin ich hier. In Moskau.