Montag, 30. September 2013

Waghalsige Unternehmungen



Es ist in der Tat im Augenblick nicht einfach mit Gunnar. Die Verbände bedecken noch immer seine Augen. Vielleicht noch ein oder zwei Tage, bis er wieder sehen kann. Wir hören überwiegend CDs und reden miteinander. Eine gute Gelegenheit also, nach den Ursachen meiner Panik Attacken zu forschen oder die Reinkarnationsarbeit zu beginnen. Warf er ein. Jetzt, wo er so viel freie Zeit zur Verfügung hätte.
Es gibt gleichwohl so viele Thematiken, über die sich unterhalten werden will und kann. Die Auswertung des Deltascans gehört ebenso dazu. Wonach mir bisher noch immer nicht wirklich zu mute war. Insbesondere die Empfehlungen der Naturtherapeutin sind mir bislang ein unüberwindliches Hindernis in Bezug auf die Einnahme verschiedener Medikamente oder Substanzen. Ich scheue mich noch immer davor eine „salzsäurehaltige“ Tablette zu schlucken und dann abzuwarten, was passiert. Sie wies darauf hin, dass ich ebenso zu wenig anstatt zu viel Magensäure haben könnte. Was ich mit der Einnahme der „Tablette“ dann sicher bemerken und wissen würde. Ich finde dies, ein überaus waghalsiges Unternehmen.

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Gunnar bekommt so viel Aufmerksamkeit. So viel Besuche.
Christine, Thomas und Erik waren selbstverständlich hier, um zu sehen, wie es ihm geht. Ebenso seine Brüder Sven und Carsten. Hjalmar zog es vor ein Fußballspiel zu besuchen, welches Gunnar nebenbei im Radio verfolgte.
Stine hatte gelacht. „Mein Bruder will noch attraktiver werden, wie er schon ist.“
Chris, Taylor und Jonathan kamen mit einer Flasche Bier vorbei, um auf die „Veredlung“, wie sie es nannten, anzustoßen.
Sarah Sjögren kam und blieb, um mir zu helfen.
Ungeniert bot sich Elena für den gleichen Job an. Was ich selbstredend ablehnte. Gunnar meinte jedoch, wenn sie unbedingt etwas tun wolle, könne sie sich bei der Versorgung der Gäste nützlich machen. Was sie schlussendlich auch tat.
Sogar Ryan schaute vorbei und trank ein Bier mit Gunnars Saufkumpanen.
Die Ereignisse glichen einer Geburtstagsfeier. Sogar die zahlreichen Blumen sprachen dafür. Nur hätte ich so ein Fest doch eher in den großen Saal verlegt. Mit Personal, welches sich um alles hätte kümmern können. Diese „Belagerung“ unseres Hauses war mir eine regelrechte Zumutung. Zumal Gunnar genau genommen nichts wirklich allein tun kann, und wo sich die simpelsten Dinge bereits schwierig gestalten.

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Als die „Party“ in vollem Gange war, gesellte sich noch ein „ungebetener“ Gast zu uns. Siv.
„Oh! Hier gibt es offensichtlich was zu feiern und eine Menge Arbeit.“, bemerkte sie, als sie eintrat und sich umsah.
Gunnar horchte auf. Erkannte ihre (die) Stimme (seiner Domina) und streckte die Hände nach ihr aus. Es war das erste Mal, dass ich hörte wie ER, Gunnar, ihren Namen rief. „Siv. Hier bin ich. Kommst du bitte zu mir?“, ließ er beinahe in bettelndem Ton verlauten.
Mein wütender Blick traf sie. Was sie beide nicht bemerkten.
Siv ging auf Gunnar zu. Blieb etwa einen guten Meter vor ihm stehen und streckte mit einer euphorisch übertriebenen Geste ruckartig die Arme nach ihm heraus. „Schön dich lebendig zu sehen. Gut siehst du aus!“, sagte sie laut, sodass sich einige nach ihr umdrehten und sie entgeistert oder kopfschüttelnd ansahen.
Sie drückte Gunnar einen innigen Kuss auf die Lippen und es sah gerade so aus, als würde sie ihn, inmitten der Gäste, zwischen die Beine greifen.
Elena sah sie kurz an und verzog den Mund. Offenkundig schien auch sie Siv nicht zu mögen. (Wo mir der Gedanke kam, mich mit Elena zu verbrüdern. „Der Feind meines Feindes ist mein Verbündeter.“, sagte mein Vater des Öfteren und ich hatte mir diesen Spruch gut eingeprägt.)
Um „Präsenz“ zu zeigen, trat ich ein Stück näher an die beiden heran und bedachte sie als Begrüßung mit einem kurzen Nicken. Welches sie gleichwohl nicht zur Kenntnis nahm.
Was für eine überhebliche Kuh. Dachte ich.
Da ich nicht beabsichtigte, dass sie hier noch heimisch würde, wies ich, eher kleinlaut, aber so, dass sie mich zwischen all den Stimmen hören konnte darauf hin, dass ich das Personal kommen lassen konnte, um zum Schluss die Reste der „Krankenfeier“ beseitigen zu lassen und dachte ihr somit zu suggerierten, dass es nicht nötig sei, dass sie am Ende noch länger als die anderen Gäste blieb.
Sie winkte ab. „Das schaffen wir schon“, sagte sie und zwinkerte Elena zu, die sich nun gleichfalls an Gunnars Seite platziert, und ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte.
Wie gut kannten sich die beiden eigentlich? Und was bildete sich diese Elena überhaupt ein? Es war gerade so, als wolle SIE meinen Platz einnehmen und anstatt meiner Präsenz demonstrieren.
Was geschah hier eigentlich? Buhlten etwa gleich drei Frauen vor aller Augen um Gunnars Gunst?
Siv nahm sich ein Bier, schaute in die Runde ohne mich oder Elena weiter zu beachten und stieß dann (obligatorisch) mit Gunnar an. Denn ER trank nur wenig und schluckweise.
Sarah zog die Augenbrauen nach oben, legte die Stirn in Falten und sah kurz zu mir. Ich nickte ihr zu und zauberte mir ein gequältes Lächeln auf die Züge meines Gesichts.  
Gunnar schien dies alles gänzlich „normal“ zu finden und war offensichtlich überaus erfreut über so viel Aufmerksamkeit.

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Erst am späten Abend bat ich dann den Rest der Gäste, einschließlich Siv zu gehen. Denn ich sah Gunnar an, dass er erschöpft gewesen war. Und ich, was es ebenso.
Siv ging, wie sie gekommen war. Extravaganz und laut. Küsste Gunnar innig auf die Lippen und gebärdete sich beim Gehen eher wie ein Mann. „Ich soll nicht helfen?“, fragte sie noch einmal.“
Ich verneinte.
Die letzte die ging, war Elena. Ihre Abschiedsgestik ließ, meiner Meinung nach, so einiges offenbar werden. Sie ging sehr vertraut mit Gunnar um. Andererseits konnte dies natürlich ebenso ein gekonnter Schachzug von ihr sein, um mich erneut darauf hin zu weisen, dass sie, wie sie möglicherweise dachte, ein Recht auf Gunnars Gegenwart und Sympathie hätte.
Ich begleitete Elena bis vor die Tür und hielt sie noch einen Augenblick lang auf der Veranda fest. „Kennst du Siv gut?“, fragte ich sie, um einen Anknüpfungspunkt vorweisen zu können.
Sie sah mich misstrauisch an. „Hhmm.“, ließ sie mürrisch hören. „Nein. Eigentlich nicht.“, sagte sie nachdenklich und schien tatsächlich zu überlegen. „Warum?“, folgte sogleich die argwöhnische Frage.
„Ich dachte nur.“, antwortete ich zügig. „Sie schien mir so vertraut mit dir zu sein.“
„Ich weiß wer sie ist und was sie macht.“, sagte sie abfällig. „Diese verdammte Schlampe.“
Ups. Hatte ich da etwa einen „Nerv“ getroffen?
„Du weißt es doch auch. Oder nicht?“
Ich sah sie an und wartete ab.
„Sie steckt Gunnar Sachen in den Arsch. Fesselt und peitscht ihn. Wie abartig ist das denn?“
Wie kommt ausgerechnet Elena darauf, dass dies „abartig“ sei? Wo ich mir sicher war, dass sie ganz andere „Spielarten“ beherrschte. Oder etwa doch nicht?
„Du weißt aber schon, dass Gunnar das mag?“, fragte ich mit zweifelndem Blick.
„Ja.“, kam die einsilbige und eher betretene Antwort. „Gefällt dir das etwa auch?“
„Nein.“ Meine Stimme war ruhig und ausgeglichen. So als würde ich mich mit einer guten Freundin unterhalten.
„Und du lässt das zu?“
Ich musste lächeln. „Was sollte ich denn tun? Gunnar ist nun einmal wie er ist. Seine Neigungen werden sich nicht ändern. Gleichgültig, was ICH davon halte.“
JETZT hatte ich, wie mir schien, die einmalige Gelegenheit Elena klar zu machen, dass sie Gunnar nie genügen würde. Da sie offensichtlich auf seine Neigungen ebenso wenig einzugehen vermochte als ich.
„Denkst du, Du könntest ihn zufrieden stellen?“, ging ich in die Offensive.
Sie sah mich unvermittelt an und ihre Augen verrieten, dass sie nicht wusste, worauf ich eigentlich hinaus wollte.
„Kannst DU es denn?“, kam die doch eher hämische Antwort.
„Nein. Oder nur gelegentlich. Aber ich lasse ihn tun, was er tun muss. Würdest du dass können?“
Elena kaute auf ihrer Lippe. Sah mich an. Wendete den Blick zum See und dann wieder zu mir. „Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube nicht.“
Sie verzog den Mund ein wenig und schien sogar zu lächeln. Jedoch so wirklich nahm ich ihr das nicht ab. Denn sie hatte mit großer Sicherheit schon einiges mehr über Männer erfahren als ich, obwohl sie gut zehn Jahre jünger war als ich.
„Warum schickst du ihn nicht in die Wüste. Hast du nicht genügend Geld?“
Ich schmunzelte. „Liebe, hat mit Geld nichts zu tun.“
„Du liebst ihn tatsächlich?“, fragte sie zweifelnd.
Ich stutzte. „Wieso denkst du, dass ich dies nicht tue?“
Jetzt schmunzelte sie. „Gunnar denkt, du liebst ihn nicht wirklich.“ Sie sah mich an, als wüsste sie nicht, ob sie weiter reden sollte oder nicht.
Wie kam Gunnar genau genommen dazu mit IHR über MICH zu sprechen??
„Hast du nicht noch andere Kerle?“, fragte sie. Legte den Kopf ein wenig schief und sah mich abwartend an.
Ich glaubte nicht, dass ich ausgerechnet mit Elena darüber reden sollte. Dachte ich so.
„Wie kommst du darauf?“, fragte ich stattdessen.
„Es wird viel erzählt unter dem Personal.“
„Was erzählt man sich denn so?“, fragte ich mit einer aufgesetzten Unschuldsmiene.
Sie grinste. „Troels.“, platzte sie heraus.
„Und?“, gab ich mich bieder.
„Man spricht von Paul und Jason.“
„Das ist nicht wahr.“, sagte ich beinahe teilnahmslos.
„Du hättest im Ausland auch noch andere Männer.“
Ich lächelte und schüttelte den Kopf. „Kevin ist verheiratet. Hat ein Kind und sitzt im Rollstuhl. Ian ist wer weiß wo auf dieser Welt und spielt seine Musik. Außerdem hat er Annica.“ Ich hielt inne. Dachte an Wanja.
„Was ist mit dem Spanier“, hörte ich Elena fragen.
„Er ist schon längst Geschichte.“, bemerkte ich augenzwinkernd in ihrem Jargon, um ihr ein Stück näher zu kommen, sodass sie möglicherweise ein wenig aufgeschlossener wurde.
Eine Weile lang standen wir nebeneinander und scharrten mit den Hufen.
„Du hasst mich. Nicht wahr?“, fragte sie dann.
Ich räusperte mich. „Nein. Natürlich nicht. Zugegeben“, und dabei sah ich ihr direkt in die Augen, „bin ich eifersüchtig gewesen. Das mag schon so sein.“
„Denkst du, ich nehme ihn dir weg?“
„Willst du es denn?“
Sie senkte den Kopf. „Ich hätte doch keine Chance. Er liebt DICH.“
„Es gibt doch so viele Männer. Du musst dich nicht unbedingt an Gunnar (klammern) halten.“
„Aber er hat so viel für mich getan.“ Ihre Stimme hatte sich leicht gehoben, war vehementer und der Blick, den sie dabei aussandte, schien mir tatsächlich ehrlich zu sein.
„Ich weiß, und ich finde dies durchaus bewundernswert. Aber als seine Ehefrau, würdest du, denke ich, kaum bestehen.“ Bei diesen vermessenen Worten zitterte mir beinahe die Stimme. Denn genau genommen, dachte ich dabei viel mehr an mich als an Elena. Aber ICH war die ältere, die stärkere und hatte ein Recht so zu argumentieren. Basta!
„Ich würde alles für ihn tun.“, platze sie heraus.
Da war ich mir sicher. Dachte ich. Reagierte jedoch nicht weiter darauf.
„Möglicherweise findet er mich nicht hübsch genug.“ Elenas Blick traf mich und sie schien etwas zu erwarten. Aber ich blieb sachlich. „Ich denke, du weißt sehr wohl, dass du überaus attraktiv bist, und jung noch dazu. Du verführst die Männer sicher reihenweise.“
Sie lächelte. „Aber nie den Richtigen.“, bemerkte sie leise und schmunzelte vor sich hin.
Ich musste innerlich lachen bei dem Wort „Der Richtige“. Es gab keinen „Richtigen“. Sollte ich ihr das sagen? Würde sie mich überhaupt verstehen? Oder war sie zu jung dafür?
„R-e-a!“, hörte ich Gunnar rufen.
„Dein Ehemann ruft.“, sagte sie und ging die Treppen hinunter, und ich, zu Gunnar.
Elena musste nun nicht zwingend oder augenblicklich zu einer guten Freundin werden. Jedoch eine „Annäherung“ konnte nicht schaden, und es war mit aller größter Wahrscheinlichkeit ebenso in Gunnars Interesse und könnte gegebenenfalls ebenso anderweitig nützlich sein. Wogegen auch immer.
Ich hätte sie vielleicht noch mit intimeren Details konfrontieren sollen. Aber dazu würde sich sicherlich noch eine passende Gelegenheit ergeben.
Wanja hatte sie nicht erwähnt. Möglicherweise hatte sie ihn nur vergessen. Was gleichwohl besser so gewesen war.
Womöglich war sie an einer freundschaftlicheren Beziehung zu mir sogar  interessiert?? Ist es nicht stets ein ausgezeichneter Schachzug, anfänglich zur guten Freundin der Ehefrau zu werden, damit man sie dann schneller und effektiver aus dem Weg zu räumen vermag?
Ist dieses junge Mädchen in der Tat so durchtrieben? Oder irre ich mich da?
In jedem Fall werde ich „wachsam“ sein! Versprochen.