Mittwoch, 2. Oktober 2013

Vertrauen oder Ignoranz?



Es ist großartig meinen „alten Mann“ wieder zu haben. Wir können uns endlich wieder in die Augen sehen, und er braucht somit gleichwohl keine Hilfe mehr.
Nur wenn er lächelt, schmerzen ihn die Wunden und es sieht merkwürdig aus, wenn er die Mundwinkel auf kuriose Weise nach oben zieht.

Ich beichtete Gunnar meine doch zum Teil überaus egoistischen Gedanken.
Es war unrecht. Ich hätte SO nicht denken dürfen.
„Es tut mir leid. Verzeih mir die Unmöglichkeit meines Denkens.“ Ich senkte den Kopf vor Scham und begann aufrichtige Tränen zu weinen. „Es war falsch von mir derart selbstsüchtig zu sein. Natürlich und ohne Frage, würde ich mich ohne weiteres um dich kümmern. Sollte es dir irgendwann einmal wieder schlecht ergehen. Oder die Situation es erfordern.“ Ich schluchzte. „Es war mir so mühsam, mit dieser Situation umzugehen.“
Gunnar versuchte zu lächeln. „Denkst du etwa, ich sah deinen inneren Konflikt, deine Zwiespältigkeit nicht?“ Ein verständnisvoller, beinahe mitfühlender Blick traf mich. „Komm her. Alles ist gut.“ Er steckte die Arme nach mir aus und ich folgte bereitwillig seiner Einladung. Gunnar hielt mich fest an sich gedrückt und meine Finger krallten sich in seine Arme.
„Es ist mir durchaus bewusst, dass du dich um mich sorgst.“, sprach er weiter. „Ich weiß, dass du dich im Ernstfall tatsächlich und liebevoll um mich kümmern und Verantwortung übernehmen würdest.“
Womit er zweifelsohne Recht hatte.

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Elena scheint nicht aufgeben zu wollen. Kam erneut zu uns ins Haus. Suchte Gunnars Nähe.
Was will sie?
Gunnar Geliebte und meine Freundin sein?
Sie sprach davon, dass sie Gunnar unendlich dankbar dafür sei, was er für sie getan hätte.
„Deine Art der Dankbarkeit ist nicht erwünscht.“, sagte ich und mäßigte mit jedem einzelnen Wort meinen Ton. Denn Gunnar hatte mir von ihrem Leben berichtet. Zumindest das, was Elena ihm von sich erzählt hatte.
Sie hatte es offenkundig nicht besser gelernt. Kannte es nicht anders. Ihr patriarchal dominanter Vater hatte sie „Dankbarkeit“ gelehrt. Bereits als kleines Mädchen hatte es begonnen. Ihre Mutter wusste, oder wollte nichts davon wissen. Half ihr nicht. Sie hatte nicht verstanden, was er da eigentlich tat. Dachte es sei „normal“ sich auf diese intime und anzügliche Weise bei Männern zu bedanken.
Später, als sie älter wurde kamen andere Männer, wie beispielsweise ihr Onkel, oder auch Fremde hinzu. Sie mochte es nicht, sich auf diese Art erkenntlich zu zeigen. Bemerkte jedoch zunehmend, was sie damit für sich selbst bewirken konnte und setzte es bewusst ein. Was für mich der Beweis war, dass sie ein Ziel verfolgte. Wie ich es bereits von Anfang an vermutet hatte.
Da es mir stets an Beharrlichkeit fehlte, stellte ich sie umgehend zur Rede. Schließlich gedachte sie offensichtlich tatsächlich meine Zuneigung zu gewinnen, indem sie an mein mitfühlendes Herz appellierte, nur, um sich anschließend Gunnars zu bemächtigen.
„Nein, nein.“, stritt sie vehement ab was ich aufzudecken suchte. „Ich habe doch sonst niemanden. Keine Freundin. Keine Vertraute.“ Sie glubschte mit ihren Augen und schien zu denken, es wirke bei mir.
„Du benutzt alle Menschen für dich. Oder?“
„Nein. Das tue ich nicht!“, wurde sie lauter und gab sich empört.
„Genau DAS ist es, was du lerntest. Menschen für deine eigenen Zwecke zu benutzen.“
„Nein. Das stimmt nicht.“, hielt sie noch immer dagegen.
Bemerkte sie fürwahr nicht was sie tat? War sie wirklich so naiv, dass sie es nicht bemerkte?
„Lass sie doch Rea.“, mischte sich Gunnar schlussendlich ein. Sie ist Opfer. Nicht Täter.“
„Ja. Natürlich. DAS vermittelt sie allen. Bemerkt ihr Männer das nicht? Das sie sich über die Mitleidsschiene ihre Wünsche erfüllt?“
„Lass gut sein. Beschimpfe sie nicht.“
„Ich lasse mich nicht verarschen. Und DU“, ich sah Gunnar mit einem durchdringenden Blick in die Augen, „solltest es besser wissen, und vor allem erkennen, was ihre Gründe sind, sich so zu verhalten.“ Womit ich auf seine gedankenleserischen Fähigkeiten anspielte.
„Ich sah nichts Gegenteiliges oder Verwerfliches in ihren Kopf.“, fiel Gunnar mit einem mal auf und ich sah sein erstauntes Gesicht. „Sie selbst hält es für die Wahrheit. Wäre es eine Lüge, hätte ich es gesehen.“
„Folge dessen belügt sich selbst. Nicht nur uns andere.“
„Aber das tut sich zu ihrem eigenen Schutz.“
„Zum Schutz? Wovor?
„Vor der schmerzenden Wahrheit.“
„Bedeutet das auch, dass sich mich tatsächlich als Freundin gewinnen wollte?“
„Ja. Sie hätte unbewusster Weise das Optimalste für sich dabei herausgeholt. Du hättest ihr als Verbündete noch den Weg zum mir geebnet, und sie hätte diese Vorgehensweise al völlig normal empfunden.“
„Weißt du“, sagte ich zu Gunnar, „so etwas dachte ich mir bereits seit geraumer Zeit. Jedoch hielt ich es für einen ausgeklügelten Plan von ihr.“
Über unsere Erkenntnissuche hatten wir beinahe Elena vergessen, die uns beide anstarrte. Von einem zum anderen sah.
In diesem Augenblick dachte ich instinktiv, dass es sogar gut gewesen sein könne, dass sie sah, wie wir, Gunnar und ich, gemeinsam agierten, und hörte, was sie offensichtlich selbst nicht bemerkte und ebenso wenig wissen wollte.
Gunnar jedenfalls, schien es wie Schuppen von den Augen gefallen zu sein wie Elena tickte.
„Ich werde für sie einen guten Psychotherapeuten finden.“, sagte Gunnar nickend.
„Wenn schon, dann eine Therapeutin.“, bemerkte ich lächelnd und zufrieden.


Am liebsten hätte ich noch einmal nachgefragt, was im Bad mit Elena und ihm nun geschehen war. Jedoch fand ich, dass dies ohnehin nun gleichgültig, gegenstandslos geworden war. Ich vermag nichts mehr daran zu ändern. An allem, was mit ihr und Gunnar passierte. Gleichgültig wann und wo es geschah, geschieht oder jemals wieder geschehen wird. Es ist stets die Entscheidung meines Ehemannes, ob er es zulässt. Oder nicht. Wo sich erneut für mich die Frage des Verstrauens“ stellt. Oder, der Ignoranz.