Samstag, 16. März 2013

Körperliches Scheitern mit philosophischem Geist



Ich kann nicht sagen, wo meine Energie geblieben war, die mich durch den Tag tragen sollte.
Hatte ich sie bei dem abgebrochenem Versuch am Morgen mit Gunnar zu ficken verloren? Alldieweil ich zu diesem Zeitpunkt bereits bemerkte, dass mein Körper kraftlos war? Oder war der vorangegangene Abend der “Repräsentation” zu anstrengend gewesen? Das Gespräch mit Marie hatte mich ebenso aufgewühlt. Das Wetter vielleicht? Energievampire?
“Wir müssen nicht jeden Tag ficken.”, hatte Gunnar zu mir gesagt und mich in den Arm genommen. “Du must dich mir gegenüber nicht verpflichtet fühlen.”
Was genau erwartet Gunnar eigentlich von mir?
“Es gibt keine Erwartungen. Und Eifersucht ist unnötig.”, sagte er verstehend lächelnd, meine Gedanken lesend.
Dennoch, mit nur einem Mann zusammen zu leben war von beständiger Eifersucht begleitet. Ob ich es nun wahr haben wollte oder nicht.
Vermochte ich meinem Mann genug Sex zu geben? Wenn nicht? Was dann? Verärgere ich ihn mit meinem Verhalten? Meinen Worten? Meinen Gedanken? Wie beispielsweise DIE an Wanja. Zu welchem ich am aller liebsten noch heute fliegen würde. Ich dachte an seinen Körper gestern Morgen. So ästhetisch schön. Starke, muskulöse Arme, die mich halten. Gepflegt und diszipliniert bis in die kleinste Haarspitze.
Ich solle mich gleichwohl nicht so vehement an der Bedeutung des Wortes “Disziplin” festhalten, so wie ich sie zu definieren pflege. Sagte Gunnar. Möglicherweise wäre “flexible Ordnung” besser. Denn mein Körper wäre zu außergewöhnlich disziplinierten Leistungen ohnehin nicht mehr in der Lage.

Allenfalls sollte ich es wie meine Mutter halten. Unliebsames schlicht und einfach ignorieren. Was vielleicht ein Teil des Lebens Weisheit ist. Nach welcher ich offensichtlich ebenso beständig zu suchen scheine.
“Nun, bin ich also eine Suchende?”, fragte ich Gunnar.
“Ja. Könnte man gewiß so sagen. Nur solltest du die Augen öffnen. Denn Du hast bereits gefunden, wonach du dich sehnst.”
Das ANNEHMEN wäre jetzt gleichwohl ein großes Thema für mich. In allen seinen Facetten. Erwähnte er zudem.
Ich wusste natürlich was er damit meinte. Nur war ich, trotz meiner offensichtlich gesundheitlichen Problematik noch immer nicht bereit darüber zu reden.


Wir philosophierten während des Dinners in der Stadtmitte von Stockholm, bis ich wieder zu Kräften gekommen war.
Gunnar zieht nach wie vor die neidischen Blicke anderer Männer auf sich, wenn wir Hand in Hand durch die Straßen gehen. Oder in einem Cafe’ sitzen und uns verliebt in die Augen schauen.

Während sich Gunnar auf die Spur der fehlenden Bestellungen begab, lernte ich das Shoppen im Schneckentempo.
Gegen sechs trafen wir uns an der Sushibar wieder.
Jedoch am Ende warf ich erneut das Handtuch.
Schwindel und Übelkeit plagten mich am Abend. Dazu kamen zittrige Knie, sodass aus dem Kinobesuch nichts mehr wurde.
Nach einem kurzen Zwischenstopp bei Hjalmar fuhren wir umgehend zurück ins Zentrum.
Ich war verzweifelt. Suchte mich zu fangen. Zu beruhigen. Ich war wütend. So wütend auf meinen Körper. Wäre da nicht wenigstens noch die (beinahe) makellose äußere Hülle, wollte ich besser sterben.
Was für ein Leben sollte das sein? Oder werden? Ich bin einunddreißig Jahre alt, und Gunnar sechsunddreißig. Was vermag ich meinem Mann noch zu bieten, wenn man ES nicht aufzuhalten vermag?
“ES”. Ich bezeichne es nicht. Benenne es nicht. Spreche es nicht aus und will noch immer nicht darüber reden. Obgleich es Zeit dafür wäre, wie Gunnar beständig betont.
Deshalb auch der Hinweis auf das Thema “Annehmen”. Besonders DAS, was nicht zu ändern ist. Ich verstehe!
Wäre ich in der Tat bereit darüber zu reden, würde es viel länger als nur eine Stunde, einen Tag oder eine Woche dauern. Aus diesem Grund gleichwohl die beständigen Versuche Gunnars mich in die Einsamkeit, zum nachdenken und reden zu zwingen.
Ich werde diesem Wort und alles was es bedeutet NICHT einen Millimeter Platz in meinem Hirn einräumen. Gegebenenfalls bis zu dem Zeitpunkt, bis es ohnehin zerfressen ist.
Der Schwindel, welcher mich über die Maßen ängstigt, könne ebenso von der Halswirbelsäule herrühren. Alldieweil ich nun erst vor Kurzem im Kernspintomographen gewesen sei und man nichts Neues gefunden hätte.
Wettereinflüsse scheinen ebenso keine unerhebliche Rolle zu spielen, auf welche ich seit einiger Zeit überaus sensibel ragiere.
Gleichgültig wo die Ursachen liegen. Es ging und geht mir nach wie vor nicht gut.


Trotz alledem ein kurzes sexuelles Intermezzo am Abend. Vage Versuche der Berühung am Morgen, die der Zeit des Aufstehen wichen.
“Ich weiß, dass du mich nicht wolltest.”, bemerkte Gunnar wissend lächelnd, während er sich aus dem Federn pellte. “Warum eigentlich?”
“Du warst nicht wirklich mein Typ.”, antwortete ich zaghaft, mit gesenktem Kopf leicht nach ihm schielend.
“Aber der Spanier. Oder?”
“Nun ja. Ebenso nicht wirklich.”, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Gunnar sah mich verwundert an. “Wieso dann diese übermächtige Liebe zu ihm?”
Ich zuckte mit den Schulter. Wollte mich in diesem Augenblick nicht an ihn erinnern.


Es war mir heute Morgen nicht danach zum Restaurant zu gehen, obwohl die Sonne ihr strahlendes Lachen zeigt. Ohnehin war es bereits spät geworden. Wir hatten ausgeschlafen. Aus diesem Grund ließ ich unser Frühstück kommen.
Die Freude der Zweisamkeit hielt jedoch nicht endlos an, alldieweil Troels an unsere Tür klopfte. Ein “Sicherheitsproblem”. Wie er bemerkte. Gunnar stand auf und ließ mich allein.
Gewissermaßen hatte ich mich gefreut Troels zu sehen. Ihn gebeten sich zu uns zu setzen. Keine Zeit. Warum?
Wieder und wieder dieses Wort: Zeit.
Gibt es sie überhaupt? Die Zeit?
Oder ist es ausschließlich die Eigenart des Menschen für sich alles begreifbar zu machen und in ein “Maß” zu zwängen?