Samstag, 12. Oktober 2013

Am Tag und in der Nacht



Lamentierendes Gezeter, wo die gefühlte Einsicht bereits hinter der nächsten Tür lauert.
Sie muss nur geöffnet werden.


Über die Abneigung zu den Kindern, schlichen sich ebenso die vertrauten, trotzigen Gefühle über eine unangenehme Situation, in der ich mich befand/befinde oder wähne, wieder ein.
Es war und es ist, als sei ich eine Außenstehende. Nicht dazu Gehörende. Kaum Beachtet. Nur gelegentlich wahrgenommen.
Jedoch erahne ich in meinem tiefsten Inneren, dass der Grund dafür ausschließlich ich selbst bin. Nur mag ich es mir, und andern, nicht zugestehen. Es wäre eine Niederlage. Eine Schande. Eine Schmach meinem ich, meinem Ego gegenüber. Was mir im Augenblick noch immer so überaus wichtig erscheint.
Daher kann ich es nicht zulassen, ins Aus manövriert zu werden. Von diesen kleinen Scheißerchen.

-------

Melancholie erfasst mich.
Die Kinder sind mir ein Ärgernis. Der Dorn im Auge.
Gunnar strich mir über die Wange. „Sei doch nicht so traurig. Alles ist gut.“
Gut? Nichts ist gut, dachte ich und schob seine Hand, mit welcher er zuvor seine Kinder berührt und getragen hatte, und die in Folge dessen nach ihnen roch, sanft beiseite. „Lass mich jetzt bitte in Ruhe.“
Gunnar schnaufte. Ahnte, kannte den Grund. Räusperte sich und schüttelte mit Unverständnis den Kopf.
An den laufenden Gesprächen im Raum beteiligte ich mich ebenso wenig. Nahm eher eine apathische Haltung ein.
Mir scheint die Geselligkeit in der Tat nicht sonderlich zu liegen. Und noch viel weniger die Aufzucht von Jungen. Oder ganz und gar liebevolle, mütterliche Gefühle für die Kleinen zu entwickeln.

Ich war müde und gleichzeitig auch nicht.
Hatte nicht die Absicht mit den Zwillingen, Marie und Adam in einem Zimmer zu nächtigen. Wollte viel mehr einen separaten Raum für mich und Gunnar. Dachte in diesem Augenblick an die Zeit, als ich Gunnar noch nicht kannte und Adam allein hier besuchte. Mit ihm in seinem Bett lag und er alles für mich tat. Am Tag und in der Nacht.
Gunnar würde einem Einzelnzimmer jedoch nicht zustimmen. Alldieweil er nun sein Vaterglück in vollen Zügen zu genießen vermag. Am Tag und in der Nacht.
Am aller liebsten, würde ich nach Hause fliegen.
Dennoch ging ich mit Unzufriedenheit zu Bett, um im Schlaf zu versinken, (wenn man mich schlafen ließ!), wo mein Bewusstsein  nicht mehr hier, auf dieser Ebene weilen muss.
So werde ich gewissermaßen beständig kühler. Kälter. Zu allen. Gleichgültig wie viel Mühe sie sich auch geben mögen, oder nicht.
Selbst die Massage, welche Mary mir kurz vor dem zu Bett gehen anbot, lehnte ich ab. Ohnehin mag ich es nicht von Frauen berührt zu werden. Schließlich bin ich keine Lesbe. Es wäre ungewohnt. Beschämend. Sogar unangenehm. Eine Ausnahmeerscheinung mag die ausgebildete Physiotherapeutin sein. Von Elena, würde ich mich dennoch genauso wenig be-handeln lassen.

-------

Ist es tatsächlich SO, wenn man Kinder hatte?
Kein Schlaf. Weder am Tag noch in der Nacht. Man selbst und alles andere tritt in den Hintergrund. Im Mittelpunkt stehen die Kinder, denen alles untergeordnet ist.
Nein. Ich weiß, warum ICH niemals welche haben werde!
Man mag es Selbstsucht nennen. Jedoch tue ich ausschließlich DAS, was man mir beständig nahe legt. Auf mich selbst zu achten. (Was bei näherer Betrachtung doch eher eine fadenscheinige Ausrede vor mir selbst und anderen ist.)
Das Problem mag darin bestehen, dass ich gewohnt bin und erwarte, die einzige Person im Zentrum zu sein. Gleichgültig, wen auch immer es betreffen mag. Gunnar, Das Personal oder andere Männer. Ich dulde keine Rivalen oder Rivalinnen in meiner Gegenwart. Was am Ende wohl bedeutet, dass ich zukünftig lernen muss  rücksichtvoller, umgänglicher, demütiger, zugänglicher und nicht zuletzt offener zu werden/zu sein. Wie Gunnar und Mary es mir rieten.


-------

„Magst du Tate´ogna nita pehin?“, fragte Mary und ich sah sie zweifelnd an.
„Nein. Nein. Nicht wie du denkst.“ Sie lachte.
„Du bist mit ihm zusammen. Oder?“, nutze ich die Gelegenheit, um meine Neugier zu stillen.
Erneutes Lachen. „Was heißt das schon? Zusammen.“ Sie zwinkerte mir zu. „Er ist weder mein Ehemann noch mein Geliebter. Nichts von alledem und alles. Die Romantik bleibt auf dieser Schicht des Seins. Unsere Verbindung ist tiefer als alles Physische.“
Ihre Antwort verwirrte mich. „Aber ihr seid doch ein Paar?“ Ich sah sie fragend an. „In dieser Ebene des Seins?“, setzte ich nach.
„Nein.“ Marys Gesichtausdruck wirkte verklärt. „Oder gelegentlich ein bisschen.“
Ich räusperte mich.  Stutzte. War mir unschlüssig, was sie meinte. Bohrte jedoch nicht weiter nach. Später. Dachte ich. Später würde ich womöglich noch einmal die Gelegenheit erhalten mehr darüber zu erfahren. Oder auch nicht.
Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.
„Was ist mit mir und Gunnar?“, fragte ich Mary.
„Was soll mit euch sein?“
„Gunnar betont wieder und wieder, wir seien füreinander bestimmt und bereits in vielen anderen Leben auf irgendeine Weise verbunden gewesen.“
„Ja.“
Ich lauschte. Wartete.
Ja? War das alles?
Ich hasse diese vagen, verschwommenen, verworrenen und unverständlichen Äußerungen.
Mary schnaufte leicht. Pressten die Lippen aufeinander und zog die Augenbrauen nach oben.
Sie hatte meine Gedanken gelesen. Genau, wie Gunnar es stets tat.
„Öffne deinen Geist, und du verstehst, was ich meine. Wahre Liebe, ist viel mehr als dieses physische Zeugs.“, sagte sie schlussendlich.
Wie öffnet man den Geist? Wollte ich fragen. Aber im Grunde war mir unbewusster Weise klar, dass die Lösung, die Antwort nur in mir selbst und in meinem Willen lag. Was in gleichem Maße Gunnars Kinder betraf und alles andere.