Es ist großartig meinen
„alten Mann“ wieder zu haben. Wir können uns endlich wieder in die Augen sehen,
und er braucht somit gleichwohl keine Hilfe mehr.
Nur wenn er lächelt,
schmerzen ihn die Wunden und es sieht merkwürdig aus, wenn er die Mundwinkel
auf kuriose Weise nach oben zieht.
Ich beichtete Gunnar meine
doch zum Teil überaus egoistischen Gedanken.
Es war unrecht. Ich hätte
SO nicht denken dürfen.
„Es tut mir leid. Verzeih
mir die Unmöglichkeit meines Denkens.“ Ich senkte den Kopf vor Scham und begann
aufrichtige Tränen zu weinen. „Es war falsch von mir derart selbstsüchtig zu
sein. Natürlich und ohne Frage, würde ich mich ohne weiteres um dich kümmern. Sollte
es dir irgendwann einmal wieder schlecht ergehen. Oder die Situation es erfordern.“
Ich schluchzte. „Es war mir so mühsam, mit dieser Situation umzugehen.“
Gunnar versuchte zu
lächeln. „Denkst du etwa, ich sah deinen inneren Konflikt, deine
Zwiespältigkeit nicht?“ Ein verständnisvoller, beinahe mitfühlender Blick traf
mich. „Komm her. Alles ist gut.“ Er steckte die Arme nach mir aus und ich
folgte bereitwillig seiner Einladung. Gunnar hielt mich fest an sich gedrückt
und meine Finger krallten sich in seine Arme.
„Es ist mir durchaus
bewusst, dass du dich um mich sorgst.“, sprach er weiter. „Ich weiß, dass du
dich im Ernstfall tatsächlich und liebevoll um mich kümmern und Verantwortung
übernehmen würdest.“
Womit er zweifelsohne
Recht hatte.
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Elena scheint nicht
aufgeben zu wollen. Kam erneut zu uns ins Haus. Suchte Gunnars Nähe.
Was will sie?
Gunnar Geliebte und meine
Freundin sein?
Sie sprach davon, dass sie
Gunnar unendlich dankbar dafür sei, was er für sie getan hätte.
„Deine Art der Dankbarkeit
ist nicht erwünscht.“, sagte ich und mäßigte mit jedem einzelnen Wort meinen
Ton. Denn Gunnar hatte mir von ihrem Leben berichtet. Zumindest das, was Elena
ihm von sich erzählt hatte.
Sie hatte es offenkundig nicht
besser gelernt. Kannte es nicht anders. Ihr patriarchal dominanter Vater hatte
sie „Dankbarkeit“ gelehrt. Bereits als kleines Mädchen hatte es begonnen. Ihre
Mutter wusste, oder wollte nichts davon wissen. Half ihr nicht. Sie hatte nicht
verstanden, was er da eigentlich tat. Dachte es sei „normal“ sich auf diese
intime und anzügliche Weise bei Männern zu bedanken.
Später, als sie älter
wurde kamen andere Männer, wie beispielsweise ihr Onkel, oder auch Fremde
hinzu. Sie mochte es nicht, sich auf diese Art erkenntlich zu zeigen. Bemerkte
jedoch zunehmend, was sie damit für sich selbst bewirken konnte und setzte es
bewusst ein. Was für mich der Beweis war, dass sie ein Ziel verfolgte. Wie ich
es bereits von Anfang an vermutet hatte.
Da es mir stets an Beharrlichkeit
fehlte, stellte ich sie umgehend zur Rede. Schließlich gedachte sie
offensichtlich tatsächlich meine Zuneigung zu gewinnen, indem sie an mein
mitfühlendes Herz appellierte, nur, um sich anschließend Gunnars zu
bemächtigen.
„Nein, nein.“, stritt sie
vehement ab was ich aufzudecken suchte. „Ich habe doch sonst niemanden. Keine
Freundin. Keine Vertraute.“ Sie glubschte mit ihren Augen und schien zu denken,
es wirke bei mir.
„Du benutzt alle Menschen
für dich. Oder?“
„Nein. Das tue ich
nicht!“, wurde sie lauter und gab sich empört.
„Genau DAS ist es, was du
lerntest. Menschen für deine eigenen Zwecke zu benutzen.“
„Nein. Das stimmt nicht.“,
hielt sie noch immer dagegen.
Bemerkte sie fürwahr nicht
was sie tat? War sie wirklich so naiv, dass sie es nicht bemerkte?
„Lass sie doch Rea.“,
mischte sich Gunnar schlussendlich ein. Sie ist Opfer. Nicht Täter.“
„Ja. Natürlich. DAS
vermittelt sie allen. Bemerkt ihr Männer das nicht? Das sie sich über die
Mitleidsschiene ihre Wünsche erfüllt?“
„Lass gut sein. Beschimpfe
sie nicht.“
„Ich lasse mich nicht
verarschen. Und DU“, ich sah Gunnar mit einem durchdringenden Blick in die
Augen, „solltest es besser wissen, und vor allem erkennen, was ihre Gründe
sind, sich so zu verhalten.“ Womit ich auf seine gedankenleserischen
Fähigkeiten anspielte.
„Ich sah nichts Gegenteiliges
oder Verwerfliches in ihren Kopf.“, fiel Gunnar mit einem mal auf und ich sah
sein erstauntes Gesicht. „Sie selbst hält es für die Wahrheit. Wäre es eine
Lüge, hätte ich es gesehen.“
„Folge dessen belügt sich
selbst. Nicht nur uns andere.“
„Aber das tut sich zu
ihrem eigenen Schutz.“
„Zum Schutz? Wovor?
„Vor der schmerzenden
Wahrheit.“
„Bedeutet das auch, dass
sich mich tatsächlich als Freundin gewinnen wollte?“
„Ja. Sie hätte unbewusster
Weise das Optimalste für sich dabei herausgeholt. Du hättest ihr als Verbündete
noch den Weg zum mir geebnet, und sie hätte diese Vorgehensweise al völlig
normal empfunden.“
„Weißt du“, sagte ich zu
Gunnar, „so etwas dachte ich mir bereits seit geraumer Zeit. Jedoch hielt ich
es für einen ausgeklügelten Plan von ihr.“
Über unsere
Erkenntnissuche hatten wir beinahe Elena vergessen, die uns beide anstarrte.
Von einem zum anderen sah.
In diesem Augenblick
dachte ich instinktiv, dass es sogar gut gewesen sein könne, dass sie sah, wie
wir, Gunnar und ich, gemeinsam agierten, und hörte, was sie offensichtlich
selbst nicht bemerkte und ebenso wenig wissen wollte.
Gunnar jedenfalls, schien
es wie Schuppen von den Augen gefallen zu sein wie Elena tickte.
„Ich werde für sie einen
guten Psychotherapeuten finden.“, sagte Gunnar nickend.
„Wenn schon, dann eine
Therapeutin.“, bemerkte ich lächelnd und zufrieden.
Am liebsten hätte ich noch
einmal nachgefragt, was im Bad mit Elena und ihm nun geschehen war. Jedoch fand
ich, dass dies ohnehin nun gleichgültig, gegenstandslos geworden war. Ich vermag nichts mehr
daran zu ändern. An allem, was mit ihr und Gunnar passierte. Gleichgültig
wann und wo es geschah, geschieht oder jemals wieder geschehen wird. Es ist
stets die Entscheidung meines Ehemannes, ob er es zulässt. Oder nicht. Wo sich
erneut für mich die Frage des Verstrauens“ stellt. Oder, der Ignoranz.