Mittwoch, 4. Mai 2016

Keine Atempause



So sehr ich mich auch nach einer Atempause sehnte, bekam ich sie doch nicht.
Ich blieb am späteren Nachmittag, bis zum Abend, im Büro. Die Aufträge für die Apotheke mussten dringlichste raus. Und hier werden die Inhaltsstoffe der Medikamente mit dem Preis abgeglichen. Eine Zeit raubendes Unterfangen. Obendrein sollte man Apothekerinnen-Kenntnisse aufzuweisen haben, um all die zahlreichen und auch unterschiedlichen Bezeichnungen der jeweiligen Ingredienzien zu kennen.
Am Ende arbeitete ich so konzentriert, dass sich nicht bemerkte, wie sich mein Zuckerspiegel senkte. Schließlich hatte ich nur einen Teller Nudeln und einen Obstsalat zum Lunch. Zu wenig für solch anstrengende Hirnarbeit. Gegen sieben ließ ich mir vom Restaurant einen Teller mit belegten Broten bringen. Ich war am verhungern und am Ende meiner Kraft. Womöglich holten mich auch so allmählich die anstrengenden, vergangenen Tage zu. Mir war schwindlig und ich hatte Wahrnehmungsstörungen, dass mir himmelangst wurde. (Der Blutdruck vielleicht? Ich weiß es nicht.)
Auch am Nachmittag hatte ich gleichwohl nichts weiter als eine Tasse Kaffee zu mir genommen. Hatte meine Mutter zum hiesigen Arzt, innerhalb des Zentrums, begleitet. Sie fühlte sich nicht wohl. Der Blutdruck war zu hoch.
Gunnar war indes mit meinem Vater in Stockholm gewesen. Sie kamen erst gegen acht Uhr zurück und fanden mich, Kevin und Derek, die letzten drei im Büro noch verbliebenen Personen, genau DORT vor.
Gunnar schüttelte mit dem Kopf.
„Was sagtest du heute Morgen zu mir? Bis Mittag, dann ist Schluss?“
Ich schnaufte. „Ich weiß. Aber es war noch so viel zu tun.“
Gunnar sah zu Kevin hinüber. Der nickte ihm zu. „Tut mir leid Gunnar. Sie bestand darauf, alles selbst zu prüfen.“
„Rea! Verdammt!“ Gunnar wurde nun in der Tat noch ärgerlich. Sorgte sich offenbar immens um mich, was ich durchaus verstand. Denn es ging mir den gesamten Tag schon nicht wirklich gut. Mich plagten rheumatische Schmerzen. Der gesamte Körper tat weh. Meine Gelenke spürte ich bei jeder einzelnen Bewegung. Die Muskeln krampften und fühlten sich an, als hätte ich Muskelkater. Was nicht sein konnte. Und dann noch die wenigen Speisen dazu. Kein Wunder, dass mein sich Hirn nach diesen zahlreichen Stunden der Konzentration verabschiedet hat. Und mein Körper nicht genug von all dem hatte.
Ich sah meinen Vater, Vater, der mit Gunnar ins Büro gekommen war, milde lächeln. „Typisch die deutschen Tugenden.“
„Aber das bringt sie um.“, merkte Gunnar in einen etwas strengeren Tonfall an.
„Sie lebt doch noch.“, konterte mein Vater, als wäre es ein Spiel, ein Wettkampf, welchen es zu gewinnen galt. „Was uns nicht umbringt, macht uns stark.“
Gunnar schwieg und verdrehte die Augen. Kevin grinste ein wenig und schüttelte leicht mit dem Kopf. „So sind wir Deutschen eben.“, sagte er, was eher sarkastisch gemeint war.
Derek verstand nicht so recht, was da (in Deutsch) gesprochen wurde. Er sah von einem zum anderen. Ahnte, um was es ging und fragte später, beim Verlassen des Gebäudes, noch einmal nach. Ich erklärte ihm kurz, was gesprochen worden war.
“He ist not better as my father.“, war sein Kommentar.
“Nein, nein. Er ist nicht ganz so schlimm.”, nahm ich meinen Vater vor Derek noch in Schutz.
Sogleich im Anschluss an meine Worte erinnerte er mich daran, dass noch einige Mitglieder seiner Familie hier ankommen würden.
„Oh. Das hatte ich bereits vergessen. Verzeih.“ Wir beide lächelten uns an.
„Dann ist es doch vorteilhaft gewesen, deinen Vater, seine japanische Frau und deren Sohn umzuquartieren.“
Derek stutzte und kniff die Augen zusammen. „Das sagtest du bereits.“
„Ach. Tatsächlich. Ich erinnere mich nicht mehr daran.“ Und noch im selben Augenblick, wo Derek die Namen der Kommenden erwähnte, fiel es mir wieder ein. Sumiko, seine Halbschwester und ihr Mann. Und auch die Jüngste der Geschwister, Suki, kam.

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Ich speiste mit meinen Eltern und Gunnar im Restaurant. Aß aber nur noch einen Salat und........ein Dessert. (Mir ist bewusst, dass ich mich weitestgehend vom Zucken fern halten sollte. Schließlich bin ich darauf bedacht, meinen Körper basisch zu halten. Jedoch hatte ich Appetit danach.)
Auf dem Rückweg zum Haus, kehrte Gunnar noch einmal bei Marie, Henrik und vor allem seinen Kindern ein.
„Frag’ Marie bitte, was mit den Kindern wird, wenn sie noch einmal mit Henriks Eltern nach Oslo fliegen?“ Er nickte.
Eine halbe Stunde später kam er dann und gab mir die erleichternden Worte.
„Die Kinder werden mit ihnen reisen. Jens und Mina sehen sie ebenfalls als ihre Enkelkinder an und freuen sich auf die Zeit mit ihnen.“

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Gleichwohl der Abend wollte kein Ende nehmen. Wir feierten den Abschied von unseren First Nation Freunden. Erst gegen halb drei schlief ich ein.
Wenig Essen. Wenig Schlaf. Keinen Sex. Auch Gunnar nicht. Allerdings vermute ich, dass er noch von dem Trio zehrt.

Nachdem nun Mary Rainbow Woman, Tate’ ogna nita pehin und Adam fort gegangen waren, verabschiedeten wir uns von Marie, den Kindern Henrik und seinen Eltern. Sowie von meinen. Sie werden alle heute fliegen.

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Und jetzt noch die Bestellung für die Kosmetik Artikel tätigen.
Am Nachmittag erwarten wir dann den Transporter mit dem veganem Essen. Ich hoffe nur, er kommt HEUTE noch an.
Gunnar wird mir helfen und bei mir sein. Auf mich achten, damit ich einigermaßen in Ruhe bleibe. Genügend esse und trinke. Genau genommen, müsste er jedoch selbst in seinem Büro tätig sein. 
Nun, womöglich fährt er heute, oder spätestens Morgen noch dorthin und überträgt Kevin, und vor allem Derek die Verantwortung. (Welche ich nun doch selbst innehaben sollte!)