Dienstag, 1. Oktober 2013

Wer ist der „Feind“?



Gunnar schien zu schmunzeln, als ich zu ihm kam.
„Verstehst du dich etwa doch mit Elena?“
„Das könnte dir so passen.“, entgegnete ich in scherzhafte, Ton.

Ich dachte noch lange darüber nach, ob es gut wäre Elena näher zu kommen. Gunnar war es ohnehin bereits (bis zur Intimität).
Aber ist SIE nicht eigentlich „der Feind“?
Genau genommen sind das vermutlich alle Frauen, die sich Gunnar nähern oder sich ganz und gar zwischen ihn und mich stellen. Dazu gehört selbstverständlich ebenso Elena.
Also was tun? Die Freund-(Feind-)schaft vertiefen? Oder ihr besser aus dem Weg gehen. Sie abweisen. Ihr unmissverständlich zu verstehen geben, dass ICH sie in unserem Haus nicht willkommen heiße. Gleichwohl Gunnar das auch tun mag.
Ich entschloss mich für ein diplomatisches, belauerndes und vor allem achtsames Beobachten und Abwarten.

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Anstößigkeiten?
Genau genommen ist es (zunehmend) so, dass ich mit mir selbst genügend belastet bin. Mich nicht noch um andere zu kümmern vermag. Stattdessen selber Hilfe nötig bräuchte. Wie beispielsweise während meiner Panick-Attacken und den gewöhnlichen Beschwerden dieser beschissenen Krankheit. Oder nur den schlichtesten Dingen, wie auf meinen Atem zu achten und darauf, meinen Tag zu planen. Entscheidungen zu treffen und die ausgesuchten Speisen lange und ausgiebig zu kauen. Was sich am Vortag als simples Mittel gegen die Magenschmerzen bewährte. Wie könnte ich zudem noch einen kränkelnden Mann versorgen? Nur gut, dass seine Genesung rasch voran schreitet. Überdies befleißigte sich Elena bereits zur Genüge.
Sogleich nachdem am gestrigen Nachmittag ihre Arbeit als Auszubildende Physiotherapeutin beendet war, klopfte sie an unsere Tür und fragte, ob sie helfen könne. Ich verneine freundlich aber bestimmt, war gerade eben dabei sie wegzuschicken, als Gunnar hinter mir rief: „Lass sie doch. Wenn sie helfen will.“
Nun gut. Dann soll es so sein. Dachte ich und gab ihr mit einer eleganten Handbewegung zu verstehen, dass sie eintreten könne.
Ich schickte Sarah in ihren verdienten Feierabend und übertrug Elena vorübergehend  dieses Amt. Dennoch war es gewiss NICHT meine Absicht, den gesamten Abend mit ihr zu verbringen.
Sie befleißigte sich in der Tat als passable Krankenschwester, sodass ich entlastet wurde.
Ich gab Gunnar vor Elenas Augen einen Kuss auf seinen Mund, sagte ihm, dass ich für eine kurze Weile nach draußen gehen würde. Zog Schuhe und Mantel über, steckte mein iPhone ein und ging.
Zuerst rief ich Troels an und berichtete ihm über die neusten Geschehnisse. Dann sprach ich mit Wanja, welcher mich einlud am kommenden Samstag seinem großen Event beizuwohnen.
Als ich zurück ins Haus kam, war niemand mehr da.
Ich stand ruhig und lauschte. Hörte Geräusche aus dem Bad. Wahrscheinlich hatte Elena Gunnar zur Toilette gebracht.
Dann ging ich ein, zwei Schritte weiter und blieb erneut stehen. Gunnar zischte irgendetwas, was ich nicht verstand. Er schien verärgert. Ich ging noch die restlichen Schritte bis zur Tür und drückte die Klinke herunter. Es war abgeschlossen.
Stille.
Sie hatten offensichtlich bemerkt, dass ich zurückgekommen war.
Ich klopfte. „Alles in Ordnung?“
„Ja. Ja.“, hörte ich Gunnar sagen. „Komm doch herein.“
„Es ist abgeschlossen.“
Stille.
„Verzeih, Die Gewohnheit. Verzeih.“
Welche Gewohnheit? Er schloss die Tür zum Bad niemals ab. Im Gegenteil. Ließ sie meist offen stehen.
Das Schloss klickte. Ich öffnete die Tür. Gunnar saß auf der Toilette und Elena wusch sich am Waschbecken die Hände und schien Wasser zu trinken.
„Der Sprudel steht im Kühlschrank, wenn du Durst hast.“, sagte ich und sah mich skeptisch an.
Sie drehte sich nicht zu mir um. Im Spiegel sah ich jedoch ein kurzes Grinsen.
„Sprudel.“, sagte sie. „Ja. Natürlich“. Sie wendete sich mir zu, lächelte und ging an mir vorüber in die Küche.
Ich sah Gunnar an, der mich natürlich nicht sehen konnte. „Was ist geschehen?“, fragte ich.
„Nichts weiter. Alles okay.“
Ich beließ es dabei und bohrte nicht weiter nach. Zumindest vorerst.

Nachdem wir zu Abend gegessen hatten und Elena die Ordnung in der Küche wieder hergestellt hatte, versuchte ich sie loszuwerden. „Du kannst jetzt beruhigt gehen. Danke. Ich schaffe das schon.“
Sie sah mich an. Dann zu Gunnar, der sie natürlich nicht sehen konnte. Dann wieder zu mir.
Ich wies mit einer eindeutigen Geste zur Tür.
„Vielleicht könnten wir noch ein bisschen Karten spielen?“ Sie sah mich mit flehenden Augen an. Wie ein Kind, das um Süßigkeiten bettelt. Ihre Lippen hatte sie zu einem Schmollmundgeformt. Was dachte sie sich eigentlich dabei? Ich war schließlich keiner dieser Männer, welcher auf dergleichen, gespielten und kindlichen Anzüglichkeiten hereinfiel. Ebenso wenig eine Mutter, die ihr Kind vor sich hatte.
„Ein anderes Mal.“, antwortete ich zügig und wiederholte die Bewegung mit meiner Hand.
Nachdem sie (tatsächlich) gegangen war, stellte ich Gunnar zur Rede.
„Was ist da im Bad eigentlich passiert?“
„Nichts. Was soll schon passiert sein.“
„Jetzt halte mich nicht zum Narren. Du selbst erzähltest mir, wie unanständig und aufdringlich dankbar sie sei. Hat sie dir den Schwanz gelutscht? Oder was?“, kam ich zur Sache.
„Nein. Natürlich nicht.“, sagte Gunnar mit besänftigender Stimme.
„Das soll ich dir glauben?“
„Ja. Gewiss doch. Komm jetzt. Setzt dich zu mir und beruhige dich. Es ist nichts passiert.“

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Zeit
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, jedoch gab es bis dato keinerlei Gelegenheit mit Gunnar über die Dinge zu reden, welche wir uns vorgenommen hatten. Wie beispielsweise die Reinkarnationsarbeit. Oder die Ursachen meiner Panik-Attacken. Über die ich ohnehin nicht reden wollte. Ebenso wenig über die Einnahme von Bierhefe oder Salzsäuretabletten. Die Auswertung des Deltascans hingegen wäre durchaus interessant gewesen. Aber auch darüber hatten wir bisher noch nicht gesprochen.
Nun war ich am Abend doch eher erfreu, mich in aller Ruhe an Gunnars Schulter lehnen zu können und mit ihm gemeinsam unserem Hörbuch zu lauschen.
Hätte ICH womöglich versuchen sollen ihm den Schwanz zu lutschen? Dachte ich,  begann Gunnar vorsichtig zu küssen und ließ meine Hand zwischen seine Beine gleiten.  Er hielt sie fest. „Nicht heute.“
„Ist es nicht genau DAS, was du bevorzugst. Mit „verbundenen Augen“ nicht zu wissen, wo die nächste Berührung sein wird?“
Gunnar schmunzelte leicht. „Ja. Du hast Recht. Aber die geringste Anstrengung schmerzt an den Wunde. Jedoch könntest du mir versprechen, das wir demnächst noch einmal darauf zurückkommen werden?“
Ich räusperte mich. „Nur wir beide?“
„Wenn du vermagst die Dinge richtig anzupacken?“ Er lachte.
„Sehr witzig.“
„Nein. Überhaupt nicht.“

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Heute
Während ich bei bester, strahlender Herbstsonne allein zu meinem Massagetermin aufbrach, kam der Arzt, um Gunnar die Verbände abzunehmen.
Nun vermag er mich wieder zu sehen. Elenas „Hilfe“ ist also nicht mehr von Nöten. Was für ein Glück!