Montag, 25. März 2013

Alles in meiner Hand


Ich saß am Notebook als Gunnar kam. Hatte mich im Netz verloren. In Auktionen geboten. Die Empfindungen aus meinem Inneren in Worte geformt. Meine Stimmung wechselte von Minute zu Minute. Ich wusste nicht was ich fühlen sollte. Zorn? Reue? Genugtuung? Zweifel? Oder Eifersucht?

Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen dies alles NICHT zu fühlen!

Es ist eine Art Unsicherheit. Wie das Gehen auf einem Seil über dem Abgrund. Ein kleiner Windhauch wäre bereits in der Lage gewesen mich ins Schwanken zu bringen oder mich abstürzten zu lassen. Jeden Augenblick “könnte” ich auf den harten Boden der Tatsachen aufschlagen. Ohne zu wissen wann und wo. Jedoch wäre eine federleichte Landung ebenso möglich gewesen. Und es war meine Entscheidung. Nur, würde ich mich beherrschen können?

Gunnar legte seine Arme um meinen Hals und küsste mich. “Hallo meine Schöne.”
Wie sollte ich jetzt reagieren? Was erwartete er?
Ich drehte mich um, stand auf, umarmte und küsste ihn mit einem unsicheren Blick in meinen Augen.
Mir war nicht zum reden zumute. Ich hörte ihm zu.
Er erzählte mir, dass er und seinen Brüdern beschlossen hätten nach New York zu fliegen. Carsten hatte ein Foto-Shooting für ein Magazin getimet. An einem Casting für einen Film sollte er ebenfalls teilnehmen. Ihre Cousine Ellen würden sie bei dieser Gelegenheit ebenso besuchen können.
“Du kannst mitkommen.”, sagte er begeistert.”
Ich sah ihn nur an und verzog den Mund. Er wusste genau, dass es mich überfordern würde. Was sollte das?

Noch eine Weile lang lauschte ich seinen Worten und dann brach es wütend aus mir heraus.
“Einerseits sagst du mir wie glücklich du bist, wenn wir fortwährend beieinander sind.”, begann ich zu lamentieren. “Andererseits entdeckst du dich und deine Möglichkeiten gerade selbst. DU hast Familie und Freunde. Für mich gibt es niemanden mehr außer dir.”
“Was ist mit Troels?”, kam die postwendende Frage.
“Ja. Exakt. Troels.” Ich schnaufte zornig. “Es gibt nur noch zwei Menschen auf dieser Welt denen ich vertraue. Das bist du und er. Er ist ein guter Freund. Nicht mehr.”, setzte ich nach und sah mit einem kurzen, verstohlenen Blick in Gunnars Augen.
“Du musst dich nicht rechtfertigen.”, antwortete er überlegen grinsend mit einem Anflug eines zynischen Lächelns. Was mich nun erst recht zornig werden ließ.
“Rechtfertigen? Wofür? Was weiß ICH schon, was DU während dieser zwei Tage und Nächte in Stockholm getrieben hast!”, wurde ich bissig und beinahe vulgär.
Gunnar lachte. “Also doch eifersüchtig. Ich dachte, du vertraust mir endlich.”
“Ja.”, sagte ich und wandte mich ab.
Jedoch überwältigten mich meine Gefühle und mit einem Mal schossen mir die Tränen in den Augen. Ich weinte, und wischte, und schniefte. Entschuldigte mich jedoch sogleich dafür. Wollte schließlich keine Schwäche zeigen und kein Mitleid erregen. “Ich weiß, ich bin zu emotional. Denke zu viel nach. Male mir zu viel aus. Plane und verwerfe viel. Im Handeln bin ich eine Katastrophe.”
Gunnar legte seine Arme um meine Schultern. Sein Kopf rieb an meinem Haar und seine Lippen küssten meinen Hals.
Ich war verzweifelt. Wendete mich ihm zu. Küsste ihn euphorisch und stieß ihn sogleich wieder von mir weg. “Du beabsichtigst mich tatsächlich erneut allein zu lassen?!”, schrie ich ihn an.
Gunnar runzelte die Stirn und zog die linke Augenbraue nach oben. “Was soll das denn jetzt? Du kannst mit mir kommen wenn du magst. Selbst wenn nicht, werde ich in einigen Tagen wieder bei dir sein.”
Ich schüttelte den Kopf und lief aufgeregt hin und her. “Dann hätte ich auch Ian heiraten können.”, entfuhren die Gedanken unbewusst meiner Kehle. “Du musst dich entscheiden. Ich, oder deine Freiheit!”
Gunnar wurde ernst. Blieb stehen und sah mich an. Er tat einen Schritt auf mich zu.
Ich hob meine Hände. Schüttelte erneut den Kopf. Funkelte ihn wütend an.
DAS war offensichtlich genau das richtige Argument gewesen.
Aber vielleicht hätte ich das besser nicht sagen, sondern viel mehr tun sollen.
Schließlich war noch nicht aller Tage Abend. Reist er, würde ich ebenfalls reisen.


Gunnar hatte sich offensichtlich gefasst und kam festen Schrittes auf mich zu. “Nein! Nein. Jetzt ist Schluß!”, hörte ich ihn sagen.
Er ließ meine Abwehrgesten nicht mehr gelten. Drückte mich an sich und streichelte mein Haar.
Noch einige Male begann ich zu reden, um mich zu widersetzten.
“Schschsch.”, beruhigte er mich wieder und wieder. “Du hast natürlich Recht. Aber es wären doch nur ein paar Tage. Das Wiedersehen wird dann umso intensiver sein.”, versuchte er zu witzeln und ich wusste genau vorauf er hinaus wollte.
“Ich kann mit derlei Situationen nicht umgehen. Brauche Zeit mich an deine Ab- sowie deine Anwesenheit zu gewöhnen, wenn du nach Tagen zurückgekommen bist.” Das Blut rauschte mir hörbar in den Ohren. “Andererseits ist mir durchaus bewusst, dass wir nicht jede einzelne Minute miteinander verbringen können und es ebenso wenig sollten. Das gewisse Aus-Zeiten für eine gute Beziehung sogar nötig sind und das Wiedersehen dadurch umso glücklicher sein kann.”
Meine gegensätzlichen Gefühle zerrten an mir wie die Fäden an einer Marienette. Ich vermochte mit solcherlei Umständen wahrlich nicht gut umzugehen. Meine Wut kippte. Wandelte sich in Verständnis. Vielleicht hatte er sogar Recht. Nein. Natürlich hatte er Recht. Gerade DAS war Liebe. Dem anderen seine Freiheit zu gewähren.
Gunnar sah meine Gedanken und lächelte. “Genau so ist es meine Schöne. Du weißt doch sehr wohl, dass ich dich über alles liebe und niemals betrügen oder gar verlassen würde. Das ist doch überhaupt kein Thema. Du hast nichts dergleichen zu befürchten. Das weißt du doch Rea. Darüber brauchen wir auch nicht mehr zu reden.”
“Ja. Ich weiß. Ich soll dir vertrauen.” Ein tiefer Seufzer verließ meinen Mund und ich ließ mich nur zu bereitwillig in Gunnars Arme sinken, der mich hielt, streichelte und küsste.


Es war spät geworden. Beinahe zu spät für das Dinner. Aber erst jetzt hatte ich wahrgenommen , dass ich an der Grenze zur Unterzuckerung stand. Meine Hände zitterten. Die Knie wurden mir weich. Mein Kopf dröhnte.


Den Rückweg vom Restaurant gingen wir schweigend. Erneut regten sich Zweifel. Alldieweil uns im Restaurant eine Traube Models begegnet waren. Unter ihnen das porzellanerne, osteuropäische Teenie-Model. Jedoch ohne ihren reichen alten australischen Freund. Im Vorübergehen hatte sie Gunnar einen verstohlenen Blicke zugeworfen und gelächelt. Im selben Augeblick verdrehte Gunnar die Augen und die Muskeln seiner Kiefer bewegten sich unstet hin und her. Was ein eindeutiges Zeichen seiner Unbehaglichkeit und des Missfalles waren.

Im Haus angekommen brüllte und tobte ich erneut in explodierender Eifersucht.
Gunnar nahm mich auf seine Arme und warf mich aufs Bett. Er zog mir die Hosen herunter und öffnete seinen Reißverschluss. Ich wehrte mich. Jedoch schwand mein Widerstand mehr und mehr. Er drang rasch in mich ein und es schmerzte. Das Gleitgel war in der Eile in Vergessenheit geraten. Ich stöhnte. Biss mir auf die Lippen.
Gunnar wurde langsamer. Hielt kurz inne. “Verzeih. Verzeih.” Sein sehnsuchtsvoller, fast verzweifelter Blick traf mich und schon bewegte er sich weiter auf und ab. Strich mir aufgeregt übers Haar und küsste mich hektisch.
Ab diesem Zeitpunkt ließ ich alles schlicht und einfach nur noch geschehen.


“Mit Sex rückt man die Dinge nicht wieder gerade.”, sagte ich am Ende als wir nebeneinander lagen.
“Ich weiß. Ich weiß.”, antwortete er, legte seinen Arm um mich und drückte mich ganz fest an sich. “Ich wusste nicht mehr was ich tun sollte. Bin ebenso nur ein Mensch.”

Erneut scheiterte ich an meinen Gefühlen und Emotionen.
Nichts, was ich mir vorgenommen hatte, hatte ich in die Tat umsetzen können. Das frustrierte mich über die Maßen.
Wäre ich einfach nur still gewesen. Hätte nichts gesagt und nicht gefragt. Nicht gestritten und nicht getobt. Wäre weder wütend noch traurig gewesen.
Ich hatte alles in der Hand und hatte alles verdorben.
Also schwieg ich kapitulierend.
Ich fragte nun nicht mehr nach, was er in diesen zwei Tagen getan oder nicht getan hatte.
Es musste mir schlicht und einfach gleichgültig sein. Was hätte es genützt? Ich hatte mich bereits zur Genüge ereifert und aufgerieben.
Sagte er mir nicht, ich solle ihm vertrauen?
Widerwillig und entkräftet gab ich auf und lenkte ein.
Was blieb mir anderes übrig.


Als ich mich beruhigt hatte, offenbarte er mir die nächste Überraschung.
“Wir werden über Ostern (påsk) nach Gotland zu meinem Vater und meiner Tante fahren. Was meinst du?”
Ich war total verblüfft. Unverständnis breitete sich in meinem Inneren und auf meinem Gesicht aus. Hatten wir uns nicht gerade genug gestritten? Über Reisen und andere Dummheiten.
Ich war sauer und schmollte ein Weile.


“Wir sollten reden.”, sagte Gunnar schlussendlich.
“Du willst reden? Dann sprechen wir darüber, wie deine Brüder unsere Beziehung stören.”
“Sie sind meine Familie. Mach sie zu deiner. Du gehörst doch zu uns.”
“Nein.”
“Siehst du. Genau DAS ist das Problem. Du bist zu distanziert. Kannst sie nicht annehmen und akzeptieren wie sie sind.”
“Einen Haufen trink- und drogensüchtiger Schwuler, Lesben und Krimineller? Niemals.”
Gunnar schnappte nach Luft. “Soll ich mich jetzt ebenso zwischen Dir und meiner Familie entscheiden? Du hast mich schließlich wieder zu ihr geführt und dafür bin ich dir unendlich dankbar.”
Was für ein genialer Schachzug.
“Nein.”, wurde mein Ton weicher. “Das musst du nicht.”
“Also müssen wir reden.”
Ich schnaufte. War erschöpft. Hatte genug vom Reden.
“Ich mag nicht mehr reden. Tue was du für richtig hälst.”
Gunnar dachte kurz nach. “Okay. Aber jetzt ist alles wieder gut. Nicht wahr.”
Ich war es ebenso Leid zu streiten. Wollte Versöhnung. Lächelte und streckte die Arme nach ihm aus. “Ich möchte das es so ist wie es vorher war. Bevor du am Freitag zu deinen Brüdern gingst. Ist das möglich?”
“Ja. Natürlich. Wenn du meine Familie nicht mehr beleidigst.” Gunnar lachte, streckte mir ebenfalls die Hände entgegen und schon waren wir wieder ein Herz und eine Seele.

“Wie beide sind nun einmal harmoniesüchtig. Nichts wahr?”, war seine abschließende Feststellung. “Und das ist gut so.”
Dem konnte ich nur zustimmen und nichts weiter hinzufügen.